Animationsfilm:Strichweise heiter

Schon mal Grüffelogrütze probiert? Oder gar ein Grüffelo getroffen? Die Filme eines winzigen, von Studenten gegründeten Animationsfilmstudios in Ludwigsburg sind die Stars internationaler Festivals.

Martin Zips

Von Chirurgen sagt man, sie nähmen ihre Mitmenschen lediglich als Gefäße blutverschmierter Organe wahr. Juristen erkennen in jedem noch so lapidaren Zwischenfall einen zuständigen Paragrafen. Und Schriftsteller machen, natürlich, aus allem und jedem sofort ein Buch. Das Leben ist eine Frage der Perspektive. Wie wunderbar komisch muss es sein, das Dasein mit der Brille eines Zeichentrickfilmers zu betrachten! Vorgesetzte schrumpfen zu Zwergen, Arbeitskollegen zu Ferkeln, Banker werden Ice-Age-Hörnchen.

Animationsfilm: "O Schreck, o Graus, ich fürcht' mich so. Es gibt ihn doch, den Grüffelo!" Die animierten Monster haben Großbritannien bereits im Sturm erobert. In Deutschland werden sie wahrscheinlich Weihnachten 2010 erwartet.

"O Schreck, o Graus, ich fürcht' mich so. Es gibt ihn doch, den Grüffelo!" Die animierten Monster haben Großbritannien bereits im Sturm erobert. In Deutschland werden sie wahrscheinlich Weihnachten 2010 erwartet.

Zu Besuch im Städtchen Ludwigsburg nahe Stuttgart. In Gebäuden, in denen vor hundert Jahren noch Zehntausende Soldaten stationiert waren, gleich hinter dem Denkmal für die im ersten Weltkrieg gefallenen "23 Offiziere und 435Unteroffiziere", sind merkwürdige Gestalten eingezogen. Monster, Frösche, Roboter und Hasen hören hier auf die Befehle von gut 20 Animations-Offizieren und Unteroffizieren eines Trickfilmstudios mit dem Fantasienamen "Soi". Ihre Feldherrn sitzen entweder schweigend im coolen Kapuzenshirt vor dem Computer oder telefonieren laut mit Berlin, London oder Paris. Ihre Armeen gestalten sich die Damen und Herren selbst. Erste Entwürfe pinnen sie als Zeichnungen an die Wand und hobeln sie später am Computer zurecht. Ihr Vokabular umfasst Wörter wie "rendern", "shaden", "CGI" oder "MEL".

Mit gleich drei "Prix Jeunesse" wurden die Kreativen des Studio Soi gerade ausgezeichnet. In der Branche ist das eine kleine Sensation. Der Prix Jeunesse gilt als einer der international wichtigsten Preise für Kinder- und Jugendfernsehen; 15 davon werden alle zwei Jahre vergeben. 89 Beiträge aus 34 Ländern hatten es diesmal in das Finale des Wettbewerbs geschafft. Einen Preis erhielt der Soi-Kurzfilm "Der Kleine und das Biest", in dem ein Kind seine durch eine gescheiterte Beziehung zum depressiven Ungeheuer mutierte Mutter wacker durchs Leben führt. Regisseur Johannes Weiland verweist auf "autobiographische Details" aus dem Leben eines Soi-Mitarbeiters. Die Verfilmung des beliebten Kinderbuchklassikers "Der Grüffelo" wurde gleich doppelt prämiert: von der Experten- und der Kinderjury.

Vor elf Jahren brachten die englische Kinderbuchautorin Julia Donaldson und der deutsche Zeichner Axel Scheffler die Geschichte von der Maus zu Papier, die sich mit List und Lüge vor den Füchsen, Eulen und Schlangen des Waldes rettet. Heute ist weltweit in mehr als 20 Sprachen zu lesen, wie das hässliche Grüffelo-Monster, das zunächst nur in den Lügenmärchen der Maus existiert, plötzlich riesig vor ihr steht. Eine moderne Deutung von Goethes Zauberlehrling gewissermaßen, wenn auch mit viel fröhlicherem Ausgang.

Der britische Produzent Michael Rose ("Wallace und Gromit", "Chicken Run") hatte sich schon früh die Rechte an dem Kinderbuchklassiker gesichert und das kleine Ludwigsburger Studio mit der Grüffelo-Verfilmung beauftragt. Bei Soi herrsche ein Geist, den er aus der Anfangszeit der auch durch "Shaun das Schaf" bekannten Aardman-Animationsstudios in Bristol kenne, lobte er. Dabei sieht es hier eigentlich nicht anders aus als in jedem Büro, wo halt Menschen vor dem Computer sitzen. Einer hat sein Fahrrad mitgebracht, damit es unten nicht geklaut wird. Ein anderer schält sich einen Apfel. Das Zentrum bildet der Konferenztisch vor einem riesigen Fernseher. Monatelang haben sich die Animateure hier ihre Grüffelo-Filmexperimente immer wieder angesehen. Möglichst nah wollten sie an die kongenialen Tusche-Zeichnungen von Axel Scheffler kommen. Das war ihr Ehrgeiz.

Die Animationsoffiziere

Das Studio Soi existiert seit acht Jahren. Damals wurde es von Studenten der Filmakademie Baden-Württemberg, die ihren Sitz in Ludwigsburg hat, gegründet. Seitdem erwecken hier Kreative - die meisten von ihnen zwischen 30 und 40 Jahre alt - Zeichnungen, Skulpturen und Computerbilder mit Kameras und diversen Softwareprogrammen zum Leben. Ihre Hauptdarsteller sind mal sprechende Kakerlaken, mal Engel, die mit Kanonen in den Himmel geschossen werden. In den Regalen der Büroräume in dem ehemaligen Garnisonsgebäude stapeln sich zahlreiche internationale Trickfilmpreise.

Kuchen statt Grütze

Während der Grüffelo-Film in Großbritannien bereits Kultstatus hat - die BBC zeigte ihn bereits vergangenes Jahr zu Weihnachten -, muss sich das deutsche Fernsehpublikum noch gedulden. Geplant ist die Erstausstrahlung im ZDF, an Weihnachten 2010. "Derzeit sind wir auf der Suche nach geeigneten deutschen Sprechern", sagt Jakob Schuh, der Regisseur. Statt Helena Bonham Carter, Robbie Coltrane oder John Hurt, die in der englischen Fassung den Figuren ihre Stimmen leihen, seien hierzulande Heike Makatsch, Christian Ulmen und Wolfgang Hess, die deutsche Stimme von Bud Spencer, im Gespräch.

Weitere Probleme müssen noch gelöst werden. "Was werden die deutschen Kinder dazu sagen, dass im Film statt der aus dem Buch bekannten ,Grüffelogrütze' nur ,Grüffelokuchen' zu sehen ist?", sagt Carsten Bunte, einer der Soi-Gründer. "Aber im englischen Original heißt es eben ,Gruffalo-Crumble', also zeigen wir das auch." Im Improvisieren sind die Soi-Leute Meister. Als ihnen während der Grüffelo-Dreharbeiten in der eigens in einer Lagerhalle aufgebauten Wald-Kulisse ein Kamerakran fehlte, bauten sie sich selber einen: aus Lego. "Wir hätten nicht genug Geld gehabt, uns ein professionelles Teil zu kaufen."

Dann ist es wieder still in der ehemaligen Kaserne unweit des Ludwigsburger Schlosses. Nur ein paar Computerventilatoren rauschen noch, das sanfte Klicken diverser Maustasten ist zu hören. Aus den Gesichtern derer, die hier Zeichentrickarmeen befehligen, leuchtet ein zufriedenes Grinsen. Ein Grinsen über die Absurdität des Daseins vielleicht, die es erlaubt, sich vollkommen verrückte Figuren auszudenken. Und diese sogar Wirklichkeit werden zu lassen.

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