Süddeutsche Zeitung

Angelica Domröse zum 80.:Leuchtende Paula

Als alleinerziehende Liebende in "Die Legende von Paul und Paula" spielte sich Angelica Domröse für immer in das Herz von Angela Merkel - und das der ganzen DDR. Ein Geburtstagsgruß zum Achtzigsten.

Von Christine Dössel

In der wohl betörendsten Szene des Films "Die Legende von Paul und Paula" sieht Angelica Domröse aus wie ein zu Hause eingesperrtes Blumenkind. Nicht nur ihr Hals, ihr Haar und ihr freizügiges Negligé, auch die Topfpflanze, das Bett und ihre piefigen Gardinen sind mit gelben Blüten geschmückt. Und so verführerisch, wie Domröse schaut, mit diesen leuchtenden braunen Augen und den glänzenden Lippen, kann man verstehen, wie sie den ängstlichen Winfried Glatzeder hypnotisiert. "Sind wir allein, Paula?", fragt er, was diese bestätigt. "Und die Musiker da?" Es gibt keine Musiker im Raum, und in Domröses schönem Gesicht flackert kurz Unverständnis auf, nur um gleich einem unfassbar liebevollen Verstehen zu weichen. "Och, die?", sagt sie und fügt mit flotter Berliner Schnauze hinzu: "Die seh'n doch nüscht."

Und siehe, plötzlich hocken da tatsächlich drei beschwingte Musiker mit Hut und Instrumenten auf dem schwarzen Ledersofa im Zimmer und bekommen mit dem nächsten Filmschnitt Augenbinden verpasst. Was dann folgt, rechnet Paul dem Birnenschnaps zu. Aber es ist natürlich ganz was anderes, es ist der LSD-Trip der Liebe, so abgefahren und romantisch zugleich, dass die Szene unvergesslich bleibt. Wenn Domröses Paula, dieses Wunderwerk an weiblicher Eigeninitiative und Lust, die Träger ihres Hemdchens fallen lässt, Glatzeders linkischer Paul ihr willenlos folgt und die Puhdys raukehlig singen "Geh zu ihr / lass deinen Drachen steigen", beginnt eine der wundersam-bizarrsten Sex-Allegorien nicht nur der deutschen Filmgeschichte. Die zwei Liebenden als Brautpaar auf einem Kahn auf der Spree, in einem schwimmenden Bett, angetrieben von den schrägen "Hey, hey, hey"-Rhythmen der Musik, am Ufer Paulas Ahnen in historischen Kostümen, und sie selber, die sexy Zirze: sinnlich, glücklich und keck, ihre Blöße nur notdürftig durch den Brautschleier verdeckt.

"Die Legende von Paul und Paula", herausgekommen 1973 in der Regie von Heiner Carow, war einer der erfolgreichsten Filme der DDR, und ihr einzig richtiger Kultfilm. Erzählt wird - nach einem Drehbuch des gewitzten Ulrich Plenzdorf ("Die neuen Leiden des jungen W.") - die leidenschaftliche, tragisch endende Liebesgeschichte zwischen dem verheirateten, auf eine Kader-Karriere gepolten Außenhandelsreferenten Paul und der jungen, in der Flaschenrückgabe eines Betriebs tätigen Paula, alleinerziehende Mutter zweier Kinder. Angelica Domröse wurde damit, wie auch ihr Filmpartner Glatzeder, zum Star. Am Ostersonntag feiert die Schauspielerin ihren achtzigsten Geburtstag, und es sind immer noch diese Bilder, die einem als erstes zu ihr einfallen, obwohl sie in ihrem Leben so viel anderes gedreht und so viel Theater gespielt hat.

Geboren wird Angelica Domröse am 4. April 1941 in Berlin, wo sie vaterlos aufwächst, Arbeitermilieu. Sie macht eine Ausbildung zur Stenotypistin und wird 1958 bei einem Casting für den Defa-Film "Verwirrung der Liebe" von dem "Proletarier-Regisseur" Slatan Dudow entdeckt. Er wählt die attraktive 17-Jährige unter Hunderten Bewerberinnen aus. Nach ihrem Filmdebüt nimmt Domröse bis 1961 Schauspielunterricht an der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg und geht danach an das von Helene Weigel geleitete Berliner Ensemble.

Dort durchläuft sie die Brecht-Schule des epischen Theaters und spielt in mehreren Stücken des Meisters, ist zum Beispiel die Polly in der "Dreigroschenoper" und die Babette in "Die Tage der Commune". Von 1967 bis 1979 gehört sie zum Ensemble der Berliner Volksbühne, arbeitet dort mit den prägenden Regisseuren des DDR-Theaters, Benno Besson, Manfred Wekwerth, Fritz Marquardt, Manfred Karge, Matthias Langhoff. Sie ist Shaws Cleopatra, Schillers Eboli, Shakespeares Cressida, Peter Hacks' "Die schöne Helena", wird zu einer profilierten Charakterschauspielerin, der es wichtig ist, gegen ihr Image anzuspielen, das von der schönen, niedlichen "Bardot des Ostens".

"Das persönliche Glück über den Sieg des Sozialismus zu stellen, war nicht üblich"

Diesen Titel und ihre enorme Popularität bekommt sie durch ihre Filmarbeit. Bis zu ihrer Ausreise aus der DDR 1980 dreht Domröse mehr als fünfzig Kino- und Fernsehfilme. In dem Mehrteiler "Wege übers Land" mit Manfred Krug und Ursula Karusseit spielt sie die Gräfin Palvner und erhält dafür 1969 den Kunstpreis der DDR, in Wolfgang Luderers "Effi Briest" (1970) ist sie die mitreißende, in den Konventionen ihrer Ehe erstickende Titelheldin. Doch für keine Rolle wird sie so gefeiert und geliebt wie für ihre selbstbewusste, vor Lebenslust und Erotik sprühende Paula. "Die Legende von Paul und Paula" wurde selbst zur Legende, spricht auch nachfolgende Generationen noch an und ist der erklärte Lieblingsfilm von Angela Merkel.

Fragt man Winfried Glatzeder, Paulas Paul, warum der Film damals so einschlug, antwortet er rückblickend: "Weil die Liebe darin wichtiger war als die Karriere. Das persönliche Glück über den Sieg des Sozialismus zu stellen, war nicht üblich." Um eine Geburtstagswürdigung für seine Kollegin gebeten, rühmt er Domröses "künstlerische Begabung". Die beiden hatten schon an der Volksbühne miteinander gearbeitet. Glatzeder sagt: "Sie ist eine mutige Schauspielerin, die ihre Rollen mit jeder Faser ihres Körpers wahrhaftig lebt und mich immer motiviert hat, das Beste zu geben."

Mehr als dreißig Jahre später, 2008, standen beide im Hans-Otto-Theater in Potsdam noch einmal gemeinsam auf der Bühne, in Eduardo De Filippos deftiger Komödie "Filumena Marturano", Kinofans bekannt als "Hochzeit auf italienisch" mit Sophia Loren und Marcello Mastroianni. Die Domröse in der Titelrolle, eine Art italienische Mutter Courage, verschlagen und trickreich um das Auskommen ihrer drei unehelichen Söhne kämpfend; Glatzeder als ihr langjähriger Geliebter, ein reicher, eitler Lebemann, der sich von ihr an der Nase herumführen lässt. Im Publikum jede Menge Fans. So wie Glatzeder davon berichtet, war es für alle Beteiligten das pure Wiedervereinigungsglück.

Mit ihrem Mann Hilmar Thate spielte sie auch auf der Bühne oft Ehepaare

Privat waren die beiden nie ein Paar. Angelica Domröse heiratete 1976 in zweiter Ehe den Schauspieler Hilmar Thate, mit dem sie bis zu dessen Tod 2016 verheiratet war. Thate war ein Bühnenstar, Publikumsliebling am Deutschen Theater - legendär sein "Richard III." -, sie waren das Glamour-Paar Ostberlins. Bis sie gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns protestierten und beruflich kalt gestellt wurden. 1980 zogen sie die Konsequenz und reisten in den Westen aus, was zwei Jahre später auch Glatzeder tat.

In Westberlin fanden Domröse und Thate bei Boy Gobert am Schillertheater eine neue Heimat. Sie blieben bis zur Schließung 1993 und traten so oft wie möglich gemeinsam auf, etwa in Peter Zadeks Fallada-Revue "Jeder stirbt für sich allein" (1981) oder auch in der Mutter aller Eheschlachten, Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" (1986). Eine Zeitlang arbeiten die beiden auch mit George Tabori in Wien. 1992 fing Domröse an, selber Regie zu führen.

Aus den dunklen Phasen ihres Lebens, ihrer unglücklichen Kindheit, ihrer - letztendlich überwundenen - Alkoholsucht und den damit einhergehenden psychischen Zusammenbrüchen, hat Domröse keinen Hehl gemacht. Sie hat darüber schon in ihrer 2003 erschienenen Autobiografie "Ich fang mich selbst ein" geschrieben und sich dazu offen in Interviews geäußert. Geholfen hat ihr ihr Mann. Mit Hilmar Thate hat sie eine ähnlich große Liebe erlebt wie Paula mit Paul. Schade, dass es so still um diese leuchtende Schauspielerin geworden ist. Sie sei beglückwünscht.

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