Angela Merkel im Kino:Ein richtig netter Abend mit der Herrscherin

Angela Merkel, Kino

Dicht an dicht im Kino, in der Mitte Angela Merkel. Sogar Ehemann Joachim Sauer (links) ist mitgekommen.

(Foto: REUTERS)

Die Kanzlerin sucht sich einen DDR-Film aus und kommt danach ins Plaudern. Übers Kohleschippen und Kampfstrategien in der Kaufhalle, nicht über den Film. Doch ein Rätsel bleibt.

Von Tobias Kniebe, Berlin

Angela Merkel hat verstanden. Oder anders gesagt: Sie hat sich entschieden. Von den vielen Deutungsmöglichkeiten, die schon die Idee dieses Abends zulässt, steuert sie ohne Umschweife auf die simpelste zu. So steht sie jetzt vor der Leinwand im Kino Filmkunst 66 in der Berliner Bleibtreustraße, lächelt leutselig und sagt: "Das fand ich gleich das Tolle an dieser Einladung - dass man sich einen Film, den man im Kino sehen möchte, selbst aussuchen kann. Und dann auch noch den Termin dazu."

Cremefarbener Blazer heute, ansonsten alles wie immer. Nur wirkt sie, so aus nächster Nähe im Fokus der erwartungsvollen Kinogänger, deutlich blonder als im Fernsehen oder auf den Agenturbildern.

Es geht hier, soll das heißen, um eine ganz normale Bürgerin, die zu einem besonders verlockenden Freizeitangebot einfach mal Ja gesagt hat. Im Umkehrschluss geht es um viele Dinge nicht. Zum Beispiel geht es nicht darum, dass Angela Merkel, weil sie qua Amt von allem etwas versteht, schon lange und im Geheimen auch eine große Kennerin des Kinos wäre.

Noch weniger soll es erkennbar um Wahlkampf gehen. Und ganz und gar nicht bitteschön um jene Dinge, die gerade die Berliner Politszene wieder heftig umtreiben, in mehreren neuen Büchern und angeblichen Enthüllungen über Merkels DDR-Karriere und ihre FDJ-Aktivitäten.

Für die Gastgeber geht es im Kern um die Fragen, wer Angela Merkel, so ganz privat und im Menschlich-Seelischen, eigentlich ist. Das wüden ja auch jene, die ihr ständig diese hohen Umfragewerte verschaffen, gerne wissen - und besonders Lieblingsfilmen schreibt man ja tatsächlich die Fähigkeit zu, das Menschlich-Seelische aufrühren und damit kenntlich machen.

Nicht nur die bekanntesten Gesichter

Dafür wurde die Veranstaltungsreihe "Mein Film" erfunden. Peer Steinbrück, Margot Käßmann und Jürgen Flimm haben in diesem Rahmen auch schon über ihren Lieblingsfilm gesprochen, was dann tatsächlich mehr oder weniger tief blicken ließ.

Die Gastgeber, das sind hier die Filmschaffenden des Landes, sofern sie in der Deutschen Filmakademie organisiert sind und per Losglück einen Platz bekommen haben. Viele Schauspieler, aber eben nicht nur die bekannstesten Gesichter, dazu knorrige Kameramänner in Bomberjacken, eine Veteranin des Szenenbilds, ein junger Filmkomponist, und so fort.

So viele mussten draußen bleiben, aber wer drin ist, ist drin. So liefert dieses eher intime Kino mit 150 Plätzen jetzt einen Vorschein dessen, was nur die Intimität der Macht sein kann. Man sitzt dicht an dicht, in der Mitte Angela Merkel, sogar mit Ehemann. Der Wunsch der Untertanen ist bald mit Händen zu greifen, zusammen mit der Herrscherin jetzt mal einen richtig netten Abend zu haben. Aber bitte angstfrei und egalitär.

Ein Film, der zur kollektiven Geschichte des Ostens gehört

Es beginnt "Die Legende von Paul und Paula" von Heiner Carow, der Defa-Film von 1973, den Angela Merkel sich ausgesucht hat, weil er sie seinerzeit "sehr begeistert" hat. Sie hat ihn mit achtzehn Jahren gesehen, zu Anfang ihres Physikstudiums in Leipzig - und dann, wie sie zur Einführung verrät, nie wieder. Es gilt also auch herauszufinden, was in vergangenen vierzig Jahren gleich noch mal passiert ist, mit der DDR, mit Paul und Paula, mit Angela Merkel.

Riskant ist diese Wahl jetzt nicht, der Film war einer der erfolgreichsten der DDR überhaupt. Paula alias Angelica Domröse, diese ernergiesprühende Glückssucherin, und Paul alias Winfried Glatzeder, mit der gebrochenen Boxernase und der herrlich gebrochenen Persönlichkeit - dieses surreal-realistische, verückt-normale Paar gehört zur kollektiven Geschichte des Ostens wie die Dialoge von Ulrich Plenzdorf und die unter anderem von Slade geklauten Songs der Puhdys, die lyrisch gleich mal das Feld des sympathischen Wahnsinns aufmachen, das den Film durchzieht: "Weck sie nicht, bis sie selber sich regt/ ich hab' mich in ihren Schatten gelegt." Wo bitte führt das denn hin?

Es führt in keinerlei ideologische Sackgasse, das ist das Schöne und Zeitlose an dem Film - im anschließenden Gespräch führt es aber auch nur zu der mit Emphase verkündeten These, dass in der DDR trotz allem Menschen lebten, bei denen es sogar menschlich zuging. Darüber unterhält sich Merkel nun mit dem Filmemacher Andreas Dresen, der so etwas wie der Bannerträger des Defa-Erbes geworden ist.

Um echte Filmkennerschaft, wie sie etwa Steinbrück seinerzeit mit breiter Brust behauptet hatte, geht es dabei nicht einmal am Rande. Sondern gleich ums ewige Kohlenschippen im Hinterhof, um die sagenumwobenden Mischbatterien aus Finnland, um die beste Kampfstrategie an den Kassen der Kaufhallen und um die Feierabend-Disco der Physiker an der Leipziger Uni, wo Angela Merkel als Barfrau für Kirschwodka fungierte.

Es wird viel gelacht. Merkel wirkt zunehmend gelöst, nun scheinbar ganz unter Freunden, die sich - sollten sie damals zufällig im Westen gelebt haben - alle Mühe geben, sich für diesen Abend als Ossis zu imaginieren. Ist das, was hier jetzt entsteht, etwa die vielbesungene Nestwärme der DDR?

Brutal in diese Stimmung hinein platzt dann die Frage eines Bild-Reporters zu Merkels Vergangenheit als FDJ-Sekretärin - und ob sie als solche, anders als bisher angegeben, nicht doch auch für "Agitation und Propaganda" zuständig war. Dresen will das, der allgemeinen Empörung folgend, sogleich abbiegen, aber Merkel ist inzwischen geradezu triumphal entspannt: "Nur mal ran an' Speck", ermuntert sie den gnadenlosen Investigator.

Ihre Antwort ist dann nicht von kalter, abwehrender Professionalität, sondern auch stockend, suchend, unvollständig. "Also es geht um meine Erinnerung, und wenn sich jetzt was anderes ergibt, kann ich damit auch leben. Was mir wichtig ist: Ich hab' nie irgendwas verheimlicht."

Kein bisschen heroischer als sie war oder ist

Ihre mutmaßlich ziemlich regimetreuen Marxismus-Leninismus-Arbeiten etwa, nach denen der Spiegel vor Jahren schon mal gefahndet hatte - "ich hab' wirklich keine Kopien mehr, hab' mich mit dem Blaupapier damals immer so schwergetan." Und weitere Mitgliedschaften? "Ja, ich war im FDGB. Und ich kann gleich noch bekennen, das hat glaube ich auch noch niemand gefragt - ich war auch Mitglied in der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. So."

In diesem Moment glaubt man tatsächlich, dass Merkel in diesem Abend danach strebt, ganz sie selbst zu sein - kein bisschen besser oder heroischer oder intereressanter, als sie war oder ist. Je länger das Schauspiel dauert, desto mehr kehrt sich die Ausgangsfrage dann auch um. Also nicht: Wer ist diese mächtige Frau im Privaten wirklich? Sondern: Wie konnte diese höchst normale, offensichtlich sympathische und so ostentativ nicht über den Durchschnitt hinausragende ehemalige DDR-Bürgerin bloß so mächtig werden? Das Rätsel bleibt.

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