Süddeutsche Zeitung

Angeblicher Caravaggio-Fund:Bescheiden sind sie nicht

Gleich 100 Werke von Caravaggio möchte ein lombardisches Kunsthistoriker-Duo entdeckt haben. Dazu wird auch gleich ein Preis genannt: 700 Millionen Euro. So ungewöhnlich wie der Umfang der angeblichen Sensation ist, so ungewöhnlich ist ihre Verkündung. Der Caravaggio-Fund ist vor allem ein Präsentationscoup.

Valeska von Rosen

Bescheiden sind sie nicht. Diesmal wird nicht das im jährlichen Rhythmus überraschend auftauchende "Meisterwerk" Caravaggios einer Öffentlichkeit präsentiert - nein, diesmal sind es gleich 100 Werke des Malers, die ein lombardisches Kunsthistoriker-Duo entdeckt haben möchte. Um sich die mediale Aufmerksamkeit zu sichern, nennen Maurizio Bernardelli und Adriana Conconi, die bislang nicht als Caravaggio-Spezialisten in Erscheinung getreten sind, auch gleich den fiktiven Preis: 700 Millionen Euro.

So ungewöhnlich wie der Umfang des apostrophierten Sensationsfundes ist, so ungewöhnlich sind die Praktiken seiner Annoncierung. Nichts hört man von einer Prüfung durch Experten für Caravaggios Maltechnik. Stattdessen erhalten auch Kenner die Meldung über eine Nachrichtenagentur mit Ankündigung eines - kostenpflichtig - aus dem Netz zu ladenden E-Books samt Pressekonferenz. Bei allem Befremden über solche Praktiken: Was steckt hinter dem Fund? Oder: Was könnte dahinter stecken?

Was interessant ist, sind die Zeichnungen

Caravaggio stammte aus einer Kleinstadt unweit Mailands, deren Namen er trägt. Wir wissen, dass er 1584 in Mailand bei einem Maler namens Simone Peterzano in die Lehre ging. Von den Stillleben, die er den Biografen zufolge in diesen Jahren gemalt haben soll, fehlt jede Spur, oder genauer: Keines der bislang diskutierten Stillleben konnte sich als Werk Caravaggios durchsetzen. Erst aus seiner Zeit in Rom, wo sich der Maler 1592 niederließ, können wir Gemälde mit ihm verbinden; als das früheste gilt ein "Birnen schälender Knabe".

Was an dem Mailänder Fund interessant ist, sind die Zeichnungen, die nun in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt werden. Denn kaum ein Thema ist in der Forschung in den vergangenen Jahren so kontrovers diskutiert worden wie die Frage, ob Caravaggio eigentlich gezeichnet habe. Dass er nicht nur die Malerei, sondern auch gleich die Maltechnik revolutioniert habe und seine Gemälde nicht mehr im Medium der Zeichnung vorbereitet habe, postuliert seit den Achtzigern die angelsächsische und italienische Forschung. Die Idee, Caravaggio habe mit dem posierenden Modell vor sich unmittelbar die Leinwand bemalt, entstand parallel mit Derek Jarmans Caravaggio-Film. Der entwarf suggestiv das Bild eines prämodernen Künstlergenies, das sein Leben mit seiner Entourage im Atelier zur Kunst und seine Kunst zu seinem Leben macht.

Wie zeichnen Genies?

Nüchtern wurde dieser These von Nevenka Kroschewski widersprochen und alle angeblichen Hinweise auf ein primamalerisches Arbeiten des Malers als Konjekturen bloßgelegt. Dass sich Caravaggio mittels des vorgeblichen Verzichts auf Vorzeichnungen einen spezifischen Habitus zulegte und diese deswegen vernichtete, wäre eine Erklärung für das bisherige weitgehende Fehlen von Studien. Wenn nun anhand von neuem Material untersucht werden könnte, wie Caravaggio bei Peterzano im Zeichnen geschult wurde, wäre das ein Gewinn für die Forschung - völlig unabhängig von der Frage, ob die aufgefundenen Blätter wirklich von Caravaggio oder doch einem anderen Schüler Peterzanos stammen. Angesichts fehlender gesicherter Referenzobjekte wird die Bestimmung der Autorschaft ohnehin schwierig werden.

Dass der angebliche Beweis des spitzfindigen lombardischen Duos - die suggestiven Vergleiche der Studien mit späteren Werken des Malers - nichts taugt, gebietet die Logik: Sollte Caravaggio bei der Anfertigung von Gemälden auf eigene frühe Studien zurückgegriffen haben, müssten die Blätter in Rom oder Süditalien auftauchen und nicht im Fundus der Werkstatt Peterzanos. So bleibt bei aller Abstoßung durch so viel mediales Geklapper doch immerhin die Option, sich auf ein Konvolut von Zeichnungen aus der Werkstatt Peterzanos zu freuen - wer auch immer sie angefertigt hat.

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SZ vom 07.07.2012/ihe
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