Angeben für Anfänger:Fußball ist eine Scheibe

Jetzt haben wir ein bisschen Angst, müssen aber öffentlich erklären: Fußball ist nicht alles, nicht für jeden. Lernen Sie mitzureden über: WM-Verweigerer.

Luise Checchin

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Fußball - Chip-Ball

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Jetzt haben wir ein bisschen Angst, müssen aber öffentlich erklären: Fußball ist nicht alles, nicht für jeden. Lernen Sie mitzureden über: WM-Verweigerer.

Es ist WM. Es ist Sommermärchen reloaded. Ganz Deutschland feiert. Wirklich ganz Deutschland? Mitnichten. Über konkrete Zahlen können wir keine Angaben machen, aber es gibt sie: Eine Gruppe eigentümlicher Menschen wagt das irrwitzige Unterfangen, sich der allgemeinen Euphorie zu entziehen. In der Fachsprache nennt man diese Spezies den "WM-Verweigerer". Aber wie erkennt man diese mutierte Art?

Prototyp eines Mikrochip-Balls, der dem Schiedsrichter per Akustiksignal übermitteln soll, wann das Spielgerät die Torlinie überschritten hat.  

Text: Luise Checchin/ sueddeutsche.de/rus

WM 2010 - Fans feiern

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Was ist das?

Das Aufspüren des WM-Verweigerers ist naturgemäß ein Kunststück, hält er sich ja gerade nicht an Plätzen auf, wo der Rest der Menschheit vor, während und nach dem Fußball sein Dasein fristet: also Biergärten, Kneipen oder Public-Viewing-Hotspots.

Stattdessen findet man ihn an so ungewöhnlichen Orten wie Museen, Theatern oder - unglaublich, aber wahr - dem Arbeitsplatz (und zwar tatsächlich arbeitend, und nicht das Spiel am Computerbildschirm per Live-Stream verfolgend). Allerdings hat der WM-Verweigerer auch hier seine Schwierigkeiten, dem Fußballfieber gänzlich zu entgehen. An den Münchener Kammerspielen entschied man sich beispielsweise beim Deutschland-Australien-Spiel dafür, die schicken Multimedia-Installationen im René Pollesch-Stück mit kurzen Einspielern der schönsten Deutschland-Tore zu ergänzen. So viel zum vielbeklagten Wirklichkeitsverlust des deutschen Theaters.

Will man die Motive für das abnorme Verhalten dieser Spezies tiefenpsychologisch ergründen, zeigt sich hier oft eine diffuse Abneigung gegen Massenhysterien jeglicher Coleur. Unwahrscheinlich auch, dass der WM-Verweigerer in seinem Jugendzimmer Michael-Jackson-Plakate aufhängte oder vor dem Hausboot der Kelly Family campierte. So wird er weder Lena Meyer-Landruts Eurovisions-Sieg gefeiert haben, noch als Prinz im örtlichen Karnevalsverein kandidieren. 

Mops mit Poldi-Trikot in der Stuttgarter Innenstadt bei der Feier zum deutschen Sieg gegen England.

WM 2010 - Niederlande - Slowakei

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So machen Sie sich lächerlich:

Fußballmuffel aufgepasst: Entlarvend für einen WM-Verweigerer sind vor allem Telefonanrufe kurz vor oder gar während des Spiels - damit können selbst langjährige Freundschaften auf Dauer Schaden nehmen.

Es empfiehlt sich auch nicht, bei fußballspezifischen Belästigungen während der WM zu ausfallend zu reagieren. Sagt etwa der Lockführer bei einer Bahnfahrt den Zwischenstand eines Fußballspiels durch, sehen Sie von Proteststürmen und Klageandrohungen wegen Ruhestörung ab - die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Mehrheit der Reisenden gegen Sie wendet, ist zu groß. Für dieses Ausmaß an Zivilcourage scheint Deutschland schlichtweg noch nicht bereit zu sein.

Was das Blamagepotential angeht, kann man den WM-Verweigerer allgemein in zwei Gattungen unterteilen: Die Desinteressierten und die Radikalen. Von Ersteren geht für die Allgemeinheit wenig Gefahr aus - sieht man einmal vom naturgemäßen "Spaßbremsenfaktor" ab. Letztere hingegen tendieren dazu, das von den anderen so lange herbeigesehnte deutsche "Wir-Gefühl" mit durch Schadenfreude motivierten Aktionen zu attackieren. Ein Klassiker: Bei einer Niederlage der Deutschen hupend durch die leeren Straßen fahren und die Fahne der gegnerischen Mannschaft schwenken. Großer Spaß für den radikalisierten WM-Verweigerer, der ihm aber durchaus gefährlich werden könnte.

Holländischer Fan während des Spiels Niederlande-Slowakei im Stadion von Durban.

DFB-Vertreter überreichen Merkel signiertes WM-Trikot

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So schinden Sie Eindruck:

Liebe WM-Verweigerer, geben Sie nicht auf! Versuchen Sie lieber, den ganzen Zirkus zu intellektualisieren. Beispielsweise mit einem spontanen Kurzreferat zum Thema: "Das Phänomen der Fangesänge unter soziologischen sowie musikwissenschaftlichen Aspekten betrachtet". Ihre Freunde werden sich freuen.

Oder seien Sie konziliant. Schlagen Sie eine Patenschaft vor: Der WM-Verweigerer löst jene ab, die das Spiel nur zu gerne sehen würden, aber nicht dürfen. Busfahrer, Polizisten und Krankenschwestern wären auf ewig dankbar - und der nationale Frieden wiederhergestellt.

DFB-Vertreter überreichen Angela Merkel im Beisein von Bundestrainer Jogi Löw ein signiertes Trikot und den WM-Ball.

WM 2010 - Feature

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Zitieren Sie:

Tocotronic - die Band, die für fast jede Form der Verweigerung eine Weisheit parat hält. In diesem Fall nicht hundert Prozent passend, aber in leicht abgeänderter Form auch für alle WM-Verzagten anwendbar. Ersetzen Sie einfach "Tennis" mit dem "F-Wort" und singen Sie von Herzen mit:

"Ich wünschte, ich würde mich für Tennis interessieren

Das Spiel ist sicherlich nicht schwierig zu kapieren

Ich wäre ganz bestimmt ein Anderer als ich's jetzt bin

Es wäre unbedingt ein Leben mit mehr Sinn

Es ist schon seltsam, dass ich jetzt so etwas von mir lasse

Gerade weil ich doch schon immer alle Ballsportarten hasse

Doch ich muss meine alte Meinung revidieren

Ich wünschte, ich würde mich für Tennis interessieren

Es ist besser, vor dem Stumpfsinn zu kapitulieren

Ich wünschte, ich würde mich für Tennis interessieren."

Ein Elefant spielt Fußball im Knysna Elephant Park in Südafrika.

Und beim nächsten Mal haben wir wieder etwas massentauglicheres für Sie - bis zum Donnerstag!

© sueddeutsche.de/rus/bgr
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