Süddeutsche Zeitung

Anfangsjahre des Bauhauses:Republik des Geistes

In Weimar begründeten Henry van de Velde und Walter Gropius das Bauhaus, das gesellschaftliche Schranken niederreißen sollte. Die Impulse gaben Reformbewegungen noch vor dem Ersten Weltkrieg.

Von Sandra Danicke

Bauhaus Thüringen. Noch im vergangenen Jahr hätten viele Menschen hinter der Kombination der zwei Substantive womöglich die Neueröffnung eines Heimwerkermarktes vermutet. Die Tatsache, dass die berühmteste Kunst- und Designakademie in jenem ostdeutschen Bundesland ins Leben gerufen wurde, das vor allem für seine ausgedehnten Wälder und mittelalterlichen Dörfer geschätzt wird, war bis zu diesem Jubiläumsjahr mit all seinen Feierlichkeiten und Eröffnungen ein wenig in Vergessenheit geraten. Wer sich nicht so genau auskannte, verband mit der Hochschule Bauhaus in erster Linie die Stadt Dessau, wo die Institution zwischen 1925 und 1932 ihre schillerndsten Jahre erlebte. Geboren wurde die Idee eines revolutionären Gestaltungsansatzes, dessen grundsätzliche Prinzipien bis heute fortwirken, jedoch in Weimar - und zwar bereits Jahre vor dem Ersten Weltkrieg.

Schon vor dem Ersten Weltkrieg gab es Ideen zu einer ästhetischen Erziehung

Entscheidende Impulse gingen von der Kunstgewerbebewegung aus, zu der etwa der Deutsche Werkbund zählte. Deren Vertreter hatten bereits zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts konkrete Vorstellungen zur Reformpädagogik entwickelt und die Idee eines alle Künste vereinenden Gesamtkunstwerkes sowie der ästhetischen Erziehung in allen Lebensbereichen verfolgt. Als zentral für die Vorgeschichte des Bauhauses erwies sich der belgische Architekt und Designer Henry van de Velde, der 1902 das Kunstgewerbliche Seminar, eine Beratungsstelle für Handwerk und Gewerbe, im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach gegründet hatte, das dann 1908 in die Großherzoglich Sächsische Kunstgewerbeschule überging. Bis 1915, als die Lehranstalt kriegsbedingt geschlossen wurde, war van de Velde deren Leiter. 1919 übernahm der Architekt Walter Gropius nicht nur die Funktion, sondern auch die von seinem Vorgänger zwischen 1904 und 1911 errichteten Gebäude sowie Reste der Ausbildungswerkstätten, Maschinen, Werkzeuge und Materialien. Gropius war es auch, der am 1. April 1919 die Vereinigung der Kunstgewerbeschule mit der Großherzoglichen Kunsthochschule zum Staatlichen Bauhaus Weimar veranlasste.

Ein Grundgedanke der Schule war es, die Trennung von Handwerkern und Künstlern zu überwinden und dadurch gesellschaftliche Unterschiede aufzuheben. So repräsentierte die Institution den Geist des Aufbruchs, der politisch in der Weimarer Verfassung zum Ausdruck kam. Die Kunst sollte wieder gesellschaftlichen Aufgaben dienen, die Trennung in kunsthandwerkliche Disziplinen aufgehoben werden. Statt akademischer Lehre setzte das Bauhaus auf ein pluralistisches Bildungskonzept und die individuelle Entfaltung gestalterischer Talente. Akademische Zugangsbedingungen gab es nicht mehr.

"Meine Idee von Weimar ist keine kleine. . .", schrieb Gropius damals. "Ich glaube bestimmt, dass Weimar gerade um seiner Weltbekanntheit willen der geeignetste Boden ist, um dort den Grundstein einer Republik der Geister zu legen." Bis dahin war die Stadt vor allem als Zentrum der Weimarer Klassik bekannt, doch jetzt avancierte sie zu einem Treffpunkt der europäischen Avantgarde. Namhafte Künstler wurden als Meister ans Bauhaus berufen: Gerhard Marcks, Lyonel Feininger, Johannes Itten, Paul Klee, Oskar Schlemmer, Wassily Kandinsky und László Moholy-Nagy.

Bis heute strömen Touristen in Weimar vornehmlich zu den Häusern von Goethe und Schiller. Wenngleich das unlängst zum Jubiläum eröffnete Bauhaus-Museum - ein von der Berliner Architektin Heike Hanada entworfener minimalistischer Kubus - mittlerweile ebenfalls zu den Top-Sehenswürdigkeiten der Stadt zählt. Zu sehen sind hier Schätze der weltweit ältesten autorisierten Bauhaus Sammlung: Nach dem Wegzug nach Dessau übergab Walter Gropius 1925 den damaligen Staatlichen Kunstsammlungen zu Weimar 160 Werkstattarbeiten, die vor Ort entstanden waren. Inzwischen ist die Sammlung auf beachtliche 13 000 Objekte angewachsen. Darunter befinden sich naturgemäß diverse Ikonen des modernen Industriedesigns wie die berühmte Tischlampe von Wilhelm Wagenfeld und Carl Jakob Jucker, der leichte Lattenstuhl von Marcel Breuer und die von Marianne Brandt geschaffene Teekanne aus Silber und Ebenholz, die übrigens den Rekord für den höchsten Preis hält, der jemals für ein Bauhaus-Objekt gezahlt wurde: 361 000 US-Dollar. Ebenfalls ausgestellt sind Möbel von Ludwig Mies van der Rohe, Arbeiten von Paul Klee, László Moholy-Nagy und Lyonel Feininger, sowie Zeitdokumente, die einen Überblick über die Entwicklung der einflussreichen Design- und Kunstschule bieten.

Seit 1996 heißt die Hochschule, an der einst Design-Geschichte geschrieben wurde, Bauhaus-Universität Weimar. Das heute von verschiedenen Fakultäten genutzte Hauptgebäude von Henry van de Velde gehört zum Unesco-Welterbe und beeindruckt unter anderem durch die sprossenfrei gekrümmten Atelierfenster im oberen Geschoss und die ellipsenförmige Haupttreppe. Im Gebäude der ehemaligen Kunstgewerbeschule, das zwischen 1904 und 1906 ebenfalls nach Plänen von van de Velde als Werkstatt- und Ateliergebäude errichtet wurde und ebenfalls zum Unesco-Welterbe zählt, befindet sich heute die Fakultät Gestaltung. Im Treppenhaus kann man drei restaurierte Wandarbeiten von Oskar Schlemmer bewundern. Die übrigen Räume darf man nur bei geführten "Bauhaus-Spaziergängen" besichtigen, darunter diverse Ateliers sowie das Gropius-Zimmer, das als weltweit erste gesamtheitliche Raumkomposition der Moderne gilt.

Leider hat sich das Zimmer nicht im Originalzustand erhalten. Erst im Zuge der Sanierung des Hauptgebäudes 1997 beschloss die Universität, das ehemalige Direktorenzimmer zu rekonstruieren und als nutzbaren Arbeitsraum einzurichten. Gropius hatte es 1923 für die "Große Bauhausausstellung", die erste imposante Selbstdarstellung des Institutes, entworfen. Er ließ vom rechteckigen Raum einen fünf Kubikmeter großen Kubus abtrennen und gestaltete ihn nach seinen Vorstellungen.

Das erste Musterhaus wurde wegen seiner schlichten Form belächelt

Die einzige in Weimar außerhalb des Universitätsgeländes realisierte Bauhausarchitektur ist übrigens das von Georg Muche für sich und seine Frau entworfene Haus am Horn, ein Musterhaus, das ebenfalls zur ersten großen Bauhausausstellung errichtet wurde. Damals wurde das Gebäude, das sich in Weimar an einem Hang in unmittelbarer Nähe zu Goethes Gartenhaus befindet und als Bestandteil einer Siedlung geplant war, wegen seiner schlichten Formen belächelt. Es war offenbar seiner Zeit voraus.

Wer sich in Weimar auf die Spuren der Bauhaus-Protagonisten begibt, wird an zahlreichen Orten fündig: von den Wohnhäusern Walter Gropius', Oskar Schlemmers, Paul Klees, Georg Muches oder Wassily Kandinskys über die Buchbinderwerkstatt Otto Dorfner, wo unter der Leitung von Paul Klee und Dorfner die Grundlagen für die moderne Einbandkunst gelegt wurden, bis hin zur Gaststätte Ilmschlößchen, wo die Bauhaus-Meister ihre Feste feierten. Wobei es sich dabei nicht um Bauhaus-Architekturen handelt. Die wiederum sind in Thüringen anderswo zu bestaunen - etwa in Jena, wo Walter Gropius 1924 zusammen mit Adolf Meyer ein Haus aus zwei einander durchdringenden Quadern für den Physiker Felix Auerbach entwarf. Oder in Probstzella, wo das von Alfred Arndt 1925 bis 1927 erbaute monumentale "Haus des Volkes" steht, dessen Baukörper zugleich traditionelle und moderne Elemente aufweist. Bemerkenswert ist auch das Holzhaus, das Ernst Neufert 1929 in der thüringischen Gemeinde Gelmeroda für sich und seine Familie aus vorgefertigten Bauteilen in einer von ihm entwickelten Holzskelettbauweise errichtet hat. Ebenfalls in Gelmeroda befindet sich eine Kirche, die als eines der zentralen Motive des Malers Lyonel Feininger berühmt wurde. Über ein Dutzend Gemälde und unzählige Zeichnungen, Drucke und Aquarelle sind von dieser Kirche mit der weit in den Himmel dringenden Turmhaube überliefert.

Besonders eindrücklich lässt sich die Geisteshaltung, die zur Gründung der Kunst- und Designhochschule geführt hat, in Gera erleben, wo Henry van de Velde 1913 / 14 und somit deutlich vor der Gründung des Bauhauses mit seinem Gebäude für den Textilfabrikanten Paul Schulenburg ein architektonisches Meisterwerk geschaffen hat. Noch heute zeigen die historischen Räume wie van de Velde das Gebäude bis ins Detail hinein als Gesamtkunstwerk gestaltet hat - und damit ein zentrales Anliegen des Bauhauses bereits vorab in die Tat umgesetzt hatte.

Zehn Jahre später glaubte man in Thüringen nicht mehr an die Ziele der Reformbewegung. Bei den Landtagswahlen 1924 erzielte der rechte Thüringer Ordnungsbund die Mehrheit und veranlasste umgehend die Kürzung des Bauhaus-Etats um die Hälfte; die Verträge der Lehrenden wurden zum 31. März 1925 gekündigt. Gropius und die Bauhaus-Meister zogen die Konsequenzen und kündigten ihrerseits. Das Bauhaus zog weiter nach Dessau.

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SZ vom 25.09.2019
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