Warhol-Auktion in New York:Teuerste

Warhol-Auktion in New York: Eine von einigen: Andy Warhols "Shot Sage Blue Marilyn" (1964).

Eine von einigen: Andy Warhols "Shot Sage Blue Marilyn" (1964).

(Foto: Christie's Limited Images 2022)

An diesem Montag wird in New York Andy Warhols blaue "Marilyn" versteigert. Schätzpreis: 200 Millionen Dollar. Wird es das teuerste Bild des 20. Jahrhunderts?

Von Till Briegleb

Es gibt Momente, da scheint es, als ob der Kunstmarkt seine eigene Propaganda glaubt. So ein Moment ist der Vergleich von Andy Warhols Farbdruck "Shot Sage Blue Marilyn" mit der Mona Lisa durch das Auktionshaus Christie's in New York. Um Warhols 1964 produzierten Print für einen Schätzpreis von 200 Millionen Dollar aufrufen zu können, wird mit Superlativen in der Produktwerbung nicht gegeizt. Die im Deutschen etwas merkwürdig klingende Höchststeigerungsform von "ikonisch" wird als "most iconic" von Christie's ebenso benutzt wie andere schwer steigerungsfähige Attributierungen wie "überragend", "selten" und "berühmt" - wahlweise für das Bild oder den Künstler.

Für den "ikonischsten" Statuswert braucht es natürlich einen Preis, der nicht zu toppen ist. Sollte der ein Quadratmeter große Siebdruck bei der Abendauktion am Montag den Schätzwert erreichen, wäre das der höchste Auktionspreis für ein Kunstwerk des 20. Jahrhunderts und die Blaue Marilyn das zweitteuerste je versteigerte Bild. Nur das fälschlich Leonardo da Vinci zugeschriebene Gemälde "Salvator Mundi", das der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman 2017 für 450 Millionen Dollar ebenfalls bei Christie's ersteigerte und heute angeblich auf seiner Yacht spazieren fährt, brachte mehr ein.

Je öfter man dasselbe betrachtet, "desto besser und leerer fühlt man sich", stellte Warhol fest

Die so von Christie's produzierten Schlagzeilen wurden in den vergangenen Wochen rund um den Globus erstaunlich kritiklos nacherzählt. Die Frage, wie sich dieser kunsthistorische und finanzielle Wert eigentlich ermittelt, und ob er selbst in diesem von irrationalen Gierwerten verzerrten Markt gerechtfertigt ist, stellte sich nahezu kein Artikel. Dabei verdient die Behauptung, speziell diese Marilyn sei die Mona Lisa des 20. Jahrhunderts und damit eine eigene Super-Premium-Kategorie im Auramarkt der Kunst, schon ein paar Einwände.

Während es die Mona Lisa nur einmal gibt, in Drucken aber millionenfach für ein paar Dollar, war der Siebdruck von Marilyn Monroe, den Andy Warhol 1964 in seiner "Factory" schuf, von Beginn an eine Serie. Allein vier weitere Varianten in anderen Farbkompositionen wurden im gleichen Arbeitsvorgang nach Vorlage eines Promotionfotos für den Film "Niagara" hergestellt. Aber bereits 1962, im Todesjahr der so erfolgreichen wie traurigen Filmschauspielerin, hatte Warhol mit dem Motiv einen "Marilyn Diptych" erschaffen, der heute im Depot der Tate Gallery in London lagert. Im gleichen Jahr setzte er das Konterfei auf einen Golduntergrund. Und ab 1967 schuf Warhol mit seinem Druckereibetrieb "Factory Additions" weitere Varianten desselben Motivs, etwa das zehnteilige "Portfolio", das heute im MoMA in New York hängt.

Vielleicht meint Christie's mit "most iconic" also eher jene Form der Ikonenreproduktion im Bereich der orthodoxen Kirche, wo alle Gläubigen eine zu Hause hängen haben. Denn natürlich gibt es Warhols Marilyns auch als Re-Prints für jedermensch, ganz im Sinne des Erfinders. Der laut Christie's berühmteste Künstler Amerikas hatte über Kunstwiederholung, wie er sie mit der Marilyn exzessiv betrieb, eine dezidierte Meinung, die man aber als Verkäufer lieber nicht an Kunden weitergibt, wenn man 200 Millionen Dollar von ihnen will: "Je öfter man genau dasselbe betrachtet, desto mehr verschwindet die Bedeutung, und desto besser und leerer fühlt man sich."

1964 schoss Dorothy Podber der Leinwand-Marilyn in die Stirn. Rechtfertigt das den Preis?

Wenn es also keinen vernünftigen Grund gibt, warum die blaue Marilyn die Mona Lisa unserer Zeit sein soll, und nicht die in Orange, Rosa oder Gold, dann muss man die Begehrlichkeit nach speziell diesem Druckerzeugnis aus Warhols Fabrik vermutlich auf einen Gewaltakt zurückführen, der in Christie's Auktionsankündigung gar nicht erwähnt wird. Die eher erfolglose Aktionskünstlerin Dorothy Podber besorgte sich ihre 15 Minuten Ruhm, indem sie 1964 in der Factory mit einer kleinen Pistole auf vier Drucke schoss, die dort an der Wand lehnten. Die Kugel durchbohrte allen Monroes die Stirn, weswegen die Exemplare auch den Serientitel "Shot Marilyn" erhielten.

Aber auch dieser Akt multipler Kopfschüsse, der als Kaufanreiz während des Kriegs in der Ukraine noch makaberer wirkt als sonst schon, rechtfertigt es nicht, den absolut singulären Charakter des einen Motivs zu behaupten, es als "eines der größten Gemälde aller Zeiten" zu etikettieren und als "einmalige Gelegenheit" zu einem Preis zu versteigern, der bereits für die orange Marilyn schon mal privat gezahlt wurde. Und das, obwohl es nicht mal ein "Gemälde" ist. Doch das wird niemand interessieren, der sich an dem Wettbieten beteiligt. Argumente haben auch Mohammed bin Salman nicht davon abhalten können, einen "Leonardo" zu kaufen, der schon damals eher als Werkstattarbeit eingeschätzt wurde, was inzwischen in einer offiziellen Herabstufung des Weltsegners zur Kategorie "überwacht durch Leonardo" bestätigt wurde. Hauptsache, der Preis ist hoch genug, um das eigene Ego abzubilden.

Das Positive an der unseriösen Verklärung eines Serienmotivs zum Jahrhundertereignis ist der Versteigerungszweck. Zusammen mit mehr als hundert Werken aus der Schweizer Privatsammlung von Thomas und Doris Ammann, die an zwei Auktionstagen am 9. und 13. Mai zum Verkauf stehen, wird die erschossene salbeiblaue Marilyn gehandelt, um die Bildung von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Die Thomas und Doris Ammann-Stiftung, die nach dem Tod der beiden Züricher Galeristen bei Christie's ihre Kunstwerke meistbietend verkauft - darunter auch Gemälde von Martin Kippenberger, Sigmar Polke, Cy Twombly und Jean-Michel Basquiat - darf laut vorsichtigen Schätzungen mit mindestens 350 Millionen Dollar Rückfluss rechnen. Wobei es Experten gibt, die angesichts der enorm unwidersprochenen Ikonenpropaganda durch den Versteigerer sogar erwarten, dass Warhols Dutzendware in Salbei allein zum teuersten Gemälde, pardon: Siebdruck aller Zeiten werden könnte.

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