Andy Warhol in Köln:Kirche, Kunst und Queerness

Andy Warhol Now

Schön wie eine Heilige: "Round Marilyn" (1962) zeigt die Schauspielern vergoldet.

(Foto: Udo und Anette Brandhorst Sammlung /2021 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. Licensed by Artists Rights Society (ARS), New York)

Das Museum Ludwig in Köln zeigt Andy Warhols Weg vom Immigrantenkind zur Pop-Art-Ikone.

Von Alexander Menden

Am 3. Juni 1968 war Andy Warhol bereits klinisch tot. Dann öffnete ein Chirurg seinen Brustkorb und brachte ihn mit einer Herzmassage wieder zurück. Kurz zuvor hatte die Radikalfeministin Valerie Solanas Warhol in seiner New Yorker Factory abgepasst und mit Schüssen in Hals, Milz und Leber lebensgefährlich verletzt. Die Ärzte des Columbus Hospital mussten den Künstler in einer fünfstündigen Notoperation retten.

Ein gutes Jahr darauf ließ Warhol seinen durch diesen Eingriff vernarbten Torso von Richard Avedon fotografierten. Weiße Flickstreifen teilen Bauch- und Brustfläche in Segmente. Mit der Linken zieht Warhol den Gummibund seiner Unterhose ein Stückchen nach unten, um noch mehr Fleisch dem Blick freizugeben. Die Rechte verdeckt seinen Nabel. Es wirkt mehr wie Mapplethorpe als Avedon.

Der Interpretation von "Andy Warhol Now", der nun mit langer, lockdownbedingter Verspätung eröffneten Ausstellung des Kölner Museums Ludwig zufolge, übernimmt Warhol hier die Bildsprache katholischer Heiligenbilder - ein Zeigen von Wundmalen wie beim Heiligen Rochus oder Padre Pio. Ein Verweis auf Warhols Wurzeln in der Ruthenischen Kirche, die Teil der katholischen Kirche ist, aber dem Byzantinischen Ritus folgt.

Die Ausstellung betont Warhols Verwurzelung in der ostkatholischen Kultur der slowakischen Karpaten

Von einer frühen Darstellung ruthenischer Zwiebeltürme an, die in dieser - erfreulicherweise chronologisch gehängten - Ausstellung gezeigt werden, über das Memento Mori des großen Schädel-Siebdrucks "Skull" (1976) bis hin zur Reproduktion des S (Tut Buße und sündigt nicht mehr!) wird in Köln die Verwurzelung Warhols in der ostkatholischen Kultur der slowakischen Karpaten betont, aus denen seine Eltern nach Amerika eingewandert waren. Andrew Warhola, 1928 in Pittsburgh geboren, war als jüngster von drei Söhnen Teil der ersten Generation gebürtiger Amerikaner in seiner Familie. Dieses Immigrantenmotiv ist neben Warhols schwuler Identität ein kuratorischer Hauptankerpunkt für "Andy Warhol Now". Zeitgeistig, also zumindest in dieser Hinsicht durchaus im Sinne Warhols.

Einige von Warhols Hauptwerken, wie die Brillo-Kartons und der Doppel-Elvis, sind Teil des Kernbestandes der Ludwig-Dauerausstellung. Deren Dauerpräsenz mag der Grund dafür sein, wie sehr es überrascht, dass es seit 30 Jahren keine umfassende Warhol-Werkschau mehr in dem Kölner Museum gegeben hat. Nun hat man besonders umfassend aufgefahren. Im Vergleich zur ersten Station der Schau in der Londoner Tate Modern, wurde die Anzahl der Exponate auf mehr als 100 erweitert, die Präsentation noch opulenter gestaltet.

So sind mehr Plattencover und mehr Ausgaben des Interview-Magazins zu sehen. Die "Screentest"-Serie, für die Warhol Besucher wie Marcel Duchamp oder Dennis Hopper minutenlang alleine vor eine Kamera setzte, ist gleich zu Beginn auf einer riesigen Bildschirmwand zu sehen, die mehrere dieser Mini-Filmporträts gleichzeitig zeigt. Obwohl Masse das Werk eines Künstlers nicht in jedem Fall besser verstehen hilft, ist gerade Masse bei Warhol Teil des Konzepts. Dennoch hängt selbst bei einer solch umfassenden Werkschau der Erfolg vor allem von der Auswahl ab.

Die Schau stellt erotisierende Porträts und Aktzeichnungen zwischen Ikonografisches

Hier haben die Kuratoren sich für einen biografischen Ansatz entschieden, der die betont distanzierte - und distanzierende - Ästhetik Warhols positivistisch und individualisierend gegen den Strich zu bürsten versucht. So kompliziert Warhols Verhältnis zur eigenen Körperlichkeit war, so unbefangen war sein Umgang mit seiner sexuellen Orientierung. Erotisierte männliche Porträts und Aktzeichnungen aus den Fünfzigerjahren illustrieren sie ebenso wie der fünfstündige Film "Sleep" (1963), der John Giorno, den damaligen Liebhaber des Künstlers, fünf Stunden lang im Schlaf beobachtet. Die Kölner Schau platziert diese Arbeit zwischen dem im gleichen Jahr entstandenen Liz-Taylor-Siebdruck und "Round Marilyn", einem Monroe-Porträt auf Goldgrund.

Inwiefern eine solche Kontextualisierung wirklich einen frischen, queeren Blick auf all diese Werke eröffnet, ist fraglich. Wer Taylor und Monroe als "gay icons" kennt - im Falle Marilyns ist hier sogar die Ikonenästhetik zitiert -, wird jedenfalls kaum einen Erkenntnisgewinn aus dieser Reihung ziehen. "Sleep", zusammengebaut aus fünfzig dreiminütigen Schnipseln und in Zeitlupe projiziert, ist jedenfalls weniger ein erotisches Fanal als ein formelles Experiment.

Andy Warhol Now

Mit seiner sexuellen Orientierung ging Warhol unbefangen um. "Altered Image", ein Foto, das Christopher Makos 1981 machte.

(Foto: Christopher Makos/makostudio, 1981)

Der Anteil an seriellen Siebdruck-Porträts ist vergleichsweise gering. Natürlich, das "Marilyn Diptych" und die Campbell-Suppendosen (beide 1962), Liz Taylor (1963) und Mao (1973), später dann auch Mick Jagger (1975) und Debbie Harry (1980). Aber es ist eine eklektische Auswahl, die der Nivellierung des seriellen Produktionsprozesses letztlich entgegenläuft. Ausgerechnet die in ihrer bunten, subversiven Verspieltheit nach wie vor faszinierende "Electric Chair"-Serie (1971), erstmals 1963 als Teil der "Death and Disaster"-Gruppe entstanden, wird in Köln fast verschämt in einem Seitentrakt gezeigt.

Dabei ist die Erkenntnis jenes Desensibilisierungseffekts, der mit der Wiederholung selbst grausigster Bilder einhergeht, eine von Warhols scharfsinnigsten. Immerhin, die Unfall- und Selbstmordbilder aus "Death and Disaster" bekommen einen eigenen Raum. Ganz ausgespart bleibt hingegen sein Schaffen als Werbekünstler, obwohl es doch sein Diktum belegt, nach dem "gutes Business die beste Kunst" sei.

Warhol verpasste das Internetzeitalter, in dem seine Ästhetik ihre Erfüllung fand

Die offensive Vorwegnahme der Marktkompatibilität zeitgenössischer Kunst, die heute alles bestimmt, war und ist Warhols wirkungsvollste Tat. Sie stellte einen solchen Bruch mit der traditionellen Kunstwahrnehmung dar, dass der Australier Robert Hughes, einer der bedeutendsten Kritiker des 20. Jahrhunderts, sich zu der Aussage hinreißen ließ: "Andy Warhol war einer der dümmsten Menschen, die ich in meinem Leben getroffen habe - er hatte nichts zu sagen."

Doch dies war bewusste Haltung: Warhol war der wichtigste Exponent einer Kunst, für die Oberfläche, Reproduzierbarkeit, kommerzielle Verwertbarkeit und vor allem ein sich zutiefst ernst nehmender Unernst lange Zeit die vorherrschenden Prinzipien wurden. Warhols Factory war der Ausgangspunkt für das dieser Kunst zugrunde liegende, bei aller prätentiösen Lächerlichkeit durchaus beeindruckende künstlerische Selbstbewusstsein.

Andy Warhol Now

Die interessanteste Entdeckung zum Thema Gender-Identität: Die Reihe "Ladies and Gentlemen". Hier "Helen/ Harry Morales", 1975.

(Foto: Patrick Goetelen, Tate London/ 2021 The Andy Warhol Foundation for the Visual Arts, Inc. Licensed by Artists Rights Society (ARS), New York)

Die am Schluss gezeigten Filme über so diverse Themen wie Polo und Mode, über Figuren wie John Waters und Philip Glass, produziert unter anderem für MTV, waren daher der vielleicht reinste Warhol. Dass er bereits 1987 mit nur 58 Jahren nach einer Gallenblasen-Operation starb, verhinderte, dass er das Internetzeitalter erlebte, in dem seine Ästhetik schließlich ihre Erfüllung fand.

Zu behaupten, Warhol sei ein politischer Aktivist der Pop Art gewesen, wie etwa sein jüngerer New Yorker Zeitgenosse Keith Haring, so weit geht die "Andy Warhol Now" nie. Dennoch gelingt es der Schau nicht wirklich, das gleichbleibend milde Quasiinteresse, mit dem Warhols Œuvre Menschen, Objekten und Ideen begegnet, so weit umzubiegen, dass daraus auch inhaltlich eine queere Einwanderergeschichte wird.

Die sicherlich interessanteste Entdeckung in Bezug auf das Thema Gender-Identität ist jedenfalls zweifellos die weniger bekannte Reihe "Ladies and Gentlemen". Im Auftrag des italienischen Kunsthändlers Luciano Anselmino porträtierte Warhol 1975 Drag Queens aus seinem eigenen New Yorker Freundeskreis. Die glamouröse Lebensfreude, die aus diesen Bildern spricht, bildet ein unerwartetes und erfreuliches Gegengewicht zur relativistisch-morbiden Grundstimmung vieler anderer Arbeiten.

Andy Warhol Now. Museum Ludwig, Köln. Bis 12.6. Der Katalog kostet 38 Euro.

Zur SZ-Startseite

Caspar David Friedrich in Düsseldorf
:Majestätisch entrückt

Wer herrscht über Land und Meer? Eine Ausstellung im Kunstpalast zeigt "Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Romantiker" - eine spannungsreiche Beziehung.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: