Schwerpunkt: Männlichkeit in der Literatur:Handbuch zur Entgiftung

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Smiler weist darauf hin, dass mehrere Männlichkeits-Modelle nebeneinander existieren können. Manchmal verliert man in seinem Buch aber den Überblick. (Foto: imago stock&people/imago images/Ikon Images)

Der amerikanische Psychologe Andrew Smiler bezeichnet sich selbst als "Experten für das männliche Ich". Sein neues Buch ist eine Art Überblick über Männlichkeits-Modelle - das es sich etwas zu einfach macht.

Von Benjamin Ansari

Traditionelle Männlichkeitsideale sind in der Krise: Rechtsextreme Politiker zelebrieren sie unreflektiert, einflussreiche Hollywood-Produzenten missbrauchen sie, misogyne Internet-Subkulturen pervertieren sie. Sie alle stehen für sogenannte toxische Männlichkeit. Gleichzeitig setzt sich aber die Erkenntnis doch immer mehr durch, dass Rollenbilder soziale Konstrukte sind, die sich historisch verändern und kulturell variieren.

Der Psychotherapeut Andrew Smiler nennt sich "Amerikas führender Experte für das männliche Ich". Er ist spezialisiert auf die therapeutische Arbeit mit Männern und hat mehrere Bücher zu dem Thema veröffentlicht. Sein neues Buch "Ist Männlichkeit toxisch?" erscheint in Deutschland in einer Sachbuchreihe, die sich bewusst polarisierender Themen annimmt: Veganismus, Kapitalismus. Smilers Buch steht da nun für die virulente Debatte um Gender und Männlichkeit. Die findet sich auch im Bücherregal: 2019 legte der Matthes-und-Seitz-Verlag Klaus Theweleits "Männerphantasien" mehr als 40 Jahre nach der Erstveröffentlichung wieder auf. Ein Epochalwerk, das man als Beginn der Männerforschung in Deutschland sehen kann. Nach JJ Bolas "Sei kein Mann" (Hanser, siehe Interview) wird in diesem Herbst auch Susanne Kaisers Buch "Politische Männlichkeit: Wie Incels, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobil machen" bei Suhrkamp erscheinen.

Marlboro erfand den rauchenden Cowboy, um mehr Männer anzusprechen

Diese Bücher setzten unterschiedliche Schwerpunkte, und Smilers "Ist Männlichkeit toxisch?" ließe sich als eine Art Handbuch lesen, das einen Schritt zurückgeht, einordnet und einen Überblick verschafft. Smiler beleuchtet verschiedene Männlichkeitsideale, von der griechischen Antike über das mittelalterliche Japan bis ins postindustrielle Zeitalter. Zum Beispiel zeigt er, wie der europäische Landadel des 16. und 17. Jahrhunderts den "guten Hirten" zum Rollenvorbild erhob: Ein Mann, der für Land, Vieh und Familie sorgt, gute Manieren hat und ein moralisches Vorbild ist. Befeuert von Kapitalismus, Industrialisierung und Urbanisierung, entstand dann die heute gültige westliche Definition von Maskulinität: Smiler nennt sie "Manbox".

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Sie verleite Männer dazu, nach Geld und Macht zu streben, als weiblich konnotierte Verhaltensweisen und starke Gefühle - außer Zorn und Wut - zu meiden. Dieses Rollenbild, so Smiler, verstärke männliche Gewalt und perpetuiere eine "hegemoniale Männlichkeit", die dominanten Männern eine höhere soziale Stellung garantiere. Dieses Ideal schade Frauen und anderen Geschlechtsidentitäten, aber auch den Männern selbst: Weltweit sterben sie früher als Frauen, in Deutschland fast fünf Jahre, in Russland zehn. In fast allen Ländern begehen Männer häufiger Suizid als Frauen - Symptome einer toxischen Kultur, die Emotionen verdrängt, anstatt sie zu ergründen; die Mut fordert, ohne Unsicherheit zu akzeptieren. Das männliche Opfer hat im kollektiven Bewusstsein keinen Platz.

Gleichzeitig weist Smiler darauf hin, dass Männlichkeit heute fluider ist, mehrere Modelle nebeneinander existierten, darunter sanftere Varianten wie der feinfühlige New-Age-Mann, der Metrosexuelle, der Softboy, der Rebell oder der Nerd. Vertraten Denker wie Marx, Engels und de Tocqueville im 19. Jahrhundert noch die Zwei-Sphären-Lehre, die den Geschlechtern aufgrund biologischer Unterschiede verschiedene Aufgaben zuwies, geht die Wissenschaft heute eher davon aus, dass Männlichkeit und Weiblichkeit soziale Konstrukte sind, die Gesellschaft und Kultur beeinflussen und umgekehrt.

So zeigte sich die Feminisierung von Männern hoher Schichten im 18. Jahrhundert beispielsweise in der verspielten Rocaille-Ornamentik des Rokoko. Und in neuerer Zeit konnte man an Werbekampagnen beobachten, wie sich Männerbilder verändern: Lange waren die meisten Marlboro-Konsumenten Frauen - bis die Zigarettenmarke 1954 den Marlboro Man erfand und seine ins Cowboy-Kostüm gegossene Virilität inszenierte.

Andrew Smiler: Ist Männlichkeit toxisch? Große Fragen des 21. Jahrhunderts. Aus dem Englischen von Wiebke Krabbe. Dorling Kindersley, München 2020. 144 Seiten, 12,95 Euro. (Foto: N/A)

So weit diese historischen Einsichten reichen, so gewöhnungsbedürftig ist das didaktische Konzept von Smilers Buch: Fünf Schriftgrößen sollen kursorisches Lesen ermöglichen, die größte Schrift in nur 30 Minuten informieren. Je kleiner die Schrift, als desto nachrangiger stuft der Autor die Information ein. Was wohl auf die Aufmerksamkeitsspanne des Zielpublikums zugeschnitten sein soll, überfrachtet die mit unzähligen Bildern und lexikalischen Ergänzungen versehenen Seiten aber vollends.

Es braucht neue Standards für den Durchschnittsmann

Obwohl weniger polemisch, als der Buchtitel vermuten lassen mag, macht Smiler es sich in seinen Analysen oft zu einfach, erklärt dafür aber Begriffe wie "sich produzieren" oder "Hausmann". Selbst im Fazit verwahrt er sich gegen endgültige Antworten auf die Titelfrage: Zweifellos wirke sich das heute gültige Männerbild oft negativ aus, allerdings ordneten sich die meisten Männer diesem nicht völlig unter. Was es bräuchte, seien neue Standards für den Durchschnittsmann, verschiedene Idealbilder nebeneinander zuzulassen, ohne zu werten.

Diese differenzierte, unideologische Herangehensweise zeichnet Smilers Buch aber auch aus. Wären da nur nicht so viele umständliche Plattitüden: "Wenn Menschen mit dem jeweils anderen Geschlecht besser vertraut sind, nimmt das Verständnis zu, und durch Fremdheit bedingte Antipathien nehmen ab." Gut, dass zumindest das geklärt wäre.

© SZ vom 07.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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