Ikone von Andrej Rubljow:"Die Kirche ist unersättlich"

Ikone von Andrej Rubljow: Patriarch Kyrill feiert am Sonntag den orthodoxen Pfingst-Gottesdienst in der Moskauer Erlöser-Kathedrale - neben Andrej Rubljows Ikone "Heilige Dreifaltigkeit".

Patriarch Kyrill feiert am Sonntag den orthodoxen Pfingst-Gottesdienst in der Moskauer Erlöser-Kathedrale - neben Andrej Rubljows Ikone "Heilige Dreifaltigkeit".

(Foto: Oleg Varov/AP)

Russlands Orthodoxie holt eine berühmte Rubljow-Ikone aus dem Museum in die Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale - und könnte sie so zerstören.

Von Sonja Zekri

Der Streit zwischen der russischen Orthodoxie und den Hütern der Kunst dauert mehr als zehn Jahre, nein: mehr als 100 Jahre, und nach dem aktuellen Zwischenstand liegt die Kirche vorn. Seit Sonntag ist die Dreifaltigkeitsikone von Andrej Rubljow, eine der berühmtesten des orthodoxen Christentums, in der Moskauer Christ-Erlöser-Kathedrale zu sehen, schwer bewacht, in einem gläsernen Kubus. Zwei Wochen nur soll sie dort bleiben, verspricht das russische Kulturministerium. Mindestens ein Jahr werde das Bild in Moskaus größter Kathedrale gezeigt, behauptet hingegen der russische Patriarch Kyrill, und dann ins Dreifaltigkeitskloster in Sergijew Possad umziehen, 70 Kilometer von Moskau entfernt.

Die Meinung internationaler und russischer Museumsleute zu diesem Vorgang ist eindeutig: Keine Stunde hätte die Ikone ihren Platz in der Moskauer Tretjakow-Galerie verlassen dürfen, wo sie seit mehr als einem Jahrhundert aufbewahrt wird.

2009, als die Orthodoxe Kirche die Ikone schon einmal nach Sergijew Possad hatte bringen wollen, hatten Museumsexperten an den damaligen Präsidenten Dmitrij Medwedjew geschrieben: "Die ,Dreifaltigkeit' befindet sich derzeit in einem Zustand, der keinerlei praktische ,Benutzung' nahelegt", hieß es in ihrem Brief. Damals konnten die Konservatoren die Kirche noch abwehren. Ein Kompromiss zwischen Kirche und Museum sollte die Situation entschärfen. Jedes Jahr zu Pfingsten - russisch: Dreifaltigkeit - brachten die Museumsmitarbeiter die Ikone durch einen unterirdischen Gang in eine Kirche neben der Tretjakow-Galerie, wo ähnliche klimatische Bedingungen herrschten. Drei Tage lang konnten die Gläubigen vor der Ikone beten, die dennoch unter der Obhut des Museums blieb.

Die "Dreifaltigkeit" gilt vielen als eine der schönsten des russischen Mittelalters. Der Mönch Andrej Rubljow hatte sie Anfang des 15. Jahrhunderts gemalt, in einer Zeit der Tataren-Überfälle, der Unterdrückung und religiöser Sekten, die durch den Film "Rubljow" des sowjetischen Regisseurs Andrej Tarkowskij wiederum Eingang in die Filmgeschichte fand. "Wenn Rubljows ,Dreifaltigkeit' existiert, dann gibt es einen Gott", hatte einst der russische Philosoph Pawel Florenskij geschrieben, es war eine Art ästhetischer Gottesbeweis. In Wahrheit war das Verhältnis zwischen Kirche, Kunst und Künstler komplizierter, nicht erst, seit die Bolschewisten Kirchenkunst in die Museen gebracht hatten.

Der Patriarch rechtfertigt den Krieg gegen die Ukraine als "Kampf gegen das Böse"

Nach orthodoxer Auffassung sind Ikonen keine Gemälde, sondern Fenster zum Himmel, Offenbarungen wie die Bibel. Ihr religiöser Nutzwert übersteigt nach Ansicht der Orthodoxie den künstlerischen bei Weitem. Seit langem schon fordert die Kirche deshalb die Rückgabe aller sakralen Werke. Der russische Überfall spielte ihr in die Hände: Patriarch Kyrill rechtfertigt den Krieg als Kampf gegen das Böse, als Opfergang, in dem der Tod "alle Sünden" eines Soldaten "abwäscht". Für die russische Orthodoxie ist die Ukraine noch weniger ein eigenständiges Land als für den Kreml. Dieser, so die Hoffnung, würde sich für den spirituellen Flankenschutz der Aggression irgendwann erkenntlich zeigen.

Und so erreichte Kyrill es im vergangenen Sommer tatsächlich, dass Rubljows Ikone die Tretjakow verließ und nach Sergijew Possad gebracht wurde, zum ersten Mal seit 1917. Als es nach wenigen Tagen nach Moskau zurückkehrte, registrierten die Restauratoren 61 Mängel. Ein weiterer Transport könnte das Bild irreparabel beschädigen.

Doch die Museen haben der mächtigen Orthodoxie wenig entgegenzusetzen. Die wichtigsten Häuser sind durch Führungswechsel geschwächt. In der Tretjakow-Galerie trat Jelena Pronitschewa, Tochter eines FSB-Generals, an die Stelle der international hochgeachteten Kunstexpertin Selfira Tregulowa. Im Moskauer Puschkin-Museum musste die international renommierte Marina Loschak der Kunstwissenschaftlerin Elisaweta Lichatschowa weichen. Letztere warnte jüngst immerhin vor irreparablen Schäden der Ikone.

Mitte Mai verfügte der russische Präsident Wladimir Putin die Übergabe der "Dreifaltigkeit" an die Orthodoxie - gegen vereinzelten Widerstand auch innerhalb der Orthodoxie. Der Vorsitzende eines Expertenrates für Kirchenkunst, Leonid Kalinin, hatte vor einer Beschädigung gewarnt - und war von Kyrill gefeuert worden. Dass Rubljows Ikone bald in die Tretjakow zurückkehrt, ist mehr als unwahrscheinlich. Er wisse nicht, wo das enden solle, hatte ein Museumsdirektor gewarnt: "Die Kirche ist unersättlich."

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