Bachfest Leipzig:Singet dem Herrn

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Der Thomanerchor singt zum Eröffnungskonzert des Leipziger Bachfestes in der Thomaskirche. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Der neue Thomaskantor Andreas Reize eröffnet das Bachfest Leipzig. Und bringt frischen Wind.

Von Helmut Mauró

Man ist auf Vieles stolz in Leipzig, neuerdings auch wieder ganz besonders auf das musikalische Erbe, vor allem auf den alles überragenden Johann Sebastian Bach, der hier als Leiter des Thomanerchores wirkte und dem ein eigenes Festival, das "Bachfest Leipzig", gewidmet ist. Der neue Thomaskantor Andreas Reize leitete nun das Eröffnungskonzert und gab damit seinen internationalen Einstand. Reize ist der 18. Nachfolger Bachs, man fügt dies hier gerne an, es verleiht dem aktuellen Amtsinhaber ungeheures Renommee. Für die Kantoren war es stets auch Ansporn, sich als Organist zu perfektionieren und zu komponieren. Mit Reize aber sollen neue Schwerpunkte gesetzt werden. Der Schweizer Kirchenmusiker mit Hang zur Barockoper gilt als jugendlich frisch und sportlich. Der 47-Jährige betreibe Triathlon, erzählt man sich in Leipzig noch immer mit staunender Bewunderung.

Natürlich treiben die meisten Musiker Sport, sonst könnten sie ihren Beruf schon physisch nicht bewältigen, aber Triathlon ist dabei nicht die erste Wahl. Und es stimmt, Reize wirkt tatsächlich jünger, als er ist, wenn er auf der Empore der Thomaskirche den Chor und vor allem das Orchester zu rascherem Spiel und schlankeren Klang ermuntert. Ganz so, wie man das von einer zeitgenössischen Darbietung Bachscher Werke erwartet, und wie man es bislang in Leipzig vor allem von Gastensembles hörte. Reizes Amtsvorgänger Gotthold Schwarz hat noch vergeblich versucht, den Stadtrat dazu zu bewegen, ein Alte-Musik-Ensemble zu installieren, das eine zeitgemäße Aufführung der Bachschen Werke ermöglichte. Daraus wurde nichts, und dazu muss man wissen, dass es alte Verträge gibt zwischen dem Gewandhausorchester und den Thomanern, die es unmöglich machen, andere Ensembles zuzulassen, wenn man das nicht will. Dazu sollte man auch wissen, dass das Gewandhausorchester entscheidendes Stimmrecht hat bei der Wahl zum Thomaskantor. Im Gegensatz zum Chor.

Andreas Reize, Thomaskantor und Triathlet. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Der hat gar kein Stimmrecht. Doch die Querelen um die Wahl des neuen Kantors wurden beigelegt, die aufmüpfigen Choristen standen damals kurz vor dem Abitur und sind längst verabschiedet. Der Beliebtheit des neuen Kantors bei den Leipzigern hat die Affäre nicht geschadet, mit Spannung erwartete man nun sein internationales Einstandskonzert mit Werken von Johann Sebastian Bach und dessen zweitältestem Sohn Carl Philipp Emanuel. Und da klang tatsächlich manches anders als bisher. Vielleicht nicht so, dass man sagen müsste, "Bach rockt". Damit wirbt Festivalleiter Michael Maul beim neuen Medienpartner Deutsche Welle und will offenbar die 68er-Generation in die Thomaskirche locken. Aber immerhin so, dass man eine Brise frischen Windes spürt. Reize hat sich jüngere Musiker des Gewandhausorchesters geholt und mit ihnen einen historisch informierten Klang erarbeitet, der vor allem auf vibratolose Streicher setzt und kräftige Paukisten.

Und der Chor? Klingt großartig, erscheint in Bestform. Auch wenn man zunächst etwas erschrickt, denn gleich beim ersten Stück, der Motette "Der Gerechte kömmt um" von Bach senior, setzt er sehr langsam ein, schier unendlich gedehnt, statt frischen Windes umwehen den Hörer schwere Nebelschwaden. Doch bald schon treten in Carl Philipp Emanuels Ostermusik "Gott hat den Herrn auferwecket" Trompeten und Pauken hinzu und veranstalten ein Klangfeuerwerk, das den Herrn aus dem Grabe risse, wäre er nicht längst auferstanden. Reize gibt energisch Einsätze, markiert militärisch streng Phrasen-Enden, schaufelt mit der linken Hand, schleudert den rechten Arm nach vorne, teilt mit weicher Handkante den Wind, hebt die linke zur Salvator-Mundi-Geste, Handfläche nach vorne, die Finger gekrümmt, Zeigefinger aufrecht, hüpft elastisch auf der Stelle, steht wieder stramm. Da ist er noch unentschlossen, da steht er vielleicht mit einem Bein doch in der Thomanertradition, und das ist musikalisch gut so.

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