Nachruf:Der Menschenfreund

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"Wenn jemand wichtig ist in unserer Familie, dann waren es mein Vater und meine Mutter oder mein Onkel Herrmann, der Photograph." Andreas Landshoff. (Foto: Frank Ruiter)

Zu Hause im Exil - und in der Welt der Bücher: Zum Tod des Verlegers Andreas Landshoff.

Von Michael Krüger

Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte der Nachruf in einen Satz gepasst: Am 9. Dezember 2021 starb in Amsterdam der (uneheliche) Sohn des Verlegers Fritz Landshoff und der Schauspielerin Ruth Hellberg, Andreas Landshoff; er wurde 91 Jahre alt.

Andreas Landshoff war die Bescheidenheit in Person. Am liebsten hielt er sich im Schatten seines Vaters auf, der in Amsterdam in der Keizersgracht 333 den Exil-Verlag Querido gegründet hatte, in dem von Joseph Roth bis Heinrich Mann die deutsche Literatur überlebte. Nach der deutschen Besatzung der Niederlande hob er in New York zusammen mit Gottfried Bermann Fischer den Verlag L. B. Fischer aus der Taufe und wurde schließlich Verleger des damals bedeutendsten amerikanischen Kunstverlags, Harry Abrams. Die Mutter von Andreas war die gefeierte Schauspielerin Ruth Hellberg, die ihre unzähligen Liebschaften mit Männern und Frauen kaum vor dem Sohn verbergen konnte. Er wuchs mit ihr und dem Stiefvater, dem Regisseur Wolfgang Liebeneiner, auf, der damals Chef der Ufa war. Man kann sich vorstellen, wie die Abendgesellschaften aussahen, die der kleine Andreas aus sicherer Position hinter dem Vorhang mitverfolgen konnte. Erst nach dem Krieg erfuhr er, dass er ein sogenannter "Halb-Jude" und wer sein Vater war.

Theatergeschichte, New Yorker Kunst, Exil - er erinnerte sich an alles

Andreas stieg als Lehrling bei Suhrkamp ein, arbeitete mit Ivo Frenzel beim Fischer-Taschenbuch-Verlag, später bei Kiepenheuer, und wurde dann European Editor von Abrams mit Sitz in Amsterdam, wo er in den Sechzigerjahren die großen weltweiten Co-Produktionen betreute, ohne die unter den damaligen drucktechnischen Bedingungen die großen Bestände der europäischen Malerei nicht hätten veröffentlicht werden können. Sein Hauptpartner in Deutschland war Ernst Brücher (der Bruder von Hildegard Hamm-Brücher) vom Dumont-Verlag. Die beiden unzertrennlichen Freunde haben meiner Generation mit den großen Monographien die Geschichte der Kunst vor Augen geführt.

Im Sommerhaus von Ernst Brücher (dem ehemaligen Sommerhaus des Malers Franz Lenbach), in Ambach am Starnberger See, habe ich Andreas Landshoff kennengelernt und von seinem fabelhaften Gedächtnis profitiert: Er kannte die Geschichte des Exils und die deutsche Theatergeschichte auswendig und konnte sie in tausend Anekdoten (über Gründgens und Klaus Mann, über Joseph Roth oder Heinrich George, Fritz Kortner oder Brecht) erzählen. Und natürlich wusste er auch alles über die Kunst in New York, wo er mit einer Tochter von George Tabori zusammenlebte, und Amsterdam, wo er in der Herengracht ein Haus voller Bücher und Dokumente hatte. Aber alle meine Versuche in den fünfzig Jahren der Freundschaft, ihn zu einer Autobiografie zu überreden, endeten immer in der Bemerkung: "Wenn jemand wichtig ist in unserer Familie, dann waren es mein Vater und meine Mutter oder mein Onkel Herrmann, der Photograph." 2012 hat Andreas den gesamten Nachlass des im Exil in New York verstorbenen Onkels Herrmann Landshoff, der aus München stammte und die schönsten Bilder des glamourösen und des armen Amerika gemacht hatte, der Foto-Abteilung des Münchner Stadtmuseums geschenkt.

Weil er in den letzten Jahren nur noch selten auf Reisen ging, schrieben wir uns E-Mails, besonders begehrt waren seine zusammenfassenden Geburtstagsbriefe. Aus einem der letzten will ich hier zitieren, weil seine Menschenfreundlichkeit so am besten zum Ausdruck kommt: "Ja, unsere Welt der Bücher: beim ,grossen Aufräumen' (was sich mit 91 ja so gehört), ist meine heiss geliebte Bibliothek mein grösstes Problem (kommt Dir wahrscheinlich bekannt vor!). Wie blöd, dass man die nicht ,mitnehmen' kann. Sie wird mir (uns?) so fehlen ... Ein Lichtblick ist, dass ja nun (wird auch höchste Zeit!) endlich in Berlin ein (sogar DAS!) Exil-Museum gebaut wird, mit - als Fassade - der Ruine vom Eingang in den Anhalter Bahnhof, von dem aus die meisten Exilanten das Land ja verlassen haben. Dem Museum habe ich bereits vor Jahren meine ,Exil-Bücher' als Schenkung (sprich ,Heimkehr') der Familie Landshoff versprochen. Jedoch habe ich jetzt bedacht, dass neue Generationen, nach so langer Zeit und inzwischen so mangelhafter Kenntnis, dort nicht nur im Exil erschienene Bücher sehen sollten, was ihnen natürlich nicht viel sagt, wenn man ihnen nicht auch etwas ,Zeitgeschichte' dazustellt. Und da habe ich viel über ,diese Epoche', was Biographien, Judaica, Holocaust, Antisemitismus, Widerstand betrifft (also von Goebbels' Tagebüchern, Kogons SS-Staat, Ruth Andreas Friedrichs ,Schattenmann', Nürnberger Prozesse etc. bis zu Haffner, Hitler-, Speer-, Rosenberg-Biographien, Klemperer, Götz Aly etc, etc, na, Du weisst schon ...). Damit waren sie in Berlin auch sehr einverstanden. Dann werden das doch so 600 Titel und das ist gut so ...

Übrigens: Falls Du es noch nicht hast, lass' Dir ,Jeder schreibt für sich allein. Schriftsteller im Nationalsozialismus' kommen, ein wirklich hervorragendes Buch von ... Anatol Regnier, einem ehemaligen ,Nachbarn' von Dir, mir von Kind an bekannt (als Sohn von Pamela Wedekind, die ja die grosse Liebe meiner Mutter war). Mir war er halt mehr bekannt als Gitarrist und Chansonsänger (obwohl sein Wedekind-Buch auch schon gut war).

Aber das ist grossartig, sicher auch was für Dich! Über ,für Dich' gesprochen: hast Du mal - als "Toller-Freund" - das bei Weidle erschienene "Die Göttin und ihr Sozialist" von Christiane Grautoff gelesen? Wenn nicht, lass es mich wissen (kann deine Adresse gerade nicht mehr finden) ... Jetzt mal Schluss für heute ... Fortsetzung folgt ..."

An diesem 9. Dezember kam kein Geburtstagsbrief von ihm; dafür ein Anruf von Cees Nooteboom, dass Andreas verstorben sei. Eigentlich hätte er noch einen Tag warten können.

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