Andrea Heusers Roman "Wenn wir heimkehren":Dezenter Glamour

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Andrea Heuser, deutsche Schriftstellerin und Übersetzerin, geboren 1972. (Foto: Juergen Bauer)

Ein Glücksfall: Andrea Heusers Generationenroman "Wenn wir heimkehren" macht alles richtig.

Von Kristina Maidt-Zinke

Als die Berliner Schriftstellerin Eva Sichelschmidt, durch Erfahrungen aus anderen Branchen in Marketingfragen versiert, im vorigen Jahr von einem Buchhandelsmagazin gebeten wurde, ihr aktuelles Werk in drei Wörtern "optimal" zu beschreiben, lautete ihre Antwort: "Familiengeheimnisse - Zeitgeschichte - Schmerz". Zusätzlich lieferte sie ein Verkaufsargument in Satzform: "Die jüngere Geschichte hat bei deutschen Lesern Konjunktur - während der Familienroman niemals aus der Mode kommt."

Kein Wunder, könnte man ergänzen, lässt sich dieses Genre doch, wie seine kurvenreiche Historie seit dem 18. Jahrhundert zeigt, auf jedem Niveau zwischen Trivial- und Hochliteratur wirkungsvoll bespielen. Und die jüngere deutsche Geschichte ist nun mal, was familiäre Vernebelungen und deren potenziell schmerzhafte Aufdeckung angeht, besonders ergiebig.

In den Nullerjahren setzte aus verschiedenen Gründen, zu denen sich sehr bald die passenden soziologischen Theorien bildeten, ein regelrechter Boom deutschsprachiger Familienromane ein. Damals verglich die Literaturkritikerin Sigrid Löffler das Genre, das nun etwas vornehmer "Generationenroman" hieß, boshaft mit einem abgetragenen, aber bequemen Pullover, der flexibel und dehnbar sei und die Leserseele warmhalte.

Im modernen Familienroman versucht die Erzählstimme, die Motive der Ahnen zu ergründen

Gegenwärtig erreicht der Boom einen neuen Gipfel, nur trägt man inzwischen auch zu Hause keine alten Pullis mehr, sondern sorgfältig designte Homewear-Teile, und ebenso scheint das Generationen-Epos von heute gewissen Trendmustern zu folgen, die das "optimale" Schema erweitern. Dazu gehört die Autofiktion, also die explizite Beschäftigung mit der eigenen Familiengeschichte, in deren Protagonisten man sich - nach intensiver Recherche - erzählend einfühlt, um ihre Lebensläufe, ihre Handlungen und Entscheidungen besser zu verstehen. Vordergründig geht es dabei immer noch um Schuld und Verdrängung, doch ein stärkerer Antrieb ist offenbar das Bedürfnis, in Zeiten ungewisser Zukunft wenigstens die eigene Herkunft zu erhellen, sich zu verankern in einer Tradition interessanter Schicksale, die sich zum Romanstoff adeln lassen.

Ein Paradebeispiel für dieses Format ist Andrea Heusers 600-Seiten-Epos "Wenn wir heimkehren", das die Sehnsucht nach Geborgenheit und Verwurzelung schon im Titel trägt. Die Autorin, 1972 in Köln geboren, debütierte 2008 als Lyrikerin und ließ 2014 den Roman "Augustas Garten" folgen, der das Herkunfts-Thema in bescheideneren Dimensionen verhandelt. Jetzt hat sie, angeregt durch Leerstellen und Fragezeichen in der Familienchronik, den Lebensgang ihrer Großeltern und ihres Vaters rekonstruiert und ist dabei auf so viele Verstrickungen, Irrungen und Wirrungen gestoßen, dass man unter dem Aspekt der erzählerischen Ausbeute von einem Glücksfall sprechen darf.

Die Großmutter Margot, in großbürgerlichen Verhältnissen in Luxemburg aufgewachsen, wird als 17-jährige von einem verheirateten deutschen Besatzer geschwängert und von ihren Eltern zur Ehe mit einem seiner Nazi-Kameraden gedrängt, dem sie nach Trier folgen muss. Der Stiefvater hasst den Sohn und malträtiert ihn, bis Margot mit dem sechsjährigen Fred das Weite sucht; ihre später geborene Tochter Agnes lässt sie zurück.

Man kann Heuser nicht vorwerfen, dass sie irgendeinen Effekt vernachlässigt hätte

Fred verbringt zwei Jahre in einem Kinderheim, bevor seine Mutter mit ihm im zerbombten Köln einen Neuanfang wagt. Aus der Begegnung mit dem jungen Handwerker Willi entwickelt sich eine Liebe, die lebenslang hält und alle Hindernisse und Umwege übersteht, unter anderem Margots zweite Ehe, diesmal mit einem großzügigen holländischen Unternehmer. Fred verdankt ihm seine Ausbildung, die zu einer akademischen Doppelkarriere führt, doch die Traumata seiner Kindheit wird er nicht los.

Später fahndet er nach seinem leiblichen Vater, und seine Halbschwester Agnes bemüht sich um Kontakt zu ihrer Mutter - beide Versuche scheitern. Margot und Willi aber sind das Großelternpaar, bei dem die Autorin als Freds Tochter aufwächst; im Schlussteil macht sie sich selbst zu einer Romanfigur, die sie von der Geburt bis in die Gegenwart begleitet.

Welch ein Material! Und man kann Andrea Heuser nicht vorwerfen, dass sie irgendeinen Effekt vernachlässigt hätte, der sich hier aus Zeitgeschichte und Lokalkolorit, Milieukontrasten und nachempfundenen Gefühlslagen herausholen ließ. Der dezente Glamour der Luxemburger Großbürgersippe, die von Tragödien und Zerwürfnissen gezeichnet ist und sich gegenüber den Nazis ambivalent verhält, wird ebenso verfilmungsträchtig skizziert wie die Kölner Nachkriegsatmosphäre mit beginnendem Wirtschaftswunder; die Schilderungen von Willis Kriegserlebnissen oder Margots Niederkunft nach einem Luftangriff setzen dramatisch-realistische Akzente.

Andrea Heuser: Wenn wir heimkehren. Roman. DuMont-Buchverlag, Köln 2021. 590 Seiten, 24 Euro. (Foto: N/A)

Mit dem Wechsel der Erzählperspektive werden Empathie und Distanz geschickt dosiert: Wo aus der Sicht des kleinen Fred berichtet wird, sind Rührung und Mitleid unausweichlich; die Sympathie für die willensstarke, aber oft rücksichtslose Margot hält sich in Grenzen; der redliche, treue Willi nimmt umso mehr für sich ein. Spürbar ist das Bemühen, auch den Nebenfiguren Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die unkomplizierte Sprache, das rasche Erzähltempo mit vielen Dialogen garantieren trotz des Umfangs eine leichtgewichtige Lektüre.

Da muss man nun doch wieder an den Genre-Pullover denken: Hier scheint er eine universelle Passform mit angesagtem Design zu vereinen. Wie warm er empfängliche Leserseelen einpackt, verrät schon der Schlusssatz: "Und vielleicht ist es ja das, was Liebe ist." Der Winter steht vor der Tür - und vielleicht ja auch noch ein paar Romane über Schriftstellerfamilien, zum Wärmen.

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