Andenken an Richard Strauss:Publikumsliebling und Apokalyptiker

Richard Strauss, 1934

Grandioser Geschäftsmann, begnadeter Komponist: Richard Strauss 1934.

(Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Vor 150 Jahren wurde der Komponist Richard Strauss geboren. Mit seinen Werken traf er immer den Zeitgeschmack - und mied politische Bekenntnisse. Aber seine Musik ist nicht so brav, wie viele denken.

Von Reinhard J. Brembeck

Die Trauer hält nicht lange vor. Hatte sich Richard Strauss noch in der Anfangszeit des Ersten Weltkriegs mit seiner riesig besetzten "Alpensinfonie" beschäftigt, in der er, der Meisterinstrumentator, nach eigenen Worten angeblich erst so richtig das Instrumentieren gelernt habe, so schreibt er im Ausklang des Zweiten Weltkriegs seine klein und nur mit Streichinstrumenten besetzten "Metamorphosen".

Auch wenn er die Bezeichnung vermeidet, ist es seine erste symphonische Dichtung nach dem Bergdrama, und damit sein letzter Beitrag zu jener Gattung. Die Gattung der symphonischen Dichtung machte den an diesem Dienstag vor 150 Jahren geborenen Strauss berühmt. Nur er hat ihr zu einem Erfolg beim Publikum verholfen, trotz Liszt, Fauré, Dvořák, Schönberg.

Kurze Erschütterung

Aber in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945, die Zerstörung Europas zumindest genauso im Bewusstsein wie die Ahnung des Holocausts, schreibt Strauss fahle und langsam sich dahinwindende Klänge. Doch die Erschütterung ist nur kurz zu spüren. Bald schon packt er die Vitalität, die diesen Komponisten Zeit seines 85 Jahre dauernden Lebens nie verlassen hat, auch in diese versehrten Klänge. Sie lassen ihr "Weitermachen!" an ein Publikum ertönen, von dem Strauss sich zumindest im Mittelteil des Stücks hörbar sicher ist, dass es auch nach dieser Stunde null wieder da sein und ihn zu seinen Abgöttern zählen würde.

Und der alte Mann hat recht behalten. So wie seine große Zeit schon früh kam, bald auch mit den zuletzt fünfzehn Opern - die damit verbundenen Einnahmen erlaubten ihm 1908 den Kauf seines geliebten und herrschaftlichen Domizils in Garmisch -, so verblasste sein Ruhm keineswegs mit seinem Tod 1949.

Kernrepertoire der Klassik

Seine Musik gehört bis heute zum Kernrepertoire des Klassikbetriebs. Dieses tiefe Einverständnis mit einem Publikum, das zwar den sinnlichen Kitzel sucht, Umstürzlerisches aber verabscheut, hat Strauss lange Zeit suspekt gemacht für Avantgardisten - die Strauss seinerseits nicht besonders mochte.

Erst in letzter Zeit setzt da ein Umdenken ein. Ausgerechnet der Komponist Helmut Lachenmann hat es, seiner Art entsprechend, am radikalsten formuliert. Gleichlautend, in Fortsetzung des Schlussteils der "Alpensinfonie" und länger als diese, hat Lachenmann seinen "Ausklang" als ein fünfzigminütiges Klavierkonzert komponiert, das bei Aufführungen durchaus nach dem älteren Stück gespielt werden sollte. Denn dann hört der entsetzte Straussianer plötzlich, wie viel Zukunftsmusik sein Idol unter seinem Elan vital verbaut hat, und der nicht weniger verblüffte Avantgardist erfährt endlich, dass Strauss eben doch kein verstockter Konservativer war, sondern ein Bruder Debussys, Schönbergs, Varèses, Schönbergs und Mahlers. Wie aber konnte das so lange verborgen bleiben?

Bittere Tragödie

Alles bei Strauss zielt aufs Theater, nicht nur in den symphonischen Dichtungen und in den Opern. Sogar die prägnanteste Szene seines Lebens wirkt, als wäre sie einer besonders bitteren Tragödie entnommen. 1942 fuhr Strauss mit seinem Auto in Theresienstadt vor ("Mein Name ist Richard Strauss"), um die Großmutter seiner deutsch-jüdischen Schwiegertochter freizubekommen - vergeblich. Das ist der Stoff, aus der nach 1945 Theaterstücke und Opern gemacht wurden, als Anklage gegen den Holocaust. William Styrons "Sophie's Choice" ist dafür ein berühmtes Beispiel, der Roman wurde verfilmt und veropert.

Strauss selbst aber mied in seinem Leben wie in seinen Opern allzu klare politische Aussagen. Er ging auch nie so weit wie sein Vorbild Richard Wagner, der nicht nur im "Ring" den Weltenlauf grundsätzlich deutete und kritisierte. Strauss scheute sich dabei nicht, immer wieder den Schulterschluss mit den Herrschenden zu suchen - wenn es seiner Sache diente. Da war ihm der Kaiser genauso recht wie Hitler, Hauptsache, die Mächtigen begünstigten sein Kunstmachen . Wenn nicht, dann war schnell Schluss mit dem Einverständnis. Man kann das bis in die Details nachlesen in dem gerade von Werner Werbeck herausgegebenen "Richard Strauss Handbuch" (Verlag Metzler / Bärenreiter, 79,95 Euro).

Parallelen zu Gustav Mahler

Letztlich ist Strauss einer der ganz wenigen Theatermacher, dem es gelang, von der tonangebenden Gesellschaft als einer der Ihren akzeptiert zu werden. Das Schicksal Molières, der bei Nacht verscharrt werden musste, und die entwürdigenden Geldsorgen Richard Wagners blieben ihm erspart. Nicht zuletzt, weil Strauss früh als grandioser Dirigent reüssierte, weil er, der Sohn eines Waldhornvirtuosen an der Münchner Hofoper, oft in leitender Theaterposition arbeitete, in Meiningen, Weimar, München, Berlin, Wien. Das ist die Parallele zu Gustav Mahler. Doch während Strauss als Komponist früh schon Erfolge einfuhr, verschreckte der andere mit seinen Stücken. Mahlers Zeit kam erst nach dem Tod des großen Konkurrenten.

Aber die extreme Nähe zwischen Strauss und der bürgerlichen Gesellschaft sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er als Unterhalter für diese arbeitete, nicht anders als die Schausteller und Gaukler des Mittelalters. Der alte Traum aller Künstler, einmal ganz dazuzugehören und völlig akzeptiert zu werden, ging in seinem Fall beinahe in Erfüllung. Zumal Strauss auch als grandioser Geschäftsmann nicht weniger glücklich agierte als viele seiner Zuhörer. Während Wagner in seinen Opern, welche die Welt auf oft krude Art zu erklären versuchen, Freiluftszenen bevorzugt, zeigen die in puncto Weltdeutung viel bescheideneren Strauss-Opern bezeichnenderweise den Hang zum bürgerlichen Salon, und sei es der des König Herodes.

Auch kam Strauss mit seiner Vorliebe für Veräußerlichung und Versinnlichung, die das Geschäft eines jeden großen Dramatikers sind, einer Tendenz entgegen, die Friedrich Nietzsche lieber fühlen als lesend erarbeiten will. Der "Zarathustra" des Komponisten ist deshalb immer populärer gewesen als der des Philosophen. Zumal schon dessen Einleitung den Hang zu Luxus und Prachtentfaltung großzügig und raffiniert bedient. Ein Hang, der dem späten 19. Jahrhundert eigen ist, der sich bei Strauss aber nicht ganz so Fin-de-siècle-gemäß ins Übersensible und Schwüle verliert wie bei Joris-Karl Huysmans.

Sehnsucht nach unbeschädigtem Leben

Die Kehrseite ist die erotisch verbrämte Brutalität, die sich zunehmend ungestüm Bahn bricht, von der "Salome" zur "Elektra", und zuletzt den kultivierten, aber im Geschäftlichen dennoch hart kapitalistisch agierenden Großbürger Strauss wohl selbst erschreckt. Was als laszives Spiel die späte Romantik vollendet, wird, je näher der Erste Weltkrieg rückt, unverstellt zum Schock.

Doch schon in der "Elektra" komponiert Strauss mit der Figur der Chrysothemis die Sehnsucht nach dem unbeschädigten bürgerlichen Leben, das sich neben dem gnadenlosen Rachefeldzug ihrer Schwester Elektra zwar bieder und domestiziert ausnimmt, aber Strauss den Weg in die Zukunft weist. Nie wieder wird er Konflikte derart auf die Spitze treiben wie in dieser Oper, ab da gibt er sich bescheidener.

Sanfter Trost der Spätromantik

Unübersehbar dann weniger im "Rosenkavalier" von 1911 als darauf in der "Ariadne auf Naxos", welche die größte Frustration eines Individuums in einem die Antike verklärenden Set mystisch befriedigt. Wenn Ariadne, von ihrem Traummann Theseus schnöde auf der Urlaubsinsel Naxos sitzen gelassen, sich mit dem Latin Lover Dionysos tröstet, dann bedeutet das auch den Verzicht des Bürgertums auf intellektuelle Bewältigung der Weltkrise. Zumal es gar nicht sicher ist, dass diese mit den damaligen philosophischen Mitteln überhaupt zu leisten war. Sicher für Strauss aber ist, dass der sanfte Trost, den die Musik der Spätromantik zu spenden wusste, nach 1918 genauso gut funktioniert wie nach 1945.

So konnte Strauss gar kein Zukunftsmusiker und kein Revolutionär sein. Sondern der Sprecher der Hochkultur und des Bürgertums, dessen Bedürfnisse er immer achtete. Erst in neuer Zeit entdecken, Lachenmann wurde schon genannt, vor allem jüngere Dirigenten in diesen Partituren nicht nur das gängige Substrat des Einverständnisses mit den gesellschaftlichen Zuständen und dem Musikmarkt, sondern endlich auch die Untertöne, welche die Zweifel des Komponisten am Weltenlauf und am großbürgerlichen Way of Life beweisen.

Dazu höre man nur einmal nach Lachenmanns "Ausklang" Stücke wie "Heldenleben" oder "Alpensinfonie". Strauss ist trotz der brillant aufgebauten bürgerlichen Fassade im Innersten ein Theatermann, der der Welt einen Spiegel vorhält, in dem sie nicht nur ihren Glanz, sondern auch ihre Niedertracht erkennt. Damit wird die zukünftige Rolle dieses Komponisten ahnbar, als eines Künstlers, der den selten gelungenen Spagat zwischen Irritation und Affirmation hinbekam, zwischen Publikumsliebling und Apokalyptiker, zwischen Reaktionär und Avantgardist. So sitzt Strauss zunehmend zwischen allen Stühlen, und das macht ihn immer interessanter.

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