Süddeutsche Zeitung

Anastasia Samoylovas Fotoband "Floridas":Endstation Untergang

Anastasia Samoylova entzaubert Florida als subtropischen Fiebertraum und liefert ungewollt eine Metapher für den Zustand Amerikas.

Von Andrian Kreye

Es gibt in der Mythologie der amerikanischen Wirklichkeit zwei Paradiese. Das eine ist auf Sand gebaut, das andere im Sumpf. Beide sind dem Untergang geweiht. Über die kalifornische Apokalypse gibt es unzählige Bücher, Songs und Filme. Florida aber bleibt weitgehend ein Mysterium, ein topografischer Wurmfortsatz, der in das Wirbelsturmgebiet der Karibik hineinragt, als ob er nicht so recht zum Kontinent gehört. Das trifft auch ganz gut das Lebensgefühl in diesem moskitoverseucht-schwülen Bundesstaat, den die Literatur, der Film und die Kunst nur selten behandeln.

Die amerikanische Fotografin Anastasia Samoylova hat sich nun auf die Spuren von Walker Evans begeben. Der 1975 verstorbene Pionier einer Fotografie, die ihre Sozialkritik über den Umweg eines literarischen Abstraktionsvermögens erarbeitet, war von den Dreißigern an immer wieder im südöstlichsten Bundesstaat der USA unterwegs. Evans Bilder sind für Samoylova der Ausgangspunkt für ihre Erkundung eines anstehenden Weltuntergangs. Denn das ist der rote Faden bei allen Gegenüberstellungen mit Evans in diesem Band, in ihren Zitaten von William Egglestons Sinn für die Morbidität und Verweisen auf Robert Franks Gespür für die Einsamkeit des amerikanischen Traums.

Die Hauptstadt Tallahassee ist Georgia, Alabama und Mississippi sehr viel näher, als der Karibikmetropole Miami

Überall kriecht und wuchert und suppt das Ende der Zivilisation in ihrem Florida durch die Fugen und Risse. Menschen sind da eher Statisten im Drama ihres eigenen Untergangs. Selbst wenn sie eine Frau im Disco-Top beim Happy-Hour-Cocktail auf der Terrasse eines jener Wolkenkratzer am Strand fotografiert, die der Traum so vieler Touristen und Ruheständler sind, lauert der Sonnenuntergang mit der Wolke hinter den Nachbartürmen voller Ungewissheit. Denn die eigentliche Katastrophe ist das Klima.

Einen "subtropischen Fiebertraum" nennt sie ihr Florida. Sie selbst lebt in Miami, der Megacity mit dem Gestus der immerwährenden Strandparty und des unaufhaltsamen Immobilienbooms. Aber sie lässt sich nicht täuschen. Es ist eine hohe Kunst, solchen sonnenbestrahlten Traumzielen mit der Kamera den Zauber zu nehmen, ohne auf Tricks und Klischees zurück zu greifen. Auf den letzten Doppelseiten hat der Untergang diese bunte Welt dann schon erfasst. Da stehen die Apartmentgebäude in einem Meer von Tropenwald, der sie schier verschluckt. Im Sund vor der Skyline haben Algen und Schlick eine havarierte Motoryacht überzogen. Und dann ist da der Alligator, das Urviech, das zwischen den Mangroven lauert.

Samoylovas Buch kommt gerade zur rechten Zeit. Im November dürfte sich das politische Klima der USA bei den Zwischenwahlen wieder einmal um 180 Grad wenden. Dann wird Florida zum Schicksalsstaat. Zwei Männer bereiten sich dort gerade darauf vor, sich in zwei Jahren für die Partei der Republikaner um das Amt des Präsidenten zu bewerben. Donald Trump residiert dort in seinem Privatclub Mar-a-Lago, einer jener weltfremden Luxusfestungen, die seine Vorgänger der Natur dort unten abgetrotzt haben. Der andere ist der Gouverneur des Bundesstaates Ron de Santis.

Der lebt qua seines Amtes in Tallahassee, dem provinziellen Städtchen im so genannten "Panhandle", dem "Pfannenstiel", mit dem sich der Bundesstaat Richtung Westen noch in den Kontinent hinein erstreckt. Es ist eine bizarre Gegend dort oben am Golf von Mexiko. Sie ist den Hinterwäldlerlandstrichen von Georgia, Alabama und Mississippi nicht nur geografisch sehr viel näher, als der Karibikmetropole Miami oder den Touristenburgen Orlando und Tampa. Dort leben all die, für die Florida dann doch nicht das Traumziel war, sondern nur die Endstation. Und es sind genau diese Gegenden und Menschen, die Samoylova für "Floridas" besucht hat.

Es war sicher nicht geplant, aber man kann den Band sehr gut als Metapher sehen.

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