"Amsterdam" im Kino:Bis zum Drehwurm

John David Washington, Christian Bale und Margot Robbie im Film "Amsterdam"

Mit so viel Lust bei der Sache, dass es ansteckend ist: John David Washington, Christian Bale und Margot Robbie in David O. Russells "Amsterdam".

(Foto: Merie Weismiller Wallace/AP)

Wer das Leben liebt, ist auf der richtigen Seite: David O. Russells Kinokrimi "Amsterdam" ist ein Gesamtkunstwerk mit vielen Hollywoodstars.

Von Susan Vahabzadeh

Amsterdam wird für Burt, Valerie und Harold immer das Ziel aller Sehnsüchte bleiben - nicht der Ort, sondern der Moment in ihrem Leben, als sie dort zusammen waren, versehrt, aber Überlebende und frei in einer Welt voller Möglichkeiten. David O. Russell folgt seinem Trio in der Zeit zwischen zwei Kriegen: Die drei treffen sich in einem Lazarett, 1918, Valerie (Margot Robbie) ist Krankenschwester und pflegt die beiden verwundeten Soldaten Burt (Christian Bale) und Harold (John David Washington), die die Angst zusammengeschweißt hat. Und dann hauen sie einfach ab nach Amsterdam, als verruchte Ménage à trois voller Kunst und Lebenslust, bis sich Burt nach seiner Frau (Andrea Riseborough) zurücksehnt.

Das Schicksal führt sie im New York der Dreißiger wieder zusammen, Burt behandelt in seiner Praxis arme Schlucker, lässt sich innovative Lösungen für ihre Entstellungen aus dem Krieg einfallen, auch an sich selbst erprobt. Er lebt für diese Arbeit, für seine Ehe sicher nicht. Den reichen Schwiegereltern hat er noch nie gefallen, er passt nicht in ihre großbürgerliche Welt des schönen Scheins, und mit seinem Glasauge und den Narben im Gesicht und auf dem Rücken kann auch seine Frau sich nicht abfinden.

Auch Harold ist inzwischen wieder da, ohne Valerie, als Anwalt, und nun werden die beiden in ein seltsames Mordkomplott hineingezogen: Eine Frau wie aus einem Sam-Spade-Fall - Taylor Swift! - hat sie engagiert, sie kann nicht glauben, dass ihr Vater eines natürlichen Todes gestorben ist. Die Auftraggeberin wird vor den Augen von Burt und Harold überfahren, jemand in der Menge behauptet, die beiden hätten sie vor das Auto geschubst. Sie fliehen und versuchen, den wahren Mörder zu finden. Die Spur führt zu einem stockbiederen Millionär (Rami Malek), den kaum jemand persönlich zu kennen scheint. Und als sie sich endlich bis zu ihm durchgeschlagen haben, finden sie auch Valerie wieder.

Der Regisseur gilt als cholerisch, viele Stars wollen trotzdem immer wieder mit ihm drehen

"Amsterdam" ist wundervoll anzusehen. Russell findet die Schönheit im Versehrten, die Kamera scheint geradezu nach den Entstellungen in den Gesichtern zu suchen; und die Räume sind nicht einfach Dreißigerjahre-Kostümfilm, sie sind auch voller kleiner Ausreißer, eine Vase, die nicht ins Bild passt, ein Kleid, das die Epoche karikaturenhaft auf die Spitze treibt, exaltiert bemalte Fingernägel. Eine Welt, die manchmal ganz so ist, wie sie damals wirklich war, und manchmal viel zu sehr Gegenwart, und immer wieder die bizarren Reliefs und Skulpturen, die Valerie aus den Überresten des Krieges formt, aus dem Metall, dass sie ihren Patienten aus den Leibern herausgeholt hat. Ihre Kunst ist es, die todbringenden Schrapnelle zu verwandeln. Unfassbar hässlich findet das ein Kommissar, als er ein von ihr gefertigtes Teeservice in Burts Praxis sieht. Burt aber sieht darin, wie man auch aus dem scheußlichsten Dunkel noch Licht herausholen kann.

Eine wüste Mischung aus Krimi und Romanze, Politsatire und hoffnungsvoller Mahnung. Der ganze Plot ist ein Verweis ins Jetzt, alle Ähnlichkeiten mit der Gegenwart sind beabsichtigt. Die drei kommen einem Komplott auf die Spur: Reiche Faschisten wollen die Regierung Roosevelt stürzen. Die Spur führt zu einem General a. D., den Robert De Niro spielt. "Amsterdam", von Russell selbst geschrieben, ist in weiten Teilen ein Produkt seiner Fantasie, inspiriert von Dashiell Hammett und Screwball-Komödien. Aber der General hat ein reales Vorbild: Der sogenannte "Wall-Street-Putsch" von 1933, eine weitgehend vergessene Episode amerikanischer Geschichte. Tatsächlich bezichtigte damals ein General im Ruhestand eine Reihe sehr reicher Geschäftsleute, Franklin D. Roosevelt mit einem Diktator ersetzen zu wollen. Ein Kongressausschuss untersuchte die Beschuldigungen, und aus der Luft gegriffen waren die Anschuldigungen jedenfalls nicht. Russell hätte einen ordentlicheren Film über die historische Parallele machen können, ein schlichtes Lehrstück - hier gibt es keine Handlungsanweisungen. Nur den richtigen Geist.

"Amsterdam" ist David O. Russells erster Film seit "Joy" mit Jennifer Lawrence, das ist sieben Jahre her, und in der Ablehnung, die ihm beim Start des Films in den USA entgegenschlug, steckt viel Skepsis gegenüber seiner Person. Russell gilt als cholerisch, eine ganze Reihe von Schauspielern - Christian Bale und Jennifer Lawrence beispielsweise, die vor "Joy" auch "Silver Linings" und "American Hustle" mit ihm drehte - arbeiten dennoch immer wieder mit ihm. Es ist ein wahrlich illustres Ensemble, das er hier zusammengestellt hat, und vor allem die Hauptfiguren, Bale und Washington und Robbie und De Niro, haben es geschafft, eine ansteckende Spielfreude auf die Leinwand zu transportieren. Das Unternehmen "Amsterdam", der vielen Stars und der wunderbaren Ausstattung wegen eher teuer, war in Amerika ein Verlustgeschäft.

Aber der Film hat es verdient, vom Ergebnis her beurteilt zu werden: Er ist ein Gesamtkunstwerk aus Klang und Esprit, wundersamen Bildern und Schauspielern in Höchstform, und ja, er erzählt eine manchmal unübersichtliche Geschichte. Nur oberflächlich betrachtet ist sie allerdings unnötig kompliziert - "Amsterdam" dreht Pirouetten bis zum Drehwurm, und das ist angemessen für einen Film, der im Herzen findet, dass alle Lebenslust das Gegenteil von Faschismus ist. Worauf er hinauswill, ist ganz klar: Die Gier ist ein Feind der Demokratie, und nur der Zusammenhalt von Menschen, die auf den ersten Blick wenig gemeinsam haben, hat dem etwas entgegenzusetzen. Russells Film ist ein Appell an die Solidarität im Angesicht eines Feindes, der die Freiheit bedroht, und dabei selbst ganz frei: Wer das Leben liebt, ist auf der richtigen Seite.

Amsterdam, USA 2022 - Regie und Buch: David O. Russell. Kamera: Emmanuel Lubezki. Ausstattung: Judy Becker.Mit: Christian Bale, John David Washington, Margot Robbie, Robert De Niro, Andrea Riseborough, Taylor Swift, Rami Malek, Chris Rock, Mike Myers, Michael Shannon, Matthias Schoenaerts. Disney, 134 Minuten.

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