Zum Tod von Amos Oz:Der Unerschütterliche

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Amos Oz wurde der Heine-Preis im Dezember 2008 verliehen. (Foto: dpa)

Säkularer Jude, Soldat im Sechstagekrieg, Kritiker des Siedlungsbaus und Initiator der Friedensbewegung: ein Nachruf auf den israelischen Schriftsteller Amos Oz.

Von Lothar Müller

Er hatte es nicht immer leicht im Leben, aber der Name, den er sich selbst gab, als er 1954 in den Kibbuz Chulda ging, war Programm: "Oz" bedeutet Kraft, Stärke. Zwei Jahre zuvor hatte sich seine Mutter das Leben genommen. Als Amos Klausner war er im Mai 1939 in Jerusalem geboren worden, ein halbes Jahr vor Beginn des Zweiten Weltkriegs, es gab da schon europäische Juden in Palästina, aber keinen Staat Israel.

In seinem großen Roman "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis" hat er geschildert, wie in seiner Familie die Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 erlebt und gefeiert wurde. Die Perspektive des Heranwachsenden war seine Perspektive, und sie war eingebettet in die großen Strömungen und Erfahrungen der Epoche, in den Zionismus und in die eben erst geschehene Geschichte der Vernichtung der europäischen Juden. Seiner Mutter hat er darin ein unsentimentales Denkmal gesetzt, ihrer Familie, den Klausners, wird man in vielen seiner Bücher begegnen, manchmal zwischen den Zeilen.

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:Israelischer Autor Amos Oz ist tot

Der Schriftsteller gilt als wichtigster Repräsentant der israelischen Literatur. Zu seinen wichtigsten Werken zählt "Eine Geschichte von Liebe und Finsternis".

Es war ja nicht so, dass schon 1945 das ganze Ausmaß des Geschehenen klar gewesen wäre. Wie ein Ballon dehnt sich in den Büchern von Oz das anschwellende Wissen um die Vernichtung in den Biografien der Figuren aus. Das Heranwachsen des jungen Staates Israel und das Wachstum dieses Wissens durchdringen einander in diesem Werk, nicht anders als in dem des jüngeren David Grossman.

Indem er das Erbe des europäischen Judentums als moderner Autor und Israeli antrat und in seinen Büchern mit den je aktuellen Erfahrungen in seinem Land, seiner Gesellschaft verschmolz, wurde Amos Oz zu dem großen Autor, der er war. Er hat zwei Bücher geschrieben, in denen die eine Kraftquelle seines Schreibens besonders deutlich wird: "Das Schweigen des Himmels" mit Studien über den großen jüdischen Erzähler und Nobelpreisträger Samuel Josef Agnon - den Preis hätte übrigens auch er selbst verdient -, und den gemeinsam mit seiner Tochter Fania Oz-Salzberger verfassten Essayband "Juden und Worte".

In beiden Büchern geht es um ein Lebensthema von Amos Oz, das Judentum nach dem Ende des Judentums. Und damit war bei ihm nie nur die Erfahrung des Holocaust gemeint, sondern zugleich das Ende des traditionellen, an die Religion gebundenen Judentums. "Agnons Geschichten", schrieb er schon in einem frühen Essay, "enthalten eine verdrängte Wahrheit: Was zerbrach - ist unheilbar zerbrochen. Nicht jene, die Pogrome anzettelten, nicht die Bösen unter den Völkern, nicht Hitler und auch nicht die Befürworter von Assimilation, Aufklärung oder Zionismus haben die Mauern von Halacha und Überlieferung eingerissen, sondern das Haus ist von innen zerfallen, unter der Last seiner eigenen Widersprüche, dem Gewicht seiner Gesetze, Verordnungen und Verbote."

Im Essayband über die Juden und die Worte findet man hierzu die Ergänzung. Eine der Geschichten, die er im Dialog erzählt, handelt davon, wie das Hebräische der Bibel im säkularen Judentum frei wird für die moderne Literatur. Für ihre Scherze und Pointen, ihre Parodien und Paraphrasen, ihre Herausforderungen aller Autoritäten, auch der Autoritäten des Staates, zu dem sich Amos Oz zeitlebens bekannt hat. Er war ein sehr bibelfester säkularer Jude. Und ein Soldat, der am Sechstagekrieg wie am Jom-Kippur-Krieg teilgenommen hatte, und zugleich einer der prominentesten Befürworter der Zweistaatenlösung, ein Kritiker des Siedlungsbaus und Initiator der Friedensbewegung in Israel.

Unaufhörlich wuchs die Zahl seiner Essays gegen den Fanatismus

Die Vitalität, die Lebenslust und die sexuelle Lust spielten Hauptrollen in seinen Büchern, und zugleich liebte er es, seine Figuren in Konflikte mit sich selbst zu bringen, sie mit Verlockungen zu konfrontieren, die sie verachteten. Seit seinem ersten großen Roman "Ein anderer Ort", der auf Deutsch den Titel "Keiner bleibt allein" erhielt, war der Kibbuz in seinem Werk ein exemplarischer Schauplatz, in dem sich das je aktuelle Israel spiegeln ließ. Der europäische Sozialismus und der säkulare Zionismus hatten diesen Ort hervorgebracht, und wenn es eine Formel für die große Verdunkelung gibt, in deren Zeichen Amos Oz in den letzten Jahrzehnten sein Werk fortgeschrieben hat, dann die vom Untergang dieses säkularen Israel des Kibbuz im Israel des immer weiter um sich greifenden religiösen Fundamentalismus.

Es war ein Student der religiösen Bar-Ilan-Universität in Tel Aviv, der im November 1995 den israelischen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin ermordete. So konsequent Amos Oz - auch und gerade als Exponent der Friedensbewegung - stets den Staat Israel verteidigt hatte, so vehement schrieb er nun für die Verteidigung des säkularen Israel, das sein Land war. Unaufhörlich wuchs die Zahl seiner Essays gegen den Fanatismus. 2004 erschienen seine Tübinger Poetik-Vorlesungen unter dem Titel "Wie man Fanatiker kuriert", und in den drei Essays des in diesem Frühjahr erschienenen Bandes "Liebe Fanatiker" stellte er sich mit einem gewissen Sarkasmus als Experte der "vergleichenden Fanatismusforschung" vor.

In seinem letzten Roman hat er den Inbegriff des Verräters rehabiliert

Amos Oz wäre aber nicht Amos Oz gewesen, wenn er es bei den politischen Tagesinterventionen belassen hätte. Je älter er wurde, desto mehr schwand in Israel der Einfluss seiner Herkunftswelt, der Gründergeneration, in der die westeuropäischen Juden den Ton angegeben hatten. Ben-Gurion hielt nicht viel davon, sich wegen der Klagemauer in größere Konflikte zu stürzen. Die demografische Entwicklung und die Einwanderungsgeschichte nach Israel während und nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Auflösung ihres Imperiums waren dem Israel, für das Amos Oz stand, nicht günstig.

Er muss gespürt haben, dass er und seinesgleichen in Gefahr gerieten, als Verräter attackiert zu werden, und so hat er seinen letzten großen Roman dem Inbegriff des Verräters gewidmet - und ihn rehabilitiert. Durch diesen Roman "Judas" (2015), der in die Welt des jungen Israel in den späten Fünfzigerjahren zurückführt, geistert der Großonkel Joseph Klausner. Judas entpuppt sich als der treueste Anhänger von Jesus, über den aktuellen Krieg mit den Arabern werfen schon die künftigen ihre Schatten, und der religiöse Fanatismus ist für manche eine faszinierende Option. Man muss annehmen, Amos Oz hätte seine zahlreichen Auszeichnungen - darunter den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels - gern geopfert, um sein Israel zu retten. Seit Längerem litt er an Krebs. Am Freitag ist er im Alter von 79 Jahren gestorben.

© SZ vom 29.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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