Woher die junge blonde Frau die Narbe auf ihrer Wange hat, gut zehn Zentimeter lang, vom Wangenknochen bis zum Kinn, danach fragt Charlie Granger sie natürlich nicht. Die beiden sitzen im Zug von New York nach Los Angeles, 3000 Meilen, im Speisewagen am selben Tisch. Beim Zwischenstopp in Chicago ist die Frau dann nicht ausgestiegen, sondern hat ihr Ticket beim Schaffner verlängern lassen, weiter bis Los Angeles. Am nächsten Morgen sind sie beim Frühstück wieder am selben Tisch, sie liest einen Krimi und reagiert ein wenig schnippisch, als sie von einer weiteren Tischnachbarin gefragt wird, ob das ein gutes Buch sei: „Oh, es ist nicht schlecht, würde ich sagen ... Es kommen alle möglichen Hauptwörter und Verben darin vor. Sogar Adjektive! Aber es bildet das Leben nicht ab.“ Die blonde Frau heißt Evelyn Ross, Charlie Granger ist ein „Altgedienter“, ein Ex-Cop in L. A., seine Frau ist eben gestorben, und er kommt von einem Besuch bei seinem Sohn an der Ostküste. Warum der Ticketwechsel, fragt er schließlich Evelyn. Es sei vielleicht der richtige Zeitpunkt für einen Tapetenwechsel, meint sie. Auf dem Bahnsteig in Chicago hatten ihre Eltern gewartet. Es ist der Herbst 1938.
Krimi:Verlockungen und Verschwörungen
Lesezeit: 4 Min.
Amor Towles hat mit „Eve“ einen so ungewöhnlichen wie famosen Hollywood-Krimi geschrieben, der 1939 spielt, in dem Jahr, in dem „Vom Winde verweht“ gedreht wurde.
Von Fritz Göttler
Carlo Levis Reisenotizen:Atemberaubend: Germania, 1958
Wer Deutschland verstehen will, muss mit diesem Buch beginnen: Carlo Levis literarisch meisterhafte Reise durch die Wirtshäuser und Salons der jüngeren Moderne zwischen München und Berlin.
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