Amnesty bei YouTube:Klick. Mich. An.

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Mit einem Trick versucht Amnesty International bei YouTube, Vergnügungssuchende auf ihre Seite zu locken.

Christian Kortmann.

Manchmal muss man in die Botanik stiefeln, um das Internet zu verstehen: Die Venusfliegenfalle ist eine fleischfressende Pflanze, die Insekten mit rot gefärbten, wohlriechenden Blättern lockt. Landet die Fliege, schließen sich die Blätter, und die Beute wird verspeist.

Dieses Prinzip hat nun die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) für ihre neueste Kampagne im Internet übernommen - das Lockmittel ist: Sex. Die Frankfurter Werbeagentur Saatchi & Saatchi hat einen Videoclip gedreht und ihn jetzt beim Filmportal YouTube hochgeladen. Das Vorschaubild des Clips "The Trojan Girl" zeigt den Gesichtsausschnitt einer sehr blonden Frau mit sehr roten Lippen, zwischen denen lasziv ein Finger liegt.

Tappt man in diese Venusfalle und spielt den Clip ab, sieht man das ungefähre Gegenteil des trojanischen Mädchens: Ein Amnesty-Funktionär in dunklem Anzug sitzt am Schreibtisch und richtet sich direkt ans Publikum: "Hello, YouTube-Viewers". Während einer ungeschnittenen Kamerafahrt durch die betriebsame Büroetage erklärt er das Anliegen und die Ziele seiner Organisation. Man sei auf die Unterstützung eines großen Publikums angewiesen und schrecke auch vor ungewöhnlichen Marketingmethoden nicht zurück.

Dann wird ihm das großformatige Foto des Frauenmundes gereicht, das er kurz in die Kamera hält - perfektes Timing: Denn dies geschieht exakt nach 24,5 Sekunden des 49 Sekunden langen Films, und YouTube erzeugt das Vorschaubild immer automatisch aus dem Motiv, das in der Mitte des Clips gezeigt wird. Am Ende des Spendenaufrufs wird die Bankverbindung eingeblendet. Das Prinzip lautet: Privatvergnügen gesucht und im Kampf für eine bessere Welt gelandet.

Georg Felser, Professor für Konsumentenpsychologie an der Hochschule Harz (Standorte: Wernigerode, Halberstadt), bezweifelt aber, dass die Botschaft den Zuschauer erreicht: "Die Enttäuschung, doch keinen Sex gefunden zu haben, könnte hinderlich sein." Generell sei es jedoch so, dass gewisse Schemata - die Venusfallenfarbe Rot, Lippen, Großaufnahmen - die Aufmerksamkeit des Users aktivierten.

"Hot", smart, unerwartet

Bei YouTube ist es Praxis, über Sex-Vorschaubilder und -Suchbegriffe, wie "Porn", "XXX" oder "hot", die man seinen Clips zuordnet, höhere Zugriffszahlen zu erzielen. Dass eine Organisation wie Amnesty International, die ihr Köder-Girl als "red", "hot" und "sexy" umschreibt, so undogmatisch in den Schmuddelecken des Internets für ein ehrenvolles Anliegen wirbt, ist ein Novum. Bisher wurde der Clip aber erst circa 1300 Mal abgespielt. Er ist smart, doch das schützt ihn nicht vor der Aufmerksamkeitskonkurrenz in der Bildermaschine.

Zur Verbesserung des Konzeptes empfiehlt Georg Felser spontan John Cleese als Präsentator, weil dessen intellektuelle Monty-Python-Ironie gut zu AI passen würde. Noch mehr als das Recht auf seiner Seite zu haben, zählt im Netz eben auch für eine Venusfalle die Pflicht, zum Sterben komisch zu sein.

© SZ vom 18.12.2007/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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