Amerikanische TV-Serie: "The Wire":Früchte des Zorns

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Überarbeitete Fotoreporter und korrupte Chefredakteure: Ein frustrierter Ex-Journalist prophezeit mit der TV-Serie "The Wire" den Untergang der amerikanischen Medienkultur.

Gerti Schön

Kritiker nennen die neue Serie "The Wire" "Fernseh-Literatur", "die beste Serie, die jemals im amerikanischen Fernsehen gelaufen ist", ein große Story über nichts Geringeres als "den Niedergang des amerikanischen Imperiums". Vergleiche mit Dickens und Balzac wurden bemüht, auch mit Zola und Gogol. Doch ihr Schöpfer, David Simon, ist kein Literat, sondern er war Zeitungsreporter.

Michael K. Williams spielt in der Serie "The Wire" einen Gangster, der den Journalisten Stoff zum Schreiben gibt. (Foto: Foto: AP)

In praktisch jeder Folge von "The Wire" ist eine Botschaft enthalten: Das Leben in den USA ist ein Klassenkampf, und damit verbunden sind menschliche Eigenschaften wie Betrug, Gier, Egoismus, Erniedrigung. "Wir sind jeden Tag weniger Wert, obwohl einige von uns immer mehr erreichen", sagte Simon neulich: "Das ist der Triumph des Kapitalismus."

Das Pflaster, auf dem all dies fiktional ausgelebt und demonstriert wird, ist Baltimore, eine Stadt, die seit Jahrzehnten gegen Drogenkriminalität, Korruption und Armut kämpft. In Baltimore ist Simon aufgewachsen, er hat dort zwölf Jahre (von 1983 bis 1995) als Polizeireporter bei der Baltimore Sun gearbeitet. Baltimore war zuvor schon der Schauplatz in der von Simon erfundenen Serie "Homicide: Life on the Street", die in den 90er Jahren bei NBC lief. "The Wire" ist noch ein wenig realistischer, noch ein bisschen kompromissloser. Wohl deshalb läuft das Drama beim Bezahlsender HBO ("The Sopranos", "Six Feet Under").

Jede Staffel von "The Wire" - inzwischen ist die fünfte und letzte zu sehen - konzentriert sich auf einen bestimmten Themenkomplex. Zum Abschluss nimmt sich Simon seine frühere Branche zur Brust: das Zeitungsgeschäft. So ging es in der ersten Folge der letzten Staffel um Etatkürzungen einer Redaktion, die nicht nur vage an die Baltimore Sun erinnert.

Fotografen haben nicht die Zeit, die Redaktion zu verlassen um ein Feuer in der Nachbarschaft aufzunehmen. Eine investigative Reportage über die örtliche Universität wird vom Chefredakteur verhindert, weil der eine Verbindung zu einem der Uni-Bosse pflegt. "Ich sorge mich nicht um den Sensationsjournalismus", sagt Simon, "sondern darum, dass es keinen hochklassigen Journalismus mehr gibt, dass es jenen Ehrgeiz der Journalisten, wie er in der Watergate-Ära geherrscht hat, nicht mehr gibt."

Rendite wurde zum Mantra

Simon verließ die echte Sun während einer Entlassungswelle. Das Blatt wurde vom Zeitungskonzern Times Mirror übernommen. Mark Willes bekam die Verlagsleitung, der vorher als Topmanager des Lebensmittelkonzerns General Mills gelernt hatte, radikale Budget-Schnitte zu setzen. Damals kauften amerikanische Verlage lokale Zeitungen und hofften auf Synergieeffekte bei Einsparungen und beim Anzeigenverkauf. Ein Zeitungsverlag nach dem anderen ging an die Börse, der Druck auf die publizistischen Unternehmen ist seither gewachsen. Die Rendite wurde zum Mantra des Verlagsgeschäfts.

Simon thematisiert nun seine persönliche Sicht auf die Rolle des Journalismus beim Niedergang des amerikanischen Imperiums. In einer Episode setzt ein Schmierenschreiber einen Polizisten unter Druck: Er solle ihm bessere Informationen liefern. Der Cop beginnt - selbst frustriert wegen der schrecklichen Zustände im unterfinanzierten Baltimore Police Department - die Aufklärung von Verbrechen zu manipulieren, um sie sensationeller erscheinen zu lassen.

Simon hatte schon immer ein Talent dafür, die Folgen einer bestimmten Entwicklung für die Gesellschaft aufzuzeigen. Doch diesmal könnte er sich in einem selbstgerechten Kreuzzug verrennen: Im Rahmen einiger Blogs von Branchenpublikationen wie Romeneskos Media Industry News klagt er seine früheren Redaktionsleiter und mit ihnen die gesamte Zunft an, nur noch hinter den Pulitzer-Preisen her zu sein und dabei den Gesamtkontext, die journalistische Verantwortung, außer Acht zu lassen. Wie das die Redaktionen heute sehen, interessiert ihn offenbar nicht. Als einer, der Missstände beklagt, kann er das vielleicht nicht einmal.

© SZ vom 26.2.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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