Amerikanische Literatur:Wo die Zitronen glühen

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Claire Vaye Watkins: Gold Ruhm Zitrus. Roman. Aus dem Englischen von Susanne Höbel. Ullstein Verlag, Berlin 2016. 416 Seiten, 24 Euro. E-Book 19,99 Euro. (Foto: verlag)

Claire Vaye Watkins schickt in ihrem Debüt einen Schulbus in die Seelenlandschaft eines postapokalyptischen Kaliforniens.

Von Philipp Bovermann

Der Bus ist schon wieder da. Der Schulbus der "Family" um den Sektenführer Charles Manson im Kalifornien der Sechzigerjahre. Gerade erst hat ihn eine gewisse Emma Cline durch ihre Version der Geschichte gesteuert, die bekanntermaßen in einer Reihe von Morden endete - und wurde damit schlagartig weltberühmt.

Nur drei Monate später, im September vergangen Jahres, ertönte erneut die Hupe dieses Schulbusses in den englischsprachigen Buchläden. Wieder saß eine junge Frau aus Kalifornien am Steuer, und wieder war es ein Romandebüt. Claire Vaye Watkins ist fünf Jahre älter als Emma Cline und hat bereits eine Kurzgeschichtensammlung veröffentlicht. Trotzdem wirkt "Gold Ruhm Zitrus", das jetzt auf Deutsch erschienen ist, insgesamt unreifer, unausgegorener als Clines "The Girls" - dies gleich vorweg. Es ist ein zusammengestückeltes Monstrum. Und trotzdem ein interessantes Stück Literatur.

Die Autorin verarbeitet darin zunächst, wie schon in ihren Storys, halbautobiografisch ihre Familiengeschichte. Zu dieser gehört ein Vater, der Teil der "Family" war, sich allerdings frühzeitig aus ihr zurückzog und vor Gericht gegen Manson aussagte. Auch der spätere Selbstmord der Mutter ist hier erneut Thema. Vaterfiguren und Mutterschaft sind die emotionalen Achsen des Romans.

Aber der Reihe nach. Es geht um ein junges Pärchen, das ein zweijähriges Mädchen findet und beschließt, es zu behalten. Das Ganze findet in einem postapokalyptischen Kalifornien statt, in dem es aufgrund der fortgeschrittenen Klimaerwärmung nicht mehr regnet. Himmelblau ist in dieser Welt "eine Farbe, die so genannt wurde, bevor der Himmel von der glühenden Asche blutrot wurde, und Blut war rot, bevor es aufgrund von Eisenmangel gelblich wurde".

Die Autorin erzählt ihre Version der Manson-Geschichte, aber anders als Emma Cline

Das Pärchen - Luz und Ray - lebt zusammen mit anderen Freaks und Kriminellen, die sich der Evakuierung entzogen haben, in den Relikten von Los Angeles. Sie bewohnen das verlassene Haus eines Hollywood-Sternchens, verdämmern die Zeit in Tagträumen. In der hauseigenen Bibliothek stehen Biografien der Gründerväter von Kalifornien. Denn "Gold Ruhm Zitrus" lässt sich auch als literarischer Essay über die Seele Kaliforniens und seiner Bewohner lesen. Deren Blick beschreibt Watkins als "geschärft für das Blinken von Erz, das Blitzen der Kamera, für das saftige Fleisch der Früchte. Gold, Ruhm, Zitrus."

Erst als sie das Kind haben, beschließen Luz und Ray, in den Osten zu fliehen, vorbei an der Nationalgarde, die den gesunden Teil des Landes vor dem kranken beschützt. Beinahe endet die Reise in der Wüste, als ihnen das Benzin ausgeht, aber kurz vor dem Verdursten trennt sich das Paar. Luz bleibt mit dem Kind zurück, verliert das Bewusstsein - und erwacht in einem umfunktionierten Schulbus. Sie ist in einer Kolonie von Outlaws gelandet, angeführt von einem prophetischen "Wassersucher" namens Levi. Dass es Watkins gelingt, diesen mit Allegorien vollgeladenen Bus einigermaßen in der Spur zu halten, ist keine geringe erzählerische Leistung.

Die verschiedenen Schichten des Romans bündeln sich prismatisch im Glitzern der Salzkristalle auf der "Amargosa", einer gewaltigen Wanderdüne, im Buch bezeichnet als "Dünenmeer, die sich in Schrittgeschwindigkeit - dem Eroberungstempo der Siedler - auf den Pazifik zubewegt. Diese Amargosa wird zu einer Art spirituellem Tumor im planetaren Bewusstsein, der liebevolle Hinwendung zur Schöpfung anstatt Abkehr fordert - das ist die Perspektive von Levi und seinen Anhängern. Für ihn ist die Düne nicht ein Ort der Leere und des Todes, sondern bevölkert von allerlei unbekanntem Leben.

Diese Amargosa wird zur absoluten Grenze des Westens, an der sich die Eroberungsbewegung wie eine Welle bricht und zurückrollt, Katharsis und Einkehr. Aber die Amargosa zieht weiter und begräbt auch diese Hoffnung unter sich - spätestens als der verloren geglaubte Ray plötzlich in der Kolonie auftaucht. Dort ist Luz inzwischen Levis Drogen und seinen Manipulationskünsten verfallen. Watkins Schilderung, wie die Kollektivtrance der Hippies in Gewalt und Mord umschlägt, ist plausibler als Emma Clines monologische Erzählweise, die sich auf ihre Hauptfigur fokussiert und bei der die grausamen Verbrechen nicht recht ins Bild der Mädchenromantik passen wollen.

Für diesen zweiten Teil des Buchs lohnt es sich, die Durststrecken des ersten zu durchqueren. Zunächst bildet das postapokalyptische Szenario nämlich lediglich den Hintergrund für die klischeebeladene Beziehung zwischen Luz, Ray und dem Kind. Da trifft man als Leser allerdings auf Gesten, "die nicht anders als sinnlich beschrieben werden" können - oh je! Aber so ist das wohl in Kalifornien: Viel Gold und Ruhm, aber manchmal beißt man auch in eine saure Zitrone.

© SZ vom 18.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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