Zum Tod von James Salter:Abschied vom Himmelsschreiber

Schriftsteller James Salter

James Salter im August 2013 in seinem Haus in Bridgehampton.

(Foto: dpa)

Der US-Schriftsteller James Salter ist tot. Salter starb während eines Termins bei seinem Physiotherapeuten, wie seine Ehefrau der New York Times sagte. Der am 10. Juni 1925 in New York geborene Salter hatte seit den 50er Jahren unter anderem mit Büchern wie "Ein Spiel und ein Zeitvertreib" und "Lichtjahre" als Schriftsteller Erfolge gefeiert. Der folgende Text ist anlässlich des 90. Geburtstages von James Salter vor zehn Tagen im SZ-Feuilleton erschienen.

Von Christopher Schmidt

Am 16. Juli 1969 sitzt James Salter zusammen mit der halben Menschheit vor dem Fernseher. Gezeigt werden drei Astronauten, die in eine Rakete steigen, aus der weißer Rauch fließt. Einer von ihnen heißt Buzz Aldrin; er ist der Pilot der Mondlandefähre von Apollo 11 und wird fünf Tage später als zweiter Mensch den Mond betreten. Die Welt blickte damals auf eine Nation, die nach den Sternen griff, der Schriftsteller James Salter aber sah etwas ganz anderes darin: eine narzisstische Kränkung. "Ich beobachtete drei weiß gekleidete Männer, die meine Vernichtung vorbereiteten", das unerträgliche Zeremoniell einer "Hinrichtung".

Aldrin war sein Kamerad gewesen, damals in Korea, gemeinsam waren sie im selben Geschwader am Yalu geflogen; Aldrin hatte zwei, Salter eine russische MiG-15 abgeschossen. "Kills" nannte man das, und für jeden Kill gab es einen heroischen roten Stern, der unter das Cockpit gemalt wurde. Unsterblichkeit, das hatten sie im Krieg gelernt, ist etwas, das man sich "holt". Oder preisgibt für immer. Während jedoch Aldrin aufbricht, um unsterblich zu werden, wälzt Salter sich in einem Hotelzimmer vor dem laufenden Fernseher mit seiner römischen Geliebten im Bett.

Auf der Via Borgognona hatte sie ihm zuvor einen teuren Cordanzug gekauft. "Ich habe diese Nacht und ihre Qual nie vergessen", schreibt Salter in seiner Autobiografie "Verbrannte Tage". "Genuss und Oberflächlichkeit auf der einen Seite, unermessliche Taten auf der anderen. Ich lag lange Zeit wach und dachte darüber nach, was aus mir geworden war." Ja, es gab immer eine schöne Frau in Salters Leben und immer einen teuren, neuen Anzug.

Jagdflieger in Korea und Hawaii, später in Bitburg und Fürstenfeldbruck

Aber was gab es sonst noch? 1957 hatte James Salter seinen Abschied genommen nach zwölf Jahren bei der Air Force. Er war als Jagdflieger in Korea und Hawaii stationiert gewesen, später in Bitburg und Fürstenfeldbruck, wo er eine Kunstflugstaffel kommandierte. Er war 32 Jahre alt, ein Mann mit Frau und Kind, und hatte seinen ersten Roman bereits veröffentlicht: "Jäger" (SZ vom 5. 12. 2014) - eine klassische Parabel über Heldenmut und soldatische Bewährung. Und natürlich ein Flieger-Roman mit ebenso hohem Pathos wie Oktangehalt. Was hier ein- und dasselbe ist. Keiner nach Antoine de Saint-Exupéry habe besser über das Fliegen geschrieben als James Salter, sagt man. Doch Salter hat nicht einfach über das Fliegen geschrieben, er ist weitergeflogen; Schreiben wurde für ihn zur Fortsetzung des Fliegens mit anderen Mitteln.

In seinem Erstling sind sie alle versammelt, die Flugmanöver und -figuren, die Salter später in narrative Muster umgeschmolzen hat. Im Vordergrund stand dabei die erzählerische Ökonomie, das Verhältnis von Aufwand und Effekt: die kurzen Feuerstöße der MGs, mit denen die Jagdflugzeuge damals als einziger Bewaffnung bestückt waren, der unverwandte Blick auf die Treibstoffreserven - all das ist eingegangen in seine Stilistik, die entschieden lyrisch organisiert ist: nicht tektonisch gebaut, sondern evokativ, flirrend wie verdunstendes Kerosin. Der offene Himmel war Salters Schreibwerkstatt, seine fließenden Satzkaskaden haben etwas von den Schleifen der Himmelsschreiber, sie gleichen einer Kalligrafie über den Wolken, flüchtig und strahlend wie ein Kondensstreifen in der Luft.

"Die Air Force - ich aß und trank sie"

James Salter, der 1925 in New York City als James Horowitz geboren wurde, ist ein Kunstflieger der Literatur, ein Aviatiker durch und durch. Aber auch ein absturzgefährdeter Engel. "Die Air Force - ich aß und trank sie, flog in jedem Wetter und an jedem Tag, redete ihr endloses Gerede, stieg auf den Flügel, um meine Maschine selbst zu betanken, fiel mit den schwitzenden Anderen in den nassen Sand ihrer Strände, wurde von ihren Moskitos gestochen, ignorierte die zitternden Nadeln der Instrumente, schlief an schäbigen Orten, gab ihr mein Herz", heißt es in "Verbrannte Tage", diesem merkwürdig unpersönlichen Erinnerungsbuch, in dem seiner ersten Ehe, aus der immerhin vier Kinder hervorgingen, ungefähr genauso viel Platz eingeräumt wird wie der Freude über ein neues Paar italienische Herrenslipper.

Wie betäubt, fühllos, als trüge er einen Overall aus Asbest, lebt er sein zweites Leben, als hätte ihn die Todesnähe gleichgültig gemacht für alles, was im Zivilstand noch kommen mochte. Auf seinem ersten Alleinflug hatte er das Triebwerk abgeschaltet und war lautlos durch den Äther geglitten. Er wollte auf den Ernstfall vorbereitet sein, aber auch das Allmachtsgefühl auskosten, wie es ist, Ikarus zu sein. "Schwäche, so menschlich sie auch sein mag, interessiert mich weniger", schreibt Salter. Der Hochmut des Elitekämpfers war ihm schon als Kadett in West Point eingeimpft worden, den Stoizismus hat er sich in Korea erworben und ihn später in Paris, wo noch das Parfum des Existenzialismus in der Luft lag, zu einer Haltung des elegischen Fatalismus veredelt.

Sex ist für ihn ein "Gottesdienst"

Eher zufällig gerät Salter Anfang der Sechziger unter die New Yorker Independent-Filmer, dreht Dokumentationen mit kleinstem Budget, gewinnt einen Preis in Cannes. Er schreibt Drehbücher für Hollywood und Cinecittà, zwei davon für Robert Redford, das letzte, ein Bergsteiger-Drama, wird abgelehnt, später arbeitet er es um zu dem Roman "In der Wand" (1979). Das fliegende Auge der Kamera ersetzt ihm nun den Steuerknüppel. Sein Erfolg als Drehbuchautor ist mäßig, erlaubt ihm aber trotzdem ein unmäßig gutes Leben. "Man kann aus nichts, was ich schreibe, einen Film machen, nicht mal aus meinen Drehbüchern", hat er rückblickend über seine Zeit beim Film gesagt.

Salter entdeckt Paris, Rom und London für sich, pendelt zwischen Europa und der ausgebauten Scheune in Upstate New York, in der er mit seiner Familie lebt und ein offenes Haus führt. Er lässt sich treiben, ein Adabei am Saum des roten Teppichs. Für amerikanische Zeitungen interviewt Salter Nabokov und Graham Greene. Und taumelt von einer zur nächsten weiblichen Blüte wie ein angeschossener Schmetterling. Bei den Frauen kann er immer landen mit seinem blendenden Aussehen und der melancholisch melierten Männlichkeit des gebrochenen Helden. Salter überwintert als Partybewohner, Berufsemphatiker, als vagierender Erotomane und schreibender Herrenslipper. Sex ist für ihn, der Glück nur als Höhenrausch kennt, als gefrorenen Moment der Ekstase, ein "Gottesdienst", wie es in seinem jüngsten Roman "Alles, was ist" heißt. Bis heute schreibt er freizügig wie kaum ein anderer über die Liebe, dabei niemals schlüpfrig. Diese Explizitheit war ein Grund, weshalb er für seinen Roman "Ein Spiel und ein Zeitvertreib" (1967), die Geschichte einer Amour fou, zunächst keinen Verleger fand.

Als der Efeu schon über sein Monument kriecht, kratzt er noch einmal an der Unsterblichkeit

1975 erscheint sein bestes Buch "Lichtjahre", ein Ehe- und Scheidungsroman, in dem Salters ätherischer Stil voll entfaltet ist, diese mürbe Aphoristik, die oft anmutet wie in Stein gemeißelt und nur manchmal wie in Schmalz gehauen. "Die Dichter, Schriftsteller, die Weisen und Stimmen ihrer Zeit, sie sind ein Chor, ihre Hymne ist dieselbe: das Große und Kleine wird verbunden, das Schöne lebt, das andere stirbt, und alles ist Unfug außer Ehre, Liebe und das Wenige, was das Herz erkennt." Das ist so ein Satz an der Grenze zum Edelkitsch aus "Verbrannte Tage".

Auf dem Höhepunkt seines Könnens schien Salter jedoch zu verstummen. Er gibt noch zwei Erzählungsbände heraus, schreibt seine Autobiografie und überarbeitet die beiden frühen Flieger-Romane. Dann, halb schon ein vom Efeu des Vergessens umranktes Monument seiner selbst, kratzt er noch einmal am Literaturhimmel. Mit 88 Jahren veröffentlicht James Salter sein gefeiertes Alterswerk "Alles, was ist", die schonungslose Selbstabrechnung eines Alter Ego.

Ein aus der Zeit gefallener Raubritter

Sein Protagonist Philip Bowman ist wie er selbst ein aus der Zeit gefallener Raubritter mit tadellos sitzendem Ennui und luxusverwahrlostem Innenleben. Er, der noch das ungebrochene Selbstbewusstsein des Veteranen aus den letzten sauberen Kriegen Amerikas verkörpert, fühlt sich so fremd in der erwachenden Counter Culture wie der Diplomat eines untergegangenen Reiches. Die sexuelle Revolution und die Emanzipation der Frauen betrachtet Bowman, der sich in der Liebe stets freigiebig verströmte, als persönliche Beleidigung. Denn für ihn war das Leben hauptsächlich dies: ein Spiel und ein Zeitvertreib, um es mit dem Titel des gleichnamigen Romans zu sagen.

Hier stimmte Salter noch einmal, aber illusionsloser denn je, den betörenden Sound der Vergeblichkeit an, der so süß ins Ohr geht. "Nur in Büchern findet man Vollkommenheit, nur in Büchern kann sie nie verdorben werden. Die Kunst ist gewissermaßen das zum Stillstand gebrachte Leben, der Zeit entrissen. Das Geheimnis des Schreibens ist einfach: Man muss alles wegwerfen, was gut genug ist", lautet Salters Poetik der Unbedingtheit. Als Romancier ist er nie so bekannt geworden wie Philip Roth oder John Updike; Salter galt lange als writer's writer, bewundert von Autoren, von denen viele berühmter wurden als er selbst. An diesem Mittwoch wird James Salter, der große Impressionist der amerikanischen Literatur, neunzig Jahre alt. Aber, was seinen Geburtstag angeht, kann man nur die Worte zitieren, die er selbst einmal für die Fliegerasse seines Geschwaders fand: "Die Jahre verbeugten sich vor einem; man würde nicht vergessen werden." Die Jahre haben sich vor James Salter verbeugt, längst bilden sie das Spalier für seine späte Anerkennung.

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