Amerikanische Literatur:Weißes Genre, schwarzer Zauber

Abkehr vom Whitewashing: Matt Ruffs "Lovecraft County"

Von Ulrich Baron

"Wassermelonen", hat der weiße Kunde zum damals siebenjährigen Horace gesagt, der in einem Gebrauchtwagenladen entsetzt auf eine Kiste starrte, deren Etikett die Karikatur eines sommersprossigen Negerjungen zeigte: "Kleine Wassermelonen, etwa so groß wie deine Birne. Mit dunkler Schwarte und wolligen Härchen am Strunk." Deshalb trage sie auch die Aufschrift, die Horace so schockiert: "NIGGERKÖPFE AUS GEORGIA."

Auf der Heimfahrt hat Horace von Köpfen farbiger Jungen geträumt, die in der Gemüseabteilung eines Supermarktes ordentlich zu einer Pyramide gestapelt waren. Und so rundet sich diese Anekdote zu einer kleinen Etüde eines Horrors, der den banalen Dingen des Alltags entspringt und damit eher an Stephen King als an Howard Philipp Lovecraft erinnert, den Matt Ruff im Titel seines aktuellen Romans "Lovecraft Country" beschwört. Lovecrafts neuenglisches Stammland aber bildet den sinistren Schauplatz der Rahmenhandlung, die auf fantastische Weise ins Leben einer afroamerikanischen Familie im Chicago der Fünfzigerjahre des 20. Jahrhunderts eingreift.

Der Held Atticus Turner nämlich ist der Nachfahre eines missbrauchten schwarzen Dienstmädchens und damit der letzte direkte Nachkomme des weißen Magiers Titus Braithwhite, des Begründers des "Adamitischen Ordens von der Alten Morgenröte". Titus war 1795 ein Opfer magischer Energien geworden, deren unkontrollierte Beschwörung ihn mitsamt seiner engsten Familie auslöschte. Nun hat ein Seitenzweig der Familie das magische Geschäft übernommen. Dessen Anführer Caleb Braithwhite ist kein altmodischer weißer Zauberer und nicht einmal ein Rassist, sondern einfach ein skrupelloser Pragmatiker mit dem Charme des Jungen aus bestem Hause.

Caleb wird Atticus und seine Verwandten als charmante Heimsuchung begleiten, ihnen eine Immobilie zuschustern, die sich als Spukhaus erweist, mit Zugängen zu fremden Welten und Verbindungen zu weiteren Kapiteln aus dem Wettstreit weißer Zauberer, bei dem Schwarze nur als Dienstboten willkommen sind. All dies wäre nicht mehr als etwas überkandidelte Genreliteratur, wenn es nicht vor dem Hintergrund der rassistischen Jim-Crow-Gesetze auch von der Entwicklung einer schwarzen Mittelschicht erzählen würde. Gleich zu Beginn macht die Begegnung von Atticus mit einem herrischen weißen State Trooper klar, warum es 1954 einen besonderen Reiseführer für Afroamerikaner gab, der im Buch "The Safe Negro Travel Guide" heißt und vom Onkel des Helden herausgegeben wird. Das eigene Auto ersparte Schwarzen die demütigende Behandlung in öffentlichen Verkehrsmitteln. Doch es gab seinerzeit auch sogenannte "Sundown Towns", wo ihnen geraten wurde, sich nach Sonnenuntergang nicht dort blicken zu lassen. Wenn der talentierte Mr. Braithwhite seinem Antagonisten Atticus am Ende droht, er werde "nirgends sicher" sein, dann lacht deshalb die ganze Community: "Meinen Sie, ich wüsste nicht, in was für einem Land wir leben?"

Ruffs Helden leben im Land der Genre-literatur, das ihnen zum Zeitpunkt der Handlung noch verschlossen war. "Lovecraft Country" ist eine literarische Antwort auf Pam Noles' Essay "Shame", in dem die Autorin vor gut einem Jahrzehnt beschrieb, was es für sie hieß, ein afroamerikanischer Fan von Science-Fiction und Fantasy zu sein. Auf eine Bemerkung ihres Vaters hin habe sie als Teenager verkündet, schwarze Leute könnten keine Zauberer und Astronauten sein, nicht das Böse bekämpfen und also auch nicht in solchen Geschichten auftreten. Die Realität der Genreliteratur gab ihr recht. Die wenigen farbigen Helden wurden, etwa im "Erdsee"-Epos von Ursula Le Guin, bei der Vermarktung einem "Whitewashing" unterzogen. "Erdsee wurde mit Bleiche gewaschen", sagte Le Guin dazu selbst.

Matt Ruff gibt dem eine ironische Wendung. Seine Protagonisten sind Fans einer Genreliteratur, in der sie ihresgleichen als Helden schmerzlich vermissen, obwohl sie doch gerade dabei sind, selbst dazu zu werden. Diese Abwendung vom Whitewashing ist ein Trend, der sich aktuell auch in Tom Franklins "Krumme Type, krumme Type" (Verlag Pulp Master) und "Grant Park" (Polar-Verlag) von Leonard Pitts Jr. studieren lässt. Franklins Roman ist ein Country noir, in dem ein schwarzer Polizist mit dem Fall seines weißen Jugendfreundes konfrontiert wird, den alle Welt für einen Mädchenmörder hält. Und der Pulitzer-Preisträger Pitts hat einen Politthriller geschrieben, in dem ein desillusionierter schwarzer Bürgerrechtler und Karrierejournalist am Tag der Wahl Barack Obamas von zwei weißen Terroristen entführt wird. Während Ruffs "Lovecraft Country" auch ein historischer Roman aus der Jim-Crow-Ära ist, geht es bei Pitts um den aktuellen zählebigen Rassismus und um die notorische Opferrolle, in der sich selbst wohletablierte Afroamerikaner gefangen sehen. Es wird noch vieler schwarzer Zauberer und Weltraumhelden bedürfen, um daran etwas zu ändern.

Matt Ruff: Lovecraft Country. Roman. Aus dem Englischen von Anna Leube und Wolf Heinrich Leube. Carl Hanser Verlag, München 2018. 432 S., 24 Euro.

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