Amerikanische Literatur:Knallchargen im Glashaus

Sept 5 2015 Black Rock City United States of America A sand storm obscures the sky in the des

Wenn der Himmel sich verdunkelt: Sandsturm in der Wüste von Nevada.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Gibt es ein Weiterleben nach der Apokalypse? Vor 25 Jahren experimentierten Wissenschaftler mit der Idee, einen künstlichen Lebensraum zu erschaffen. Im satirischen Roman "Terranauten" kommt T. C. Boyle nun auf diese Anmaßung zurück.

Von Bernd Graff

Nördlich von Tucson, Arizona, nahe dem Städtchen mit dem sprechenden Namen Oracle, befindet sich ein Nullpunkt der Zivilisation, ein Nicht-Lebensort. Die Landschaft wird dominiert vom Mount Lemmon, dem höchsten, im Winter schneebedeckten Berg der "Santa Catalina Mountains", und einer atemberaubend schönen Wüste.

Nur hier und in der angrenzenden mexikanischen Sonora-Wüste gedeihen jene Saguaro-Kandelaberkakteen, die dank der vielen Western, die in dieser Gegend gedreht wurden, oft für das Standardgewächs des Wilden Westens gehalten werden. Eine Landschaft also, die ebenso betörend wie total lebensfeindlich ist. Im Winter zu kalt, ab dem Frühjahr vernichtend heiß.

Doch genau hier, sogar wegen dieser Lebensfeindlichkeit, fand vor 25 Jahren ein Langzeitexperiment statt, bei dem herausgefunden werden sollte, ob Menschen - auf dem Mars oder auch auf der Erde nach einer atomaren oder ökologischen Apokalypse - ein alternatives geschlossenes Ökosystem aufbauen und sich selbst darin dauerhaft erhalten könnten: "Biosphäre 2" wurde es genannt, weil diese vom Menschen gemachte Biosphäre durch kluge Bewirtschaftung unabhängig von der ersten Biosphäre, dem Leben auf unserem Planeten, ganz aus sich heraus bestehen sollte.

Finanziert von einem Milliardär, entstand so auf einem Areal von 1,3 Hektar ein hermetisch abgeschlossener Glasgebäudekomplex, der verschiedene Biotope beherbergte, dazu Pflanzen und Nutztiere, ein Komplex, der von einer achtköpfigen Crew über zwei Jahre hinweg ohne jeden Außenkontakt betrieben wurde.

Die Geschichte dieser Mission erzählt der amerikanische Schriftsteller T. C. Boyle in seinem neuen Roman "Die Terranauten", der an diesem Montag erscheint, auf mehr als sechshundert Seiten, und er erzählt sie als Groteske. Als eine bitterböse Satire auf menschliche Eitelkeit und Geltungssucht, auf Dummheit und Geschwätzigkeit, als Farce des Publicity-Wahns und der Medienhörigkeit.

Chronologisch und gleichzeitig subjektiv

Das Buch ist hinreißend komisch, aber auch bitter entlarvend. Boyle gelingt dies, weil er das Geschehen in dem hier "Ecosphere 2" genannten Glaskomplex über die zwei Jahre andauernde Mission hinweg zwar chronologisch fortlaufend berichtet, aber aus den äußerst subjektiven, daher sehr verschiedenen Perspektiven von drei beteiligten Personen.

Sie sind allesamt Knallchargen und in sich selbst verliebte Rundum-Egomanen: Es sind zwei Crew-Mitglieder, die aus dem Innern der Glaswelt berichten, und eine in der Endrunde des Castings knapp gescheiterte Kandidatin, die der Mission nun missgünstig und neidisch, aber verkniffen dauerlächelnd verbunden bleibt, weil sie daran arbeitet, für die Fortsetzungsmission in zwei Jahren nominiert zu werden und so endlich ins Scheinwerferlicht der Medien zu gelangen.

Ganz andere als rein wissenschaftliche Interessen

Insofern kann Boyle abwechselnd vom entbehrungsreich harten, fast steinzeitlichen und angesichts der ungehemmten Profilneurosen der Crewmitglieder auch gruppendynamisch äußerst anspruchsvollen Leben unter der Glaskuppel berichten wie vom Rummel, der draußen um sie herum gemacht wird.

Im Wortsinn "gemacht". Denn auch wenn seine Erzähler mit dem glühenden Enthusiasmus, den nur unfassbare Blödheit aufzubringen vermag, von der Bedeutung der Mission, der Überwindung ihrer Tücken und ihren wissenschaftlichen Erfolgen künden, wird doch vor allem klar, dass ganz andere als rein wissenschaftliche Interessen das Projekt in Gang gesetzt haben und halten.

Zwei Jahre Dauererregung

Das beginnt schon bei der Auswahl der Crew, vier Männern und vier Frauen in ihren sexuell aktivsten Zwanzigern, die offenkundig nur nach ihren Fernsehqualitäten und der Körbchengröße von dem selbstherrlichen Finanzier, er wird ebenso bewundernd wie verächtlich "GV" - Gottvater - genannt, zusammengestellt wurde.

Denn es ist "sein" Experiment, angelegt als mediales Dauerspektakel, etwa mit verordneten Nacktbädern im künstlichen Ozean, die hier Forschungsarbeiten im Korallenriff genannt werden, damit die Crew-Mitglieder gegen Eintrittsgeld wie in einem Aquarium besichtigt werden können.

Wenn das Medieninteresse abnimmt, schließlich läuft das "Experiment" ja ganze zwei Jahre lang ununterbrochen, dann müssen Klassiker des absurden Theaters einstudiert und hinter dem Glasvorhang vor den Kameraaugen zu Darbietung gebracht werden.

Diese Dauererregung und Publicity - eines der Crew-Mitglieder ist denn auch kein Wissenschaftler, sondern PR-Manager - ist GV auch deshalb so wichtig, weil, wie der Leser recht früh erfährt, die geschilderte Crew bereits die zweite unter Einschluss ist.

Eine erste Mission war vorzeitig abgebrochen worden, weil die Medien herausgefunden hatten, dass eines der Mitglieder regelmäßige Arztbesuche in Biosphäre 1 unternommen hat und einmal auf dem "Nachhauseweg" in die Glaskuppel sogar mit Tüten aus dem Supermarkt in der Luftschleuse erwischt wurde. Dabei lautet doch das Klausur-Versprechen: Zwei Jahre lang kommt hier nichts rein, nichts raus. Anders ergäbe dieses Experiment ja auch keinen Sinn.

Kann es eine künstliche Welt geben, in der man zwei Jahre lang überlebt? Noch nicht

Beim zweiten Anlauf gelingt diese Hermetik dann auch zwei Jahre lang. Fast. Und hier zeigt sich eine Stärke von Boyles literarischem Können: Unabhängig davon, dass die einzelnen Crew-Mitglieder in ihrer totalen Verblendung kaum Kontur gewinnen, macht Boyle doch sehr deutlich, dass ein Leben in der Wüste zum Scheitern verurteilt ist. Vor allem, wenn man im Glashaus sitzt. So muss von Beginn an ein erheblicher Energieaufwand von außen betrieben werden, um gegen die Sonnenglut die Temperatur im Innern stabil und die Wellenmaschine des Kunst-Ozeans in Gang zu halten.

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Roman stellt der Verlag auf seiner Homepage zur Verfügung.

Jahreszeitlich bedingt sinkt natürlich auch die Sauerstoffproduktion der Pflanzen, weswegen in einem dramatischen Notfall einmal sogar heimlich Frischluft von außen eingeschossen werden muss. Und das sind nicht die einzigen Unvorhersehbarkeiten, die Mission 2 an den Rand des Scheiterns bringen. Man entkommt Biosphäre 1 eben doch nicht.

Unterernährt, ausgemergelt, fast irre vor Hunger und Lagerkoller warten die inzwischen zu Medien-Superstars hochgejazzten Terranauten nach genau zwei Jahren auf den Wiedereintritt in Biosphäre 1. Dann passiert etwas: "Wir standen in einer Reihe. GV zählte '... fünf, vier, drei, zwei, eins!' Die Luftschleuse wurde geöffnet, und zum ersten Mal seit zwei Jahren vermischte sich die Atmosphäre der beiden Biosphären.

Die Terranauten in leuchtend roten Designeroveralls marschierten hinaus in die Arme der jubelnden Menge." So könnte es enden. Doch das kann nicht das Ende von T. C. Boyles Biosphäre 2 sein. Sie muss weitergehen. Deren "wahre" Geschichte gilt mittlerweile als gescheitert.

Amerikanische Literatur: T. C. Boyle: Die Terranauten. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München 2017. 608 S., 26 Euro. E-Book 19,99 Euro.

T. C. Boyle: Die Terranauten. Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Carl Hanser Verlag, München 2017. 608 S., 26 Euro. E-Book 19,99 Euro.

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