Süddeutsche Zeitung

Amerikanische Literatur:Krankheit, Schmutz und Körperlichkeit

Garth Greenwells erster Roman "Was zu dir gehört" erzählt von Scham und der Liebe zu einem bulgarischen Callboy.

Von Karin Janker

Die Handlung von Garth Greenwells Debütroman "Was zu dir gehört" beginnt an einem Ort, der außerhalb der Grenzen der guten Gesellschaft liegt: in den Toiletten des Nationalen Kulturpalasts in Bulgariens Hauptstadt Sofia. Hier, umgeben von Schmutz und kaltem Edelstahl, finden schwule Männer nicht nur Sex, sondern eine Zuflucht. Hierher kommt der amerikanische Ich-Erzähler, ein einsamer Literatur-Dozent an einer hiesigen Universität, wenn er anonym und gegen Geld Nähe sucht, und hier trifft er Mitko.

Der Roman erzählt von einer unerhörten Liebesbeziehung: Ein wohlhabender amerikanischer Expat liebt einen bulgarischen Stricher. Scham, Schuld und Abhängigkeit bestimmen das Verhältnis des namenlosen Erzählers zu seinem prijatel, was auf Bulgarisch "Freund" bedeutet, aber auch Freier, Geliebter oder einfach nur Kumpel heißen kann. Mitko, die Schlüsselfigur des Romans, deckt all diese Wortbedeutungen ab : Er prostituiert sich und offeriert seinen Körper gegen Bezahlung, aber er ist auch Geliebter, vielleicht sogar Liebender.

In "Was zu dir gehört" wird der alte Mythos der verzehrenden Lust auf kunstvolle Weise aktualisiert: Liebe ist eine Krankheit, das Begehren eines ihrer heftigsten Symptome. Der Roman erzählt von Sex und von Macht, noch mehr aber von Ohnmacht und Schuld. Schwules Begehren - vielleicht das unschuldigste überhaupt, weil es keinen Zweck verfolgt außer dem, gestillt zu werden - wird bei Greenwell zur Antriebskraft einer Selbstbetrachtung, die ebenso zärtlich wie aggressiv ist. Die Körperlichkeit der Beziehung zwischen Mitko und dem Erzähler ist so intensiv inszeniert wie es sonst fast nur Filmen gelingt, zuletzt "Call me by your name".

Es ist Garth Greenwells erster Roman, trotzdem hat er seine Sprache vollkommen unter Kontrolle. Obwohl in dieser Geschichte Exotik und Erotik zusammentreffen, gleitet sie nie ins Naheliegende, ins Schwülstige oder Kitschige ab: "Schon als ich die Treppe hinunterging, hörte ich seine Stimme, die wie alles an ihm zu groß für diese unterirdischen Räume war und aus ihnen herausquoll, als drängt es sie zurück in den hellen Nachmittag, der, obwohl es Mitte Oktober war, nichts Herbstliches an sich hatte; die Weintrauben, die überall in der Stadt von den Reben hingen, zerplatzten noch warm im Mund."

Greenwell lernte Schreiben in Harvard und unterrichtete an der Universität in Sofia

Greenwell, 1978 in Louisville, Kentucky, geboren, lernte Schreiben unter anderem in Harvard. In Sofia unterrichtete er eine Zeitlang an einer Universität. Die Erlebnisse in Bulgarien und seiner US-amerikanischen Heimat hat er nun in seinem ersten Roman verarbeitet. Psychologisch präzise dekonstruiert er hier die Verstricktheit von schwulem Begehren mit Scham und Schande. Was den Erzähler auf seinen Streifzügen durch Sofia antreibt, ist eine Sehnsucht nach Geborgenheit, die ständig durchkreuzt wird von Schuldgefühlen.

Aufgewachsen in der amerikanischen Provinz, verstoßen von einem Vater, der mit der Homosexualität des Sohnes nicht zurechtkommt, findet der Erzähler als Ausländer in Bulgarien endlich einen objektiven Grund für das Gefühl, nicht dazuzugehören, das ihn sein Leben lang begleitet. Die Sprachbarriere, im Roman immer wieder durch einzelne bulgarische Wörter anzitiert, ist ihm hinreichende Rechtfertigung dafür, dass er mit niemandem über seine Gefühle sprechen kann.

"Was zu dir gehört" ist kein larmoyantes Buch, zum Teil aber schwer auszuhalten. Etwa dann, als eine Syphilis-Infektion den Erzähler zwingt, im örtlichen Hospital vorstellig zu werden. Doch trotz Schmutz und Krankheit bleibt Mitko begehrenswert. Seine Anziehungskraft beruht auf einer selbstverständlichen Körperlichkeit, die dem Erzähler fremd ist. Es ist, "als besäße er ein Anrecht auf die Freigebigkeit seiner Umwelt, obwohl doch auf der Hand lag, dass er sie nicht erfahren hatte".

Die Beziehung zu Mitko ist der Auslöser für die Reflexionen im zweiten Teil des Romans, der atemlos und ohne einen einzigen Absatz in die Kindheit des Erzählers zurückführt, zurück zu der Verletzung, die ihm sein Vater in jenem Moment zugefügt hat, als er ihn von sich stieß mit den Worten: "Du magst also kleine Jungen".

Seit jenem traumatischen Tag in seiner Kindheit ist jede Erfahrung von Lust eine Erinnerung an diese Schande: "Die Nähe, derer ich mir so sicher gewesen war, fand ich nirgendwo sonst: Meine Freunde schreckten vor meiner Bedürftigkeit zurück, und schon bald konnte ich bestenfalls auf ihre Gleichgültigkeit hoffen." Die Demütigungen aus der Jugend, die stellvertretend stehen für so viele Demütigungen, die queeres Begehren in der Gesellschaft erfährt, sie hallen nach. Die vordergründige Liebesgeschichte zu einem bulgarischen Stricher erweist sich so noch als etwas ganz anderes: als eine aufwühlende Introspektion in die Verletzungen, die die Kindheit in einem Menschen hinterlässt.

Das Gefühl, sich des anderen nie ganz sicher sein zu können, ist es, das ihm zu schaffen macht. "Wie hilflos Begehren außerhalb des kleinen Theaters sexueller Inbrunst doch war, wie lächerlich es wirkte, sobald es nicht erwidert wurde oder die Erwiderung gespielt war". Abhilfe gegen diese schwer auszuhaltende Gewissheit hält "Was zu dir gehört" nicht bereit. Am Ende steht immerhin die Erkenntnis, dass die Scham von außen aufgepropft ist und sich wie ein Parasit vom Verlangen nährt. Aber das nimmt ihr nichts von ihrem Schmerz.

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Quelle:
SZ vom 21.03.2018
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