"Frank" von Richard Ford:Es riecht nach Desaster

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Richard Fords Protagonist Frank Bascombe ist ein genauer Beobachter der Naturgewalten, die seine Heimat New Jersey regelmäßig heimsuchen. (Bild aus dem Jahr 2015) (Foto: AFP)

Richard Fords Romanfigur Frank Bascombe hat sich weniger dumme Sprüche verordnet. Aber Munterkeit bleibt oberstes Gebot, wenn ringsum die Welt von Flutwellen und Alterskrankheiten bedroht wird.

Von Christoph Bartmann

"Let me be Frank with you": Den schön albernen Originaltitel dieses Buches kann die ansonsten tapfere Übersetzung von Frank Heibert dann doch nicht ins Deutsche bringen. Hier heißt Richard Fords vorerst letzte Lieferung aus dem mittelständischen Heldenleben von Frank Bascombe schlicht "Frank"; Frank wie Frank und wie "frank und frei". "Let me be Frank with you", das ist wahrscheinlich eine von Frank Bascombes Standardfloskeln gewesen. Ein Immobilienmakler darf um solche Formeln nicht verlegen sein.

Jetzt, mit 68 und im Ruhestand in New Jersey, will Frank es auch rhetorisch ein bisschen ruhiger angehen lassen. "Rückbau" von allem ist sein Ziel, weshalb er sich den Verzicht auf besonders abgegriffene Formulierungen wie "etwas zurückgeben", "das versendet sich" oder "da bin ich ganz bei Ihnen" verordnet hat. Das ist lobenswert, aber ein paar Seiten später geht es schon wieder los mit dem Gefloskel: "Kein Thema". Immerhin fällt ihm der Lapsus selber auf.

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In der zweiten der vier kurzen Erzählungen resümiert Frank Bascombe sein wenig spektakuläres Leben wie folgt: "Ich hätte ihr erzählen können, dass ich zwanzig Jahre lang hier und an der Küste als Makler tätig war, ein Buch geschrieben habe, in nicht bemerkenswerter Weise in der Marine gedient habe, in Mississippi geboren wurde - blabba-blabba-blabba-dabba-dubs".

Das war's dann auch

Was ist denn das? Im amerikanischen Original steht hier "bangety, bangety, bangety, boop". Das bedeutet zwar auch nichts, aber dem findigen Rezensenten der New York Times fiel dazu ein, dass die drei langen Romane der "Frank Bascombe-Trilogie", also "The Sportswriter", "Independence Day" und "The Lay of the Land", das dreifache "Bangety" sein könnten, auf das nun mit "Frank" das finale "Boop" folgt. "Boop" im Sinne von "das war's dann auch", eine knappe Coda zu den drei Romanen, mit vier Erzählungen, die zusammen halb so viel Platz brauchen wie jeder der Vorgänger für sich allein.

Richard Ford hat Frank Bascombe als einen amerikanischen literarischen "Everyman" etabliert, vergleichbar nur den wiederkehrenden Hauptfiguren von John Updike. Das soziale Milieu ist freilich ein anderes, hier ist es New Jersey und nicht Neuengland, eine leicht heruntergekommene Gegend, in der sich die meisten Sorgen und Befindlichkeiten umstandslos aufs große Ganze Amerikas umlegen lassen. So war es schon in den drei Bascombe-Romanen: Der Sportschreiber und nachmalige Immobilienmakler diente als repräsentative Stimme des mittleren Amerika, wie alle anderen Jedermänner und -frauen zwar mit den eigenen kleinen Sorgen und Freuden beschäftigt, aber anders als sie jederzeit fähig zu einem klugen Rückschluss auf das ganze Land.

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Diese beiden Kapazitäten muss man erst einmal glaubhaft in derselben Figur unterbringen: den phrasendreschenden Mittelständler mit dem Prostataleiden und den nationalen Beobachter, der, wenn er von seiner Prostata spricht, auch von "uns" spricht, von unseren "Angstverwirbelungen", die möglicherweise "Ausdruck unserer landesweiten Stimmung" sind. Meistens gelingt es Ford, die Figurenrede mit seiner eigenen Kulturkritik zur Deckung zu bringen, manchmal geht aber auch die innere Konkordanz verloren: "Ohne das ohrenbetäubende Fernsehgetöse wurde es in meinem Haus plötzlich so still wie im Weltraum", so redet wahrscheinlich niemand, der im nächsten Moment schon wieder von "Seelenklempnern" spricht.

Sagen wir es so: Die Wahrscheinlichkeit, dass Frank Bascombe auch mit 68 und, wie er sagt, immer fahriger werdenden Gedanken, ein amerikanischer Jedermann ist, schwindet nicht so schnell wie die, dass Frank Bascombe noch in diesem Zustand zu weiterführenden Einsichten über die Situation Amerikas gelangen könnte. Vielleicht liegt das daran, dass der bewährte Typ "Everyman" (weiß, Mann, 68 usw.) einfach nicht mehr aus dem Herzen der amerikanischen Demografie spricht.

Die Situation Amerikas, jedenfalls die von New Jersey, ist im Herbst 2012, in dem die Erzählungen spielen, geprägt von den Folgen des Hurrikans Sandy. "Seltsame Düfte schweben heute Morgen, zwei Wochen vor Weihnachten, in der unruhigen Winterluft vor der Küste", so fängt die erste Erzählung an. Es riecht nach Dichtmasse, Teerpappe und, vom Meer her, nach Schwefel, oder insgesamt "nach Desaster". Dem geübten Blick des Immobilienmaklers entgeht nichts, was der Hurrikan an der Küste von New Jersey angerichtet hat.

Es passiert hier und in den anderen Erzählungen nicht viel mehr, als dass die Leute belauscht und begleitet werden bei dem, was sie so tun und reden, und zwar von jemandem, der selbst einer von diesen Leuten ist, der sie mag und sie versteht, der sich nicht über sie erhebt, sondern sie allenfalls still belächelt.

Umso besser, dass er im Ruhestand ist

Frank Bascombe, die melancholische Frohnatur, der Menschenfreund mit Händlerseele, hat viel zu beobachten in diesen Tagen. "Dieser Streifen jetzt versalzener Erde hat mir einst ein ansehnliches Einkommen beschert", sinniert er beim Blick auf die vom Sturm verwüstete Uferfront. Umso besser, dass er im Ruhestand ist. Richard Ford hat gesagt, seine Leser hätten ihn gedrängt, Frank Bascombe noch einmal zu reaktivieren, und man kann es verstehen. Wenn Frank einen über den "Jersey Shore" führt, fühlt sich das einfach richtig und stimmig an. Wenn er nebenbei nicht auch noch als Statthalter einer Gesellschaftsdiagnose auftritt, macht das nichts. Frank Bascombe, das alte Schlitzohr mit dem Riesenverkaufstalent, hat uns auch so am Wickel.

Die vier kurzen Erzählungen geben schon in ihren Titeln: "Ich bin da", "Könnte alles schlimmer sein", "Das neue Normal" und "Die Tode anderer" die Stimmungslage des Protagonisten zu erkennen. Zwar hat sich Frank weniger dummer Sprüche verordnet, aber Munterkeit bleibt oberstes Gebot, gerade wenn ringsum die Welt von Flutwellen und Alterskrankheiten bedroht wird.

Richard Ford: Frank. Aus dem Englischen von Frank Heibert. Hanser Berlin Verlag, Berlin/München 2015. 224 Seiten, 19,90 Euro. E-Book 15,99 Euro. (Foto: N/A)

"Könnte alles schlimmer sein", in der vielleicht gelungensten der vier Erzählungen steht ein paar Tage vor Weihnachten eine Frau in rotem Mantel vor Franks Tür, eine "Negerin", wie er sagt, die er erst mal einer kritischen Musterung unterzieht. Ms. Pines, so stellt sich die Frau vor, würde gerne einmal einen kurzen Blick in das Haus werfen, in dem sie selbst vor langer Zeit einmal mit ihrer Familie gewohnt habe. Seine Frau ist gerade aus dem Haus (sie ist in diesen Erzählungen merkwürdigerweise fast immer aus dem Haus), und Frank gewinnt Zutrauen zu seinem unerwarteten Gast.

Er erzählt von sich und hört noch mehr zu, er kann gut zuhören - "was mir einen guten Lebensunterhalt in meiner Maklerzeit eingebracht hat" - und Ms. Pines fängt zu erzählen an, eine furchtbare Familiengeschichte, die sich in Franks Haus lang vor seiner Zeit zugetragen hat und die 1969, zwischen Thanksgiving und Weihnachten, eskalierte. Die Jahreszeit sei halt "neuropsychisch eine spirituelle Todeszone", sagt Frank zu sich oder zu uns, jedenfalls nicht zu Ms. Pines.

Irgendwie tut Frank Bascombe allen gut

Anders als etwa bei Raymond Carver kann die stille Tragik des Alltagslebens hier stets durch einen kleinen Scherz unterbrochen, gemildert, ja vielleicht geheilt werden. Irgendwie tut Frank Bascombe allen gut, mit denen er Umgang pflegt, ein kalauernder Alltagsphilosoph, der uns behutsam nahelegt, dass alles viel schlimmer sein könnte und dass keine Spuren im Leben zu hinterlassen das "neue Normal" ist. Und was sagt uns das alles über Amerika?

Vielleicht nur, dass auch der mittelständische Gesellschaftsroman irgendwann in Rente gehen muss. Und dass danach noch lange nicht Schluss ist.

© SZ vom 13.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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