Amerikana:Das andere Amerika

The Delines Cover

Tristesse Amerika - das Cover des dritten Album der Delines "The Imperial".

(Foto: Decor/Indigo)

Falsche Männer, Rennpferde, die nie gewinnen, und Tage im Suff: Willy Vlautin, der Meister des literarischen Country-Soul, hat eine neue Band gegründet: "The Delines".

Von Andrian Kreye

Country Music und Literatur waren immer ein guter Weg, das amerikanische Hinterland ohne die Glasur der Romantisierung kennen zu lernen, den Filme und Serien oft so zwangsläufig über die Schwermut der Provinz legen, die nicht so recht zu den Heldengeschichten des amerikanischen Traums passt. Auftritt Willy Vlautin mit seiner neuen Band The Delines, die am 18. Januar ihr drittes Album "The Imperial" (Decor/Indigo) veröffentlicht.

Willy Vlautin ist vermutlich der einzige Rockstar, der seine Karriere mit Literatur finanzierte. Für sein letztes Buch, den Boxerroman "Don't Skip Out on Me", feierte man ihn als einen der "great American writers" in der Tradition von John Steinbeck und Cormack McCarthy. Seine Romane "Motel Life" und "Lean on Pete" wurden in Hollywood verfilmt. Wobei sein Rockstarstatus sehr relativ ist. Seine Band Richmond Fontaine war vor allem im nordpazifischen Amerika eine Größe. Im Rest der Welt tourte sie durch sehr kleine Hallen und Clubs. Seine Country-Soul-Songs über Verlierer und Verlorene an den Rändern der amerikanischen Gesellschaft gehören aber zum Besten, was die amerikanische Musik an Erzählkraft zu bieten hat.

Willy Vlautin war außerdem immer einer der schüchternsten Rockstars. Bei Konzerten sah man ihm an, welche Überwindung es ihn kostete, sich ans Mikrofon zu wagen. Weswegen er Richmond Fontaine 2016 nach zwölf Alben auflöste. Er wollte nicht mehr in der ersten Reihe stehen, lieber nur noch Gitarre spielen. Da hatte er schon The Delines gegründet, zu der neben der Rhythmusgruppe von Richmond Fontaine auch die Sängerin Amy Boone gehört. Für die schreibt er seither jene Songs, die seine eigentliche Qualität ausmachen, weil sie wie seine Romane eine Welt beschreiben, die nur wenige wahrnehmen.

Amy Boones Stimme passt perfekt zu diesen Geschichten. Früher, bei den Damnations in Texas, wurde ihr Gesang noch von diesem glockenhellen Timbre getragen, mit dem Emmylou Harris das Erbe von Joan Baez im Countryrock verankerte. Inzwischen hat sich eine leicht raspelige Patina aus Erfahrungen und Enttäuschungen über Boones Stimme gelegt. Vor allem im Ansatz schafft sie mit ihrer Brüchigkeit diesen rhapsodischen Effekt, der aus Songs große Erzählungen macht.

Das Klangbild der Delines schließt nahtlos an Richmond Fontaine an, mit den fast unverfremdeten Gitarrenakkorden, gospeligen Orgel- und schepperigen Rhodes-Piano-Flächen, dem sphärischen Weitegefühl der Pedal-Steel-Gitarre und einem fast schon introvertierten Rhythmusgefühl. Wobei Vlautin die Musik nie zur reinen Kulisse der Erzählungen reduzierte. Musik und Text waren für ihn immer eine in sich schlüssige Einheit. Was er vergangenes Jahr noch einmal bewies, als er Richmond Fontaine für eine Studiosession reaktivierte, bei der sie zu "Don't Skip Out on Me" ein Begleitalbum einspielten.

Auf "The Imperial" singt Amy Boone nun über Figuren, die im Vlautin-Kosmos schon zu Archetypen geworden sind. Gleich im ersten Song "Cheer Up Charley" beschwört sie einen Freund, sich nicht im Treibsand aus Selbstmitleid und Suff zu verlieren, seine Frau, die sei nun eben weg, aber den Job am Hafen, den habe er noch, der sei dann aber auch weg, wenn er sich nicht einfange.

In der Zwischenwelt der Motels ist nie klar, wer bleibt und wer nur auf Durchreise ist

"Molly the Hustle" packt die Lebensgeschichte eines Mädchens in drei Strophen, die sich immer auf die falschen Männer verlässt. Der Vater züchtet Rennpferde, die nicht gewinnen, macht die Tochter schon mit 13 betrunken und verschwindet über Nacht. Mit 16 zieht sie zu einem 50-jährigen Behinderten, der ihr das Whiskytrinken beibringt, aber in einem Motel erschossen wird. Der nächste Mann prügelt sie krankenhausreif. Dann beginnt sie, verheiratete Männer um viel Geld zu betrügen, bis sie im letzten Vers blutig und betrunken im San Anita Inn landet, einem schäbigen Hotel, das es gleich um die Ecke der Reitrennbahn in Pasadena bis vor kurzem wirklich gab.

Zerbrochene Beziehungen, Suff, Pferde, Gelegenheitsjobs und die tristen Seiten des amerikanischen Westens ziehen sich als Leitmotiv durch Vlautins Gesamtwerk. Das wirkt nie aufgesetzt, gerät nie zur Pose, weil er selbst in Reno, Nevada aufgewachsen ist, sich mit Jobs durchschlug und sich immer noch in der Zwischenwelt jener Motels zu Hause fühlt, in der nie klar ist, wer bleibt und wer nur auf Durchreise ist. Mit Amy Boone hat er eine verwandte Seele gefunden, die seine Geschichten kongenial erzählen kann. Wenn das Album dann über weite Strecken klingt wie letzte Lieder, die eine Band in einer fast schon leeren Bar noch spielt, frühmorgens, wenn Vlautins Figuren zu müde und betrunken sind, um dem Schicksal noch Widerstand zu leisten, wird ein Gesamtkunstwerk der Amerikana daraus.

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