Amerika:Die verzweifelten Staaten

Stephan Erfurt Monografie

Melancholischer Blick auf eine Vergangenheit, die eben noch die glorreiche Gegenwart Amerikas war: Ein Panorama der Stadt New York 13 Jahre vor den Anschlägen des 11. September 2001 aus dem Fotoband „On The Road“ von Stephan Erfurt.

(Foto: Stephan Erfurt)

Es häufen sich die buchdicken Abschiedsbriefe an die USA. Viele sind misslungen, aber es gibt auch gute Gründe, warum man solche Rückblicke von deutschen Autoren lesen sollte.

Von Andrian Kreye

Abschiedsschmerz war immer Brennstoff für große Momente der Kunst, vor allem in der Popmusik und der Literatur. Weil Amerika vor allem für Deutsche nach dem Weltkrieg immer ein Land war, das man buchstäblich lieben konnte, etabliert sich auf dem deutschen Sachbuchmarkt gerade ein neues Genre buchdicker Abschiedsbriefe an die Vereinigten Staaten von Amerika, sonst eigentlich ein klassisches Kommentar- oder Essaythema. All diese Bücher setzen sich mit dem Problem auseinander, dass die Nation, die Deutschland erst befreit, dann aufgebaut und über Jahrzehnte kulturell geprägt hat, ihren politischen, moralischen und kulturellen Leuchtturmstatus verloren hat. Waren die USA früher das Gesellschaftslabor für den Fortschritt, ist es nun Schauplatz für menetekelhafte Fallstudien.

Das begann keineswegs erst mit der Wahl von Donald Trump, sondern (in chronologisch umgekehrter Reihenfolge) schon mit den haarsträubenden Folgen der von amerikanischen Spekulanten ausgelösten Wirtschaftskrise von 2008, dem Weltüberwachungsapparat im Rahmen von George W. Bushs Krieg gegen den Terror und den beiden konventionellen Kriegen derselben Regierung. Streng genommen ja eigentlich schon mit dem Amtsantritt Ronald Reagans, der als erster daran ging, das Amerika zu demontieren, das Europäer so liebten, das Amerika von Franklin D. Roosevelt, John F. Kennedy und Martin Luther King Jr.

Warum sollte man da nicht emotional werden? Der ARD-Korrespondent Jan Philipp Burgard ist beispielsweise in seinem Buch "Ausgeträumt, Amerika: Unterwegs in einem gespaltenen Land" (Rowohlt) so ergriffen von dieser Verzweiflung über den Niedergang seiner geliebten USA, dass er sich mit seinem Pathos schon eine Kolumne auf der Webseite der Satirezeitschrift Titanic einhandelte. Reine Häme, aber es stimmt schon, dass der Befindlichkeitsjournalismus bei einem so dramatischen Thema wie dem Niedergang Amerikas schnell an seine engen Grenzen stößt.

Es sind überhaupt einige ehemalige und amtierende Korrespondenten unter den Abschiedsschreibern. ARD-Mann Ingo Zamperoni war vor anderthalb Jahren mit "Fremdes Land Amerika: Warum wir unser Verhältnis zu den USA neu bewerten müssen" einer der ersten, und weil das offenbar ein solcher Erfolg war, wird er im Mai mit "Anderland: Die USA unter Trump - ein Schadensbericht" (beide Ullstein) nachlegen. Auch als politische Autoren Unerfahrene - Figuren aus der Wirtschaft oder der Kulturkritik - machen nun schreibend ihrem Groll auf Trump Luft. Die kann man allerdings getrost außer Acht lassen. Wer sich das Thema vor Ort und im Leben erarbeitet hat, kommt grundsätzlich zu nachhaltigeren Erkenntnissen.

Schlüsselfrage für Amerika: "Kann die Gegenwart erhalten, wer die Zukunft verhindert?"

Dass es sich um ein regelrechtes Genre handelt, belegt die auffallend ähnliche Form dieser Bücher, die sich fast alle am Roadmovie orientieren. Solche Collagen im journalistischen oder auch sonstigen Alltag entstandener Begegnungen und Erlebnisse mit einem vornehmlich geografischen gemeinsamen Nenner sind oft der direkte Weg in die Beliebigkeit. Ein Vorbild gibt es allerdings auch. Das ist George Packers wegweisendes Niedergangsbuch "The Unwinding" (deutsch: "Die Abwicklung" bei S. Fischer). Da nahm der Reporter des New Yorker 2013 im Trümmerfeld der Wirtschaftskrise vieles voraus, was heute grausame Gegenwart ist.

Nun gehört Packer zu den Meistern der literarischen Reportage. Bei ihm fügen sich die vermeintlich zusammenhangslosen Begegnungen zum Gesamtbild einer Gesellschaft im Trudeln. Einer der wenigen deutschen Abschiednehmer, denen das so gelingt ist Klaus Brinkbäumer, der 2007, ein Jahr vor Obamas erstem Wahlsieg, für den Spiegel in die USA ging (den er heute als Chefredakteur lenkt).

Sein "Nachruf auf Amerika - Das Ende einer Freundschaft und die Zukunft des Westens" (S. Fischer, Frankfurt, 2018. 528 Seiten, 24 Euro) leidet nicht unter, sondern lebt vom Sperrfeuer der Begegnungen und Beobachtungen. Brinkbäumer wechselt dafür zwischen mehreren Gedankensträngen hin und her, beschreibt das Gesellschaftspanorama des Landes genauso wie seine Landschaften, webt Historisches und den Aufstieg Trumps dazwischen und erzählt immer wieder über sich selbst.

Der letzte Strang hat in diesem Fall die Funktion, die Frage zu entkräften, die sich so oft stellt: Warum sollte man etwas über Amerika von deutschen Autoren lesen, wenn es so viele brillante Bücher von amerikanischen Autoren gibt? Von George Packer eben oder von Thomas Frank, Barbara Ehrenreich und David Remnick.

Doch mit den Passagen in der ersten Person macht sich Brinkbäumer für deutsche Leser zum stellvertretenden Beobachter. Dabei verbirgt er seine eigene Liebe zu den USA geschickt in Subtexten. In seinen immer wiederkehrenden Beschreibungen des Lichts zum Beispiel, das in Amerika eine so grandiose Wucht entwickelt. Diese Melancholie spiegelt sich sogar in der laufenden Produktion der Fotobände. Wer die liebevollen Amerikabilder betrachtet, die der Gründer des Fotozentrums C/O Berlin Stephan Erfurt früher gemacht hat, die man nun in seinem Band "On The Road" (Kehrer, Heidelberg, 2018. 252 Seiten, 35 Euro) findet, den wird Wehmut erfassen.

Brinkbäumers Amerikaliebe steckt aber auch in der Auswahl seiner Gesprächspartner, in der sich jeder wiederfinden kann, der Amerika selbst geliebt hat. So trifft er den Filmstar und Vorbildliberalen George Clooney, die Schriftsteller Junot Díaz und Joan Didion, er spricht mit Menschen, die mit dem verstorbenen Autor David Foster Wallace gelebt oder gearbeitet haben.

Mit dem Skipper und mehrfachen America's-Cup-Gewinner Dennis Conner nimmt er die klassische Heldenfigur des Seebären, um an ihm den Weg Amerikas vom Hort der Ideale zu dem eines radikalen Kapitalismus zu zeichnen. Selbst in dessen Epizentrum, dem Silicon Valley, findet er zwei Figuren, die für den Zukunftsoptimismus des Landes standen, den Apple-Mitbegründer Steve Wozniak und die Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg. So ergibt sich ein deutliches Bild von einem Amerika, das gerade eben noch eine glorreiche Gegenwart hatte.

"Die verzweifelten Staaten" lautet eine durchaus programmatische Kapitelüberschrift. Und auf einer Fahrt durch Georgia gelingt ihm dann der Schlüsselsatz, der das Problem der Trump-USA auf den Punkt bringt: "Kann die Gegenwart erhalten, wer die Zukunft verhindert?" Um zum Schluss zu kommen, dass das amerikanische Jahrhundert gerade in ein neues pazifisches Zeitalter übergeht, in dem Asien die Weltgeschichte dominieren wird.

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