Süddeutsche Zeitung

"Americanah" von Chimamanda Ngozi Adichie:Welche Farbe hat eigentlich Hautfarbe?

Lesezeit: 5 min

Chimamanda Ngozi Adichies neuer Roman handelt von einer Grenzgängerin zwischen den USA und Nigeria. Leichtfüßig balanciert "Americanah" auf einem schmalen Grat.

Von Dana Buchzik

"If your hair is relaxed, white people are relaxed", hat der afroamerikanische Comedian Paul Mooney einmal gesagt. Tragen People of Color ihre Haare lang und kraus, wird das in Amerika nicht selten als Provokation gedeutet; wer gesellschaftlich akzeptiert und beruflich erfolgreich sein will, glättet sein Haar, auch wenn chemische Entkrausungsmittel im Verdacht stehen, Krebs zu erzeugen, und Glätteisen eitrigen Schorf und Haarausfall verursachen können.

Es hat also durchaus eine politische Dimension, wenn Ifemelu für einen Friseurbesuch die Stadt verlassen muss. Princeton, wo die junge Studentin ein Aufenthaltsstipendium hat, ist von Wohlstand durchwabert; man verhält sich im Straßenverkehr ausgesprochen rücksichtsvoll, kauft im Biosupermarkt ein und vor allem ist man, wie Ifemelu flapsig zusammenfasst, "weiß und schlank und dünn bekleidet". Entkrausungsmittel mag es im Drugstore geben, wer sich die Haare hingegen traditionell afrikanisch flechten lassen will, muss dafür schon in einen Trentoner Stadtteil fahren, wo keine Weißen leben. Im heruntergekommenen Salon Mariama African Hair Braiding spricht Ifemelu das Unglaubliche aus: "Ich gehe nach Nigeria zurück." Von ihrer verdatterten Haarflechterin erntet Ifemelu das gleiche Unverständnis, das ihr auch engste Freundinnen entgegenbringen.

Bereits in ihrem vorangegangen Erzählband "Heimsuchungen" (2012) waren Chimamanda Ngozi Adichies Protagonistinnen Grenzgänger zwischen den disparaten Welten Nigerias und Amerikas. Ihr aktueller Roman "Americanah" ist aus der Sicht von Ifemelu und Obinze erzählt, zweier Liebender im Lagos der Neunzigerjahre. Ifemelu lässt Obinze in Nigeria zurück, um in Amerika Kommunikationswissenschaft zu studieren.

Schamgeschüttelt

Der Neuanfang gerät zur Odyssee: In den wenigen bezahlbaren Wohnungen hausen Mäuse oder nicht stubenreine Hunde, auf dem Boden liegen Schimmelteppiche aus, und auch die Suche nach Arbeit oder neuen Freunden gestaltet sich schwieriger als gedacht. Ihre weißen Mitmenschen nehmen Ifemelus Hautfarbe zum Anlass, ihr mit gekünstelter Höflichkeit oder offener Verachtung zu begegnen; weil sie keinen amerikanischen Akzent hat, spricht man zudem mit ihr, als sei sie geistig zurückgeblieben. Alles an ihr scheint plötzlich defizitär zu sein: ihre Herkunft, ihr Aussehen und alles, was sie zu sagen hat. Ifemelu vereinsamt mehr und mehr; als ihre Geldnot überhand nimmt, erklärt sie sich bereit, einem Mann für hundert Dollar dabei zu helfen, "sich zu entspannen", und bricht schamgeschüttelt den Kontakt zu Obinze ab.

Obinzes Sicht wird in Adichies Roman nur wenig Platz zugestanden, obwohl er in seiner Verletzlichkeit, seinem trotzigen Optimismus und seiner tiefen Loyalität zu Ifemelu sehr plastisch und unmittelbar sympathisch gezeichnet ist. Auch Obinze versucht sein Glück im Ausland und geht nach England, findet dort jedoch weder Anschluss noch Hilfe und nutzt die Sozialversicherungskarte eines afroamerikanischen Bekannten ("Für Weiße sehen wir alle gleich aus"), um unter falschem Namen Toiletten und Lagerhäuser zu putzen. Er will sich mithilfe einer Scheinehe sein Bleiberecht sichern, wird jedoch vor dem Standesamt festgenommen und ausgewiesen.

Obinzes Verzweiflung in der Abschiebehaft und seine niederschmetternde Ankunft in Nigeria gehören zu den stärksten Stellen des Romans. Nachdem er wie ein Verbrecher abgeführt und als Mensch zweiter Klasse in Lagos abgeliefert worden ist, trifft er auf einen Einwanderungsbeamten, der sich um sein weiteres Schicksal kümmern soll: ",Willkommen zu Hause!' sagte er gutgelaunt. . . ,Und hast du was für die Jungs?' Obinze sah ihn einen Augenblick lang an, sein offenes Gesicht, seine schlichte Weltsicht; Deportationen erfolgten jeden Tag, und die Lebenden lebten weiter. Obinze zog einen Zehn-Pfund-Schein aus der Tasche. Der Mann nahm ihn lächelnd."

Nach dem Verlust Ifemelus und dem Trauma der Abschiebung muss Obinze feststellen, dass sich für ihn alles, in Nigeria jedoch nichts geändert hat. Er zieht seine eigene Konsequenz und nutzt den Wirtschaftsboom in Lagos als Immobilienbetrüger, um märchenhaft schnell reich zu werden. Ifemelu lernt unterdessen ihren ersten weißen Partner und Gönner kennen: Curt, gut aussehend und grundvergnügt, hilft Ifemelu über ihren finanziellen Engpass hinweg, verschafft ihr Arbeit und eine Green Card - was das Thema "Rasse" für sie bedeutet, begreift er hingegen nicht: Für Curt war seine ethnische Zugehörigkeit nie ein Hindernis.

Aus Ifemelus Gefühl des Unverstandenseins wird ihr Blog geboren: "Raceteenth oder Ein paar Beobachtungen über schwarze Amerikaner (früher als Neger bekannt) von einer nicht-amerikanischen Schwarzen". Hier stellt Ifemelu Fragen, die sich festsetzen: "Wenn ihr das Mainstream-Fernsehen anschaltet oder eine Mainstream-Zeitung aufschlagt, erwartet ihr dann überwiegend Bilder von Menschen einer anderen Rasse? Macht ihr euch Sorgen, dass eure Kinder keine Bücher und Lernmaterialien haben, die von Menschen eurer Rasse handeln? Wenn ihr hautfarbene Unterwäsche tragt oder hautfarbene Pflaster benutzt, wisst ihr dann schon im Voraus, dass sie nicht zu eurer Hautfarbe passen werden? . . . Wenn ihr überwiegend mit Nein antwortet, dann herzlichen Glückwunsch, ihr seid weiß und privilegiert."

Chimamanda Ngozi Adichie verknüpft die verschiedenen Zeitebenen ihres Romans mithilfe der Blogeinträge, die Ifemelus Erlebnisse in Nigeria und Amerika unterfüttern. Auf Dauer ermüdet diese Erzählstrategie, da Ifemelu ohnehin mit Ethnologenaugen durch die Welt marschiert und ihre Gedanken permanent von einer Metaebene zur nächsten springen. Zudem arbeitet die Autorin häufig mit Dialogen, deren Ende scharf gestochene, raumgreifende Beobachtungen Ifemelus markieren, die ihrerseits wie Blogeinträge daherkommen. Viele Nebenfiguren scheinen von Adichie nur eingeführt zu werden, um ihrer Protagonistin neue Stichwortgeber zu liefern, die, von Ifemelus Brillanz mundtot gemacht, bald wieder im Dunkel verschwinden. Sie entstammen meist der Mittel- bis Oberschicht und ihre unreflektierten Wohlstandsdebatten werden gnadenlos ausgestellt: Seien es reiche Weiße, neureiche Nigerianer, zeitgenössische amerikanische Autoren, schwarze Autoren, die "Ghettomist mit reißerischen Umschlägen verzapfen", oder Akademiker - in "Americanah" kriegen alle ihr Fett weg.

Misstrauen gegenüber allem Guten

Hinter Ifemelus soziologischen Exkursen verschwimmen jedoch ihre eigenen Gefühle und Motive. Wiederholt lässt Adichie ihre Protagonistin betonen, dass ihrer inneren Taubheit tiefes Heimweh nach Nigeria und nach Obinze zugrunde liege - eine Gefühlsthese, die sich in Ifemelus Handlungen und Gedanken nicht einlösen lässt: Nigeria war für sie immer mit Frustration verknüpft, und schon nach der ersten, wilden Verliebtheit versuchte sie die Beziehung zu Obinze zu sabotieren, so wie sie es in Amerika bei Curt und ihrem späteren Freund Blaine tut, aus einem Gefühl der Leere heraus, das vielleicht einfach Misstrauen gegenüber allem Guten ist, das ihr im Leben zustößt.

So hat das Happy End, auf das Adichie ihre Protagonistin zusteuern lässt, etwas Holzschnittartiges: Ifemelu lässt sich vor ihrer Rückkehr die Haare traditionell flechten, schließt ihr Blog und interessiert sich in Nigeria vor allem für Obinze, nicht mehr für das Thema Rassismus. In Lagos ist sie eine "Americanah", eine Rückkehrerin aus den USA, deren Nimbus der Weitgereisten alle Kaprizen rechtfertigt. Fast achselzuckend klingt es, wenn sie ihrem Exfreund Curt am Telefon erzählt: "Mir kommt es vor, als wäre ich in Lagos aus dem Flugzeug gestiegen und hätte aufgehört, schwarz zu sein."

Chimamanda Ngozi Adichies dritter Roman, der mit dem renommierten National Book Critics Circle Award for Fiction ausgezeichnet wurde, strotzt vor scharfsinnigen Analysen, krankt jedoch an seinen thematischen Ambitionen. Die 36-jährige Autorin greift so viele Inhalte auf, dass sie nur wenigen gerecht werden kann: Postkoloniale Diskurse, die Macht des christlichen Glaubens in Nigeria, Depression, Lagos Girls, bestechliche Journalisten, Feminismus, Militärdiktatur und Wirtschaftsbetrug, Schwächen des Bildungssystems, Suizidversuch eines Familienmitglieds, alltäglicher Rassismus, Liebe und Verrat, und nicht zuletzt die Scheinheiligkeit zeitgenössischer Literatur.

Am besten gelingen Adichie die Passagen, in denen sie sich Zeit lässt, Alltagsrassismus in seinen vielfältigen Facetten zu enttarnen. In ihrer Deutlichkeit geht die Autorin weit über die meditativ-assoziative Beobachterperspektive hinaus, die etwa der nigerianische Autor Teju Cole seinen Protagonisten einnehmen lässt. Inhaltlich fühlt man sich an Sefia Atta ("Nur ein Teil von dir") und Taiye Selasi ("Diese Dinge geschehen nicht einfach so") erinnert, deren aus Afrika stammende Protagonisten in England und Amerika leben und arbeiten und, oft vergeblich, nach ihrer Identität suchen. Die 34-jährige Selasi hat den Begriff "Afropolitan" für Weltbürger mit afrikanischen Wurzeln erfunden, ein Wort, mit dem Adichie, wie sie in Interviews betont, nichts anfangen kann. Vielleicht erscheinen ihr Einordnungsversuche wie "globaler Roman" oder "globale Diaspora", mit denen ihr Buch in Kritiken überhäuft wird, ähnlich künstlich. Vielleicht erinnern sie Rezensionen, in denen sie dafür gelobt wird, dass sie ohne Zorn, ohne mahnend erhobenen Zeigefinger über Rassismus schreibe, an einen von Ifemelus Blogeinträgen: Die einzig sozial anerkannte Rolle für People of Color sei die des "magischen Negers", konstatiert Ifemelu. "Er vergibt stets alle mögliche rassistische Scheiße. Er lehrt die Weißen, wie sie das betrübliche, aber verständliche Vorurteil aus ihrem Herzen reißen."

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Quelle:
SZ vom 04.06.2014
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