Süddeutsche Zeitung

Netzkolumne:Alexa, sprich wie Oma

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Amazon stellt eine neue Funktion ihres Heimassistenten vor: Stimmenimitation von toten Menschen. Welche Auswirkung hat das auf Filme, Serien und Hörbücher?

Von Michael Moorstedt

Das Online-Imperium Amazon ist ein recht zuverlässiger Lieferant jener Art von Nachrichten, die man sonst eigentlich eher von dystopischen Science-Fiction-Serien erwartet. Neulich war es wieder so weit. Da enthüllte das Unternehmen eine neue Funktion seines Sprachassistenten Alexa. In dem zugehörigen Video sieht man, wie ein Kind den Computer bittet, ihm eine Gute-Nacht-Geschichte mit der Stimme der toten Großmutter vorzulesen.

Die verstorbenen Verwandten als Vehikel für eine Künstliche Intelligenz? Man kann das entweder für gruselig oder liebreizend halten. In den Reaktionen der Öffentlichkeit waren jedenfalls keine moderaten Stimmen zu hören. Ob und wann diese Funktion jemals den Nutzern zur Verfügung gestellt wird, ließ Amazon offen. Das Unternehmen behauptet aber, dass nur eine einzige Minute aufgezeichneter Audiodaten nötig seien, damit das System lernen kann, die Stimme einer Person zu imitieren.

Dank Fortschritten beim maschinellen Lernen haben sich die Ergebnisse von Sprachsynthese in den vergangenen Jahren massiv verbessert. Und natürlich lassen sie sich zum Guten wie auch zum moralisch Fragwürdigen verwenden. KI-Start-Ups wie Respeecher oder Vocaloid waren ursprünglich als Forschungsprojekte gestartet, um Menschen zu helfen, die aufgrund einer Erkrankung oder eines Unfalls ihre Stimme verloren haben.

Top Gun, Star Wars, Koch-Dokus: Überall kommen KI-Stimmen zum Einsatz

Heutzutage findet man die Arbeiten aber zunehmend auch in freier Medienwildbahn. Zum Beispiel in der Dokumentation Roadrunner über das Leben des 2018 verstorbenen Starkochs Anthony Bourdain. Zu hören waren darin auch Abschnitte, in der eine künstliche Intelligenz dessen Stimme postum imitiert hat. Der synthetische Dialog bestand aus Worten, die Bourdain zwar geschrieben, aber nie ausgesprochen hatte. Reichlich Kritik steckte das Projekt deshalb ein, weil der Einsatz der Technik erst im nachhinein zugegeben wurde.

Disney benutzt KI-Technik, um die Stimmen der inzwischen reichlich gealterten Protagonisten der ersten Star-Wars-Filme von ihrer Patina zu befreien und im gerade erschienenen Top-Gun-Remake verleiht eine Software Darsteller Val Kilmer seine Stimme - der Schauspieler hatte sein natürliches Organ nach einer Kehlkopfkrebserkrankung verloren.

Das Unternehmen Veritone hat da längst ein Geschäftsmodell entdeckt. Mittels der Technik sollen Schauspieler und andere Medienpersönlichkeiten die Möglichkeit haben, einen Klon ihrer Stimme anzufertigen, der dann nach Belieben lizensiert werden kann. Während die Berühmtheit auf dem roten Teppich repräsentiert, werden nebenbei automatisiert Werbespots und andere Audioaufnahmen produziert - eine KI-Kakophonie, in der völlig unklar sein wird, was wirklich gesagt wurde.

Verlage, so berichtet das Magazin Wired, erhoffen sich derweil durch die KI-Stimmen, den immer weiter steigenden Bedarf an Hörbüchern zu befriedigen - und dabei noch Kosten für die Sprecher zu sparen. In den USA formiert sich bereits Widerstand von professionellen menschlichen Sprechern. Noch steht dem ausgerechnet wieder Amazon im Wege: Im Regelwerk von ACX, der hauseigenen Plattform für die Produktion von Hörbüchern, die zwischen Autoren, Verlegern sowie Aufnahmestudios vermittelt, ist explizit festgeschrieben, dass eingereichte Hörbücher von einem Menschen eingesprochen werden müssen.

Die Grenzen zwischen Realität und Simulation verschwimmen mal wieder. Eine der zahlreichen ethischen Stolpersteine betrifft die Frage nach dem Einverständnis. In Zukunft könnte es also passieren, dass man im Nachlass nicht nur den Umgang mit den sterblichen Überresten regelt. Sondern auch explizit dafür sorgen muss, dass man nicht als Wiedergänger in den Archiven eines Rechteverwerters landet.

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