Amanda Gormans "The Hill We Climb":Ein Stein der Hoffnung

January 31, 2021, Los Angeles, California, USA - AMANDA GORMAN, inaugural Youth Poet Laureate, whose recitation of The

Wird von Freiheitskämpfern gerufen: die Autorin Amanda Gorman.

(Foto: Climate Reality Project/imago images/ZUMA Wire)

Amanda Gormans Gedicht "The Hill We Climb" gehört in die Tradition der afroamerikanischen "oral poetry". In der gedruckten Variante geht das Wesentliche fast verloren.

Von Andrian Kreye

Die Veröffentlichung der zweisprachigen Ausgabe von Amanda Gormans Gedicht "The Hill We Climb", das sie für die Amtseinführung von Joe Biden und Kamala Harris geschrieben und dort vorgetragen hatte, wäre eine gute Gelegenheit, die Dichterin gegen ihr Buch zu verteidigen. Hat sie natürlich nicht nötig. Amanda Gorman war schon wer, bevor sie vor dem Kapitol ihren historischen Auftritt hatte. Und der machte sie zu einer nationalen Ikone.

Sie ist jetzt mit den Obamas befreundet, Oprah Winfrey schrieb ihr das Vorwort zur Veröffentlichung, sie durfte rockstarmäßig in der Pause des Superbowl rezitieren, hat einen Model- und einen wohldotierten Buchvertrag, könnte alleine von ihren Auftritten gut leben. Vor allem aber hat sie nun eine Stimme, der man zuhört. Was ihr vermutlich wichtiger ist als der ganze Glanz und Glamour und die stattlichen Honorare.

Vor zweieinhalb Jahren hat sie das mal vor einer Runde New Yorker Highschool-Schüler erklärt. Lyrik, so führte sie aus, sei keine tote Kunstform alter weißer Männer, wie sie im Lehrplan stehe. Wobei diese Formel damals nicht so verächtlich anklägerisch klang wie heute im Mahlstrom der Ideologiedebatten. Es ging ihr vor allem darum, den Teenagern Dichtung näherzubringen. Lyrik sei Politik, fuhr sie fort. Und dann wurde sie doch kurz sehr verächtlich und anklägerisch, als sie davon erzählte, wie die Literaturredakteure ihr bei Aufträgen oft einbläuten, ja nichts Politisches zu schreiben in ihren Gedichten.

"Ich bin die Tochter von schwarzen Schriftstellern, die von Freiheitskämpfern abstammen"

Sie habe da ein Mantra, das sie sich auch vor jedem Auftritt vorsage, weil sie eine Heidenangst vor öffentlichem Reden habe: "Ich bin die Tochter von schwarzen Schriftstellern, die von Freiheitskämpfern abstammen, die ihre Ketten zerbrochen und die Welt verändert haben. Sie rufen mich." Afroamerikanische Identitätspolitik in vier Versen, um den Schülern die Kraft der politischen Lyrik ex negativo zu verdeutlichen: "Wenn ich mich entschließe, aus Angst nicht zu sprechen, dann gibt es niemanden, für den mein Schweigen steht."

Gorman hatte damals schon ihre Berufung zur ersten Jugendnationaldichterin hinter sich. Sie berief sich dann auf eine ganze Reihe Vorbilder, darunter Maya Angelou, Ntozake Shange, Lucille Clifton, Audre Lorde, allesamt Dichterinnen, die zentrale Stimmen der amerikanischen Freiheitskämpfe und Bürgerrechtsbewegung waren. Und sie führte vor, warum auch Martin Luther Kings Reden eine Form der Lyrik waren: "Wir werden aus diesem Berg der Verzweiflung einen Stein der Hoffnung schlagen können."

Sie stellte sich also schon früh und bewusst in eine afroamerikanische Tradition. Die Historie der "oral poetry" umspannt einen ähnlich großen Bogen wie die europäische Dichtung, sie reicht von den Griots der westafrikanischen Königreiche bis zum Hip-Hop der Gegenwart. Weswegen es nun nicht besonders sinnvoll ist, ihr Gedicht oder gar die deutsche Übersetzung dem literaturkritischen Brennglas auszusetzen. Mit Richard Wagner kommt man dem schon näher, mit dem Konzept des Gesamtkunstwerkes, das in diesem Fall Text, Stimme und Person umfasst.

Sicher liest sich "The Hill We Climb" gedruckt vor allem auf Deutsch wie Binsen und Banalitäten. Schon der Einstieg: "Ein neuer Tag, und wir fragen uns, wo wir Licht finden sollen im nicht enden wollenden Schatten." Aber wenn man Martin Luther Kings "I Have A Dream" auf Papier liest, ist das auch ganz schöner Kitsch. Ohne den historischen Moment. Ohne das Aufwallen seiner Sprache. John Coltrane vertonte dann eben auch nicht die Texte von King, sondern seine Sprachmelodie. Weil das Lyrik ist, die im Moment und in der gesprochenen Sprache lebt und sich aus einer Kraft speist, die ihren Ursprung in den Pech-und-Schwefel-Predigten der afroamerikanischen Kirchen und "call and response"-Ritualen des Blues hat.

Diese Lyrik lebt vom Moment und der gesprochenen Sprache

Es ist eine lange Tradition, die einen überwältigen kann, wenn man mit dem deutschen Lehrplankanon, mit den freud- und kraftlosen Gottesdiensten der Lutheraner aufgewachsen ist und ihr auf einer Amerikareise begegnet. Wenn man das Glück hatte, Ntozake Shange, Gil Scott-Heron, The Last Poets, Elizabeth Alexander oder Amiri Baraka zu hören, begriff man das schon ein wenig besser. Es hatte schon einen Grund, warum Maya Angelou für ihr Gedicht zur Amtseinführung von Bill Clinton 1993 keinen Literaturpreis, sondern einen Grammy bekam, den höchstangesehenen Schallplattenpreis für gesprochenes Wort.

Was nicht heißt, dass all diese Dichterinnen und Dichter die Literatur nicht im Griff hatten und haben. Zu den rund fünfzig Auszeichnungen, die Gormans Vorbild Maya Angelou bekam, zählten eben nicht nur die Presidential Medal of Freedom und die Lincoln Medal für die politische Kraft ihrer Lyrik, sondern auch der Pulitzer und der Norman Mailer Prize und ein Tony für die Kunst ihres Schreibens.

Amanda Gormans "The Hill We Climb": Amanda Gorman: "The Hill We Climb - Den Hügel hinauf: Zweisprachige Ausgabe". Mit einem Vorwort von Oprah Winfrey. Aus dem amerikanischen Englisch von Uda Strätling, Hadija Haruna-Oelker, und Kübra Gümüşay. Hoffman und Campe Verlag, Hamburg, 2021. 64 Seiten, 10 Euro.

Amanda Gorman: "The Hill We Climb - Den Hügel hinauf: Zweisprachige Ausgabe". Mit einem Vorwort von Oprah Winfrey. Aus dem amerikanischen Englisch von Uda Strätling, Hadija Haruna-Oelker, und Kübra Gümüşay. Hoffman und Campe Verlag, Hamburg, 2021. 64 Seiten, 10 Euro.

(Foto: Hoffmann und Campe)

"The Hill We Climb - Den Hügel hinauf" ist nicht mehr als ein Dokument eines solchen historischen Moments, in dem Sprache gesprochen wurde, und zwar auf eine Weise, die große Teile der amerikanischen Nation und auch so einige im Rest der Welt berührte. Mehr kann das Buch nicht sein. Auf Papier lebt ihre Lyrik auch im Original nicht so recht, weswegen die Übersetzung zwangsläufig scheitern muss. Es ist die Exegese am Schluss des Bändchen, die es doch noch interessant macht. Minutiös interpretieren die drei Übersetzerinnen fast jedes Zeile, jeden Begriff.

Alleine der Hügel im Titel des Gedichts gibt Bezüge auf die Architektur der Macht am Fuße des Kapitols, auf die religiöse Rechtfertigung des puritanischen Expansionsdrangs in John Winthrops Predigt von 1630 und auf Maya Angelous Gedicht "Caged Bird" her. Da bekommt das Bändchen seine Bedeutung, die es nur haben kann, wenn man gesehen hat, wie Amanda Gorman am Fuße des Kapitols stand und nach vier Jahren Chaos, Hass und Rassismus Worte für den Neuanfang fand. Ob sie einen Platz im Literaturkanon bekommt, wird sich noch zeigen. Ihren Platz in der Geschichte hat sie schon. Und eine Stimme, mit dem sie ihn zementieren wird. Nach ihren Regeln.

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