Alte und neue Kunst:Gut gereift

Alte und neue Kunst: "Junger Offizier"

"Junger Offizier"

(Foto: Sotheby's)

Ausstellungen alter Meister füllen in vielen Städten große Museen - auf dem Markt aber fehlt der Nachschub.

Von Alexandra González

Frankfurt schwelgt in Tizians Farbmagie, München erkundet derweil eifrig den skandalösen Verismus der Caravaggisten und in Wien lockte die grausam-phantastische Detailmalerei Pieter Bruegel d.Ä. mehr als 400 000 Besucher in das Kunsthistorische Museum. Der Sog der alten Meister scheint ungebrochen. Doch laut dem im März veröffentlichtem "Art Basel and UBS Global Art Market Report" wollen immer weniger Sammler mit ihnen leben: Der Sektor alte Meister ist auf einem Zehn-Jahres-Tiefpunkt angelangt und mit einem Umsatz von 905 Millionen Dollar in 2018 auf einen Anteil von sechs Prozent am weltweiten Auktionshandel geschrumpft. Eine Nische, die zu leiden hat unter dem Schwund an Nachschub, Zuschreibungsproblemen und dem miserablen Erhaltungszustand vieler Gemälde.

Katerstimmung ist dennoch keine angebracht. Smarte Sammler kaufen ohnehin antizyklisch und gehen auf die Pirsch nach Talenten aus der zweiten Reihe. Wenn es keinen echten Caravaggio am Markt gibt, erwirbt man eben einen der Nachfolger, die im 17. Jahrhundert wie Zugvögel nach Rom schwirrten, um den betörenden Tenebrismus des Vorbilds zu studieren. Bei Sotheby's etwa wurde im Januar ein Valentin de Boulogne zugeschriebener Hirtenjunge von geschätzten 60 000 auf mit Aufgeld 579 000 Dollar gehoben. Und Artemisia Gentileschi, die die Qualen ihres eigenen Schicksals mit Darstellungen von biblischer Brutalität therapierte, elektrisierte im Wiener Dorotheum: Ihr Bildnis einer sich selbst erdolchenden "Lucretia" kletterte im vergangenen Oktober auf 1,885 Millionen Euro. Es sind diese schrägen, üppig-barocken Schaustücke mit reichlich wallpower, die in hohe Preisregionen vorstoßen. Immer stärker fühlen sich auch auf zeitgenössische Kunst abonnierte Marktakteure vom kreatürlichen Realismus und der psychischen Verdichtung vieler Altmeister-Porträts angezogen. Wer einen Lucian Freud oder eine Jenny Saville besitzt, fürchtet sich nicht vor den schlaffen Hauttaschen eines alternden Neptun auf Artus Wolfforts Leinwand "Die vier Elemente". Auf 150 000 bis 250 000 Euro ist dieses flämische Glanzlicht in Dorotheums Altmeister-Auktion am 30. April taxiert. Das Schöne, Glatte, Minutiöse der nordniederländischen Kunst hat es dagegen schwer. In diesem kapriziösen Markt muss sich jetzt die SØR-Rusche-Sammlung bewähren, ein über vier Generationen zusammengetragener Schatz holländischer und flämischer Malerei des 17. Jahrhunderts. Der westfälische Modeunternehmer Thomas Rusche trennt sich via Sotheby's von 225 Werken wenig bekannter Meister im handlichen Kabinettformat. Um den Markt nicht mit einer derartigen Menge an Bildern des Goldenen Zeitalters zu fluten, verteilt Sotheby's diese im Lauf des Jahres auf seine Altmeister-Termine, beginnend mit einem Live-Sale in London am 8. Mai, der von einem Online-Sale (1. bis 10. Mai) flankiert wird. Zwischen 20 000 und 30 000 Pfund rangieren die meisten Taxen, doch bereits im Januar erzielte die Pièce de Résistance der Sammlung, eine zwischen zwei steinernen Tierschädeln gewundene Blumengirlande der flämischen Malerin Michaelina Wautier brutto 471 000 Dollar. Erwartet wird ein Gesamterlös von mindestens 1,9 Millionen Pfund. Geld, das Rusche dringend für die Familienfirma benötigt, "um die digitale Expansion zu finanzieren, ohne die es den stationären Handel morgen nicht mehr geben wird", wie er am Telefon erklärt. Daher sollen auch die 4000 zeitgenössischen Gemälde aus seiner Sammlung versilbert werden. Das Kölner Auktionshaus Van Ham versteigert diese enorme Masse, darunter Arbeiten von George Condo, Alicja Kwade, Daniel Richter, zudem zahlreiche unbekannte Nachwuchskünstler ab 29. Mai in mehreren Tranchen.

Das Spannende an dieser Kollektion ist, dass man jenseits der Glitzernamen Rembrandt und Frans Hals eine klare Vorstellung bekommt von der bemerkenswerten Qualität zahlreicher petits-maîtres, die dazu beitrugen, die Niederlande als Epizentrum des nordeuropäischen Kunstmarkts im 17. Jahrhundert zu etablieren. Nach dem reformatorischen Bildersturm und mit der entstehenden Bürgerrepublik entfielen Kirche beziehungsweise Adel als Auftraggeber, erstmals erwarben kleine Leute Kunst. Durch deren Wohnverhältnisse und Dekorbedürfnisse entstanden das intime Kabinettformat und eine große Bandbreite lebensnaher Sujets - Hinterhöfe, Taubenställe, pinkelnde Bauern, Bordellszenen. Einer dieser Zauberkünstler des Alltäglichen ist Herman Saftleven: Licht wie aus einem Filmscheinwerfer durchschneidet das Dunkel seines "Scheunen-Interieurs" (6 000 - 12 000 Pfund) und spielt mit der unterschiedlichen Materialität von Tonkrug, Bottichen und Messingpott.

Man muss sich schon auf das kleine Format einlassen und ausgiebig hinsehen, um die verborgenen Bedeutungsebenen zu erfassen. Da verlieren die opulenten Rosenblüten in dem Blumenbouquet Otto Marseus van Schriecks (20 000 - 30 000 Pfund) an Kraft, erste Blätter hängen schlaff herab. Eine Vanitas-Botschaft versteckt sich hinter der duftigen Feinmalerei: Mensch, befasse dich mit endzeitlichen Fragen. Der damals religiös motivierte Subtext scheint aktueller denn je. Womöglich geht der klimabesorgten "Fridays-for-Future"-Generation die bedrohte Natur auf den Landschaftsgemälden der alten Holländer ähnlich nahe wie der vom Kriegstrauma ausgelaugten Gesellschaft in den Niederlanden des frühen 17. Jahrhunderts. Überhaupt gäbe es viele Ansatzpunkte, diese Malerei mit Gegenwartskunst kurzzuschließen. Etwa ihre handwerkliche Solidität, aber ebenso die Bemühung gegen die Handwerkstradition anzutrotzen. "Das Spiel mit dem Bad Painting, wie es beispielsweise Jonathan Meese betreibt, findet man in einem kleineren Spektrum auch bei den Holländern", sagt Rusche, "denken Sie einerseits an den Leidener Willem van Mieris, der haarfein wie auf Porzellan malt. Und zum anderen an Jan van Goyen, der mit einem breiten Pinselstrich arbeitet und sich bewusst von den Gildekonventionen befreit."

Sagenhafte Modernität versprüht Willem Cornelisz. Duysters elegant gekleideter "Junger Offizier" (20 000 - 30 000 Pfund). Er steht mit den Händen in die Hüften gestemmt vor einer blanken Wand und betrachtet seine Fußspitzen. Warum posiert er so aufreizend und wendet sich zugleich ab? Diese aufgesprengte Grenze von Innen- und Außenwelt führt geradewegs zu Manets "Querpfeifer", der aus dem leeren Hintergrund nahezu herausgeschnittenen ist, und den zeitgenössischen Figurenrätseln Michaël Borremans.

In vielen Museumsausstellungen präsentierte sich die Rusche-Sammlung als Füllhorn, aus dem man Bilder verschiedener Epochen entnehmen und zu überzeugenden Paaren verbinden konnte. Doch den Versuch, die alten und jungen Meister in einer konzentrierten Auktion gewinnbringend zu verknüpfen, wagt Thomas Rusche nun nicht. "Den Expertenrat gibt es entweder in der Altmeisterabteilung oder bei der Gegenwartskunst." Schade, denn die geschlossene Kollektion war eine inspirierende Stilschule, um zu lernen, wie blendend sich diese scheinbar disparaten Geschmacksgebiete miteinander vertragen.

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