Alte Musik:Klangschatzgräber

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Ein Jubiläum mit Weltpremiere: Seit 40 Jahren geben die Innsbrucker Festwochen der Barock-Szene den Takt vor.

Von Kristina Maidt-Zinke

Es ist ein Datum in der Geschichte der Bewegung, die sich dem "Originalklang" von Barockmusik verschrieben hat: Am 24. August 1976 fand im Spanischen Saal von Schloss Ambras das erste Konzert der ersten Innsbrucker "Woche für Alte Musik" statt. Die Besetzung hatte noch Geheimtipp-Status: Ein gewisser René Jacobs sang eine Kantate von Caldara und Kastraten-Arien von Händel. Lucy van Dael spielte eine Violinsonate von Bach, Wieland Kuijken eine Gambensuite von Couperin, und am Cembalo saß Alan Curtis. Vorausgegangen war eine der internationalen Sommerakademien, die früher die einzige Chance für Musiker boten, sich in der historischen Aufführungspraxis aus- und weiterbilden zu lassen. Das Programm und die Darbietung auf Originalinstrumenten wirkten damals noch exotisch - aufregend für ein paar Kenner, für andere eher kurios. Kaum jemand hätte geglaubt, dass aus dieser Keimzelle eines der prominentesten Alte-Musik-Festivals hervorgehen und glanzvoll die Jahrzehnte überdauern würde.

Auf den Tag genau nach 40 Jahren, jetzt am Mittwoch, wird das Konzert wiederholt, mit hochkarätigen Interpreten der jungen Generation. Das Repertoire ist längst Barock-Standard, einen Lehrbetrieb für Aufführungspraxis gibt es in vielen Ländern, und er bringt jede Menge formidablen Nachwuchs hervor. René Jacobs ist inzwischen ein Stardirigent mit dreizehnjähriger Erfahrung als künstlerischer Leiter der Innsbrucker Festwochen, Lucy van Dael und Wieland Kuijken sind lebende Streicher-Legenden. Alan Curtis aber, der amerikanische Musiker und Forscher, der in Innsbruck zu den Pionieren gehörte und dort immer wieder als Cembalist, Dirigent und Anreger in Erscheinung trat, ist vor einem Jahr in seiner Wahlheimat Florenz verstorben - er war trotz seiner 80 Jahre bis zuletzt mit unvermindertem Elan tätig gewesen. Sein letztes Projekt, das er gemeinsam mit dem Regisseur Alessio Pizzech für das Festival-Jubiläum vorbereitet hatte, ist so sein Vermächtnis geworden.

Eine neu entdeckte Oper erklingt zum ersten Mal seit 350 Jahren

In Innsbruck landete nun am vergangenen Freitag eine blauweiße Barke namens "Alan" im Innenhof der Theologischen Fakultät. Sie beherbergte das kleine, aus Studierenden und Absolventen des Salzburger Mozarteums rekrutierte Orchester der "Barockoper jung". Aber was sich so bescheiden anhört, war eine Weltpremiere: Zum ersten Mal nach 351 Jahren erklang die Oper "Le nozze in sogno" ("Die Hochzeit im Traum"), die erst 2013 von zwei Florentiner Musikwissenschaftlern als Werk des toskanischen Komponisten und Innsbrucker Hofmusikers Pietro Antonio Cesti (1623-1669) identifiziert werden konnte. Alan Curtis, seit der Wiederentdeckung der Oper "Semiramide" 1983 als Cesti-Spezialist ausgewiesen, hatte die Neuausgabe der Partitur erstellt und hätte die Aufführung dirigieren sollen. Ihn ersetzte Enrico Onofri, ehemaliger Konzertmeister des Ensembles Il Giardino Armonico. Und was das junge Sängerensemble, bestehend aus Finalisten des letztjährigen Innsbrucker Cesti-Gesangswettbewerbs, unter seiner Leitung zu neuem Leben erweckte, war tatsächlich traumhafte Musik, eine Entdeckung, der Fachleute eine Zukunft auf großen Barockopernbühnen voraussagen.

Auf engstem Raum musste das Ambiente der toskanischen Hafenstadt Livorno simuliert werden: Das haben der (zufällig aus Livorno stammende) Regisseur und sein Bühnenbildner Davide Amadei bravourös bewältigt, mit bewohnbaren Stapelkisten vor einem gemalten Seestück und buntscheckigen Kostümen. Livorno war Mitte des 17. Jahrhunderts ein Schmelztiegel der Kulturen und beherbergte viele königstreue Flüchtlinge aus England. Ein junges britisches Geschwisterpaar und dessen italienische Liebespartner sind die Hauptfiguren des anspielungs- und geistreichen Librettos von Pietro Susini: Der renommierte Dramatiker war Kammerherr bei den Medici, denen auch Antonio Cesti seinen künstlerischen Aufstieg verdankte. Ferner kommen vor: ein geldgieriger Vormund, sein Kaufmannsfreund, zwei schlaue Diener, eine resolute Amme und ein Jude - ein Komödienpersonal, das ein Witzfeuerwerk in bester Tradition der Commedia dell'Arte zünden darf, in mindestens vier verschiedenen Dialekten.

Aber das ist nur eine Ebene dieses staunenswert komplexen, im Manuskript als "Bürgeroper" und "dramatischer Scherz" bezeichneten Werks: Es hat Melancholie, Innigkeit und Anflüge von Tragik, und der damals hochwirksame Einfluss des spanischen Theaters kulminiert in einer finalen Schlaf- und Traumszene, in der die Komödie zur Allegorie wird und die Musik, bis dahin ein organischer Fluss von Rezitativ, Arioso und Arie, unvermittelt Madrigal-Charakter annimmt. Ein wunderbarer Effekt, der auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Komponist und Textdichter hindeutet. Cestis einzige florentinische Oper - der Komponist arbeitete sonst nur für Venedig, Wien und Innsbruck - war vom Kardinal Carlo de'Medici in Auftrag gegeben worden, erlebte 1665 in einem Privattheater sechs erfolgreiche Aufführungen und fiel dann in den Dornröschenschlaf. Mit der Wiedererweckung dieser Preziose hat das Innsbrucker Festival nicht zum ersten Mal die Schatzgräberrolle übernommen.

Nach der heiß debattierten, nun aber für alle Beteiligten zufriedenstellenden Fusionierung des Festivals mit dem Tiroler Landestheater scheinen die Bedingungen für die Fortsetzung dieser Tradition ideal zu sein: Man plant hochgestimmt "für die nächsten 40 Jahre". Alessandro de Marchi, der vom künstlerischen Leiter zum Intendanten befördert wurde und gerade mit Cimarosas Buffa-Oper "Il matrimonio segreto" viel Jubel geerntet hat, will die Geschichte der neapolitanischen Oper weitererzählen. Man möchte sich aber auch wieder mehr um die Tonkunst des 15. und 16. Jahrhunderts kümmern, für die Innsbruck ein Zentrum war, und die französische Musik stärker in den Fokus nehmen. Hoffen wir, dass alle Jubiläumsträume in Erfüllung gehen.

Innsbrucker Festwochen der Alten Musik , noch bis zum Samstag, Info: www.altemusik.at

© SZ vom 23.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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