Alte Geschichte:Die Hecke und die Straße

Alte Geschichte: Arnold Esch: Historische Landschaften Italiens. Wanderungen zwischen Venedig und Syrakus. C. H. Beck Verlag, München 2018. 370 Seiten, 29,95 Euro.

Arnold Esch: Historische Landschaften Italiens. Wanderungen zwischen Venedig und Syrakus. C. H. Beck Verlag, München 2018. 370 Seiten, 29,95 Euro.

Arnold Esch erklärt Italiens historische Landschaften und wandert durch die Regionen.

Von Thomas Steinfeld

Nach dem Ende der napoleonischen Kriege, als Europa halbwegs befriedet und das Reisen wieder möglich war, kehrten die Ausländer in großer Zahl nach Rom zurück: nicht nur die jungen Aristokraten auf "Grand Tour", sondern auch die Künstler. Mindestens 200 Maler aus anderen Ländern sollen sich damals zu jeder beliebigen Zeit in der Stadt aufgehalten haben, damit beschäftigt, römische Ruinen, römische Landschaften und römisches Leben auf ihren Papieren und Leinwänden festzuhalten. Sie ließen sich, wie der Historiker Arnold Esch in seinem jüngsten Buch berichtet, in ihrer jeweiligen Nationalität zunächst deutlich auseinanderhalten: Die Deutschen zeichneten mit hartem Stift, die Franzosen zogen mit großen Malkästen durch die Landschaft, jedenfalls solange nicht die Erfindung der Farbtube die Freilichtmalerei wesentlich leichter werden ließ, buchstäblich, und damit egalisierte. Was aber malten diese vielen Menschen? Alle dasselbe, lautet Arnold Eschs Antwort.

Gab es da nicht eine Vorstellung, der Auszug der Maler aus ihren Ateliers sei ein Akt der großen Befreiung gewesen? Dem Kapitel "Zur Identifizierung der Landschaft des 18. und 19. Jahrhunderts" gibt Arnold Esch eine Karte bei. Sie zeigt die Orte, denen die meisten italienischen Landschaftsbilder jener Zeit gewidmet werden. Es sind erstaunlich wenige. Eine Gruppe pittoresker Ansichten zieht sich die Via Appia im Süden Roms entlang, zwischen Castel Gandolfo und Velletri, eine andere liegt in den Bergen hinter Olevano, bis hinauf nach Arsoli. Die großen Landschaften am Meer, der Norden und der Nordosten - ja, der größte Teil der Umgebung Roms sind künstlerfrei. Eng sei bei vielen Malern der Radius um das einmal gewählte Standquartier gewesen. Über die "traditionell gewählten Standorte hinaus" hätten sie neue Sujets nicht einmal gesucht. Arnold Esch weiß es genau: Denn er war an jedem dieser Orte und verglich bildliche Ansicht und tatsächliche Aussicht, worauf sich nicht nur Fantasie und Wirklichkeit trennten, sondern auch die Wirklichkeit der Bilder vom Rest der Welt. Er ist Historiker, und deswegen kennt er vermutlich die sich aus solchen Erkenntnissen ergebenden Fragen, ohne sie selbst stellen zu wollen: Denn wenn das Bild Italiens, das diese Maler in ihre Heimatländer vermittelten, nur aus einer schmalen Auswahl möglichst pittoresker Perspektiven besteht - wie fiktiv ist dann dieses Italien? Und wie verhält sich das wirkliche Italien dazu?

Viele Dörfer und kleinen Städte bleiben in ihre Vergangenheit eingeschlossen

Ein Historiker, so glaubt man, habe es mit der Vergangenheit zu tun. Und diese sei, was in der Natur des Begriffs liege, stets etwas Abgeschlossenes. Arnold Esch, der von 1988 bis 2001 Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Rom war und danach in der Stadt blieb, ist von anderer Art. Er nimmt den Weg über die Gegenwart und die Anschauung: Warum, so fragt er angesichts des Dorfes Mugnano im Tibertal, werden solche Siedlungen in Mittelitalien immer zu burgartigen Anlagen? Weil sich nach dem Ende des Römischen, dann des Karolingischen Reiches die ländliche Bevölkerung dahin flüchtete und dort bleiben musste, bis zur Etablierung eines staatlichen Gewaltmonopols. "Man kann diese Linie noch ein Stück weiter ausziehen, um sich den unübersehbaren Stillstand vieler dieser Höhensiedlungen zu erklären: ein solcher Ort wird im 19. Jahrhundert keinen Eisenbahnanschluss bekommen und darum auch keine Industrie, wird darum im Zweiten Weltkrieg nicht bombardiert und nach 1945 nicht moderner wiederaufgebaut werden." Der Ort bleibt in seine Vergangenheit eingeschlossen, und weil dieses Schicksal vielen Dörfern und kleinen Städten in Italien widerfährt, "wird der Abstand immer größer". Nicht einmal die Maler gibt es mehr, die dieser manchmal allzu gegenwärtigen Geschichte noch eine Ansicht abgewinnen könnten.

Und so streift Arnold Esch, ein Entdecker in Gestalt eines Historikers, durch die Regionen Italiens, mit Ehefrau und Panda (einem "unempfindlichen" Automobil, das unter Bauern nicht auffällt), sucht das Alte im Neuen. In Ostia fahndet er weniger nach dem antiken Hafen Roms als nach dessen Verfallsgeschichte. In der Lagune von Venedig entwickelt er die Republik aus der Notwendigkeit solidarischen Handels, der Befestigung der Stadt gegenüber dem Wasser wegen. In der Grenzregion zwischen Latium und Kampanien, zwischen Terracina, Fondi und Gaeta, arbeitet er sich durch das Gestrüpp und findet unter den Hinterlassenschaften des Zweiten Weltkriegs (der "Gustav-Linie") die Reste der Grenze zwischen dem Kirchenstaat und dem Königreich Neapel und unter diesen wiederum die Via Appia.

Nicht alle Aufsätze laden zu eigenen Wanderungen ein: Den breiten Schneisen, die im 15. Jahrhundert für Schafherden bei ihrem Auftrieb in die Abruzzen geschlagen wurden, würde man wohl eher nicht folgen wollen. Aber vielleicht einer der aufgegebenen, nunmehr halb überwachsen römischen Straßen, der Via Cassia zum Beispiel, auch wenn die Devise hier manchmal heißt: "Die Hecke begleitet nicht die antike Straße, sie ist die antike Straße."

Der Reiz dieses Buches, über einen großen Reichtum an Wissen und eine sachliche, aber elegante Sprache hinaus, besteht darin, dass Arnold Esch das modische Gerede von der "Kulturlandschaft" fremd ist. Er will nichts verkaufen, er will lehren, und deswegen muss er die seit Tausenden von Jahren kultivierten italienischen Landschaften nicht eigens dafür loben, dass der Mensch in ihnen stets gegenwärtig ist.

Dass man seinem Unterricht gerne folgt, liegt nicht nur an ihm, sondern auch an seinem Gegenstand. Daran, dass die Kultivierung der Natur in Italien, an überwältigend vielen Stellen, eine Landschaft hervorbrachte, die vollkommener erscheint, als wenn sie nur dem Treiben der Natur überlassen worden wäre - in einem deutlichen Unterschied zu vielen deutschen Landschaften. Und zuweilen, wie im Fall jener Hecken, gibt es dann auch Landschaften, die deshalb so schön sind, weil sie ihrer Zerstörung durch die moderne Landwirtschaft wieder entronnen sind, ein Geschenk gleichsam zurück an die Natur. Auch solche Erscheinungen nimmt Arnold Esch wahr, als etwas Ziviles, das eine historische Würdigung verdient. Und hat er damit nicht recht, weit über sein Forschungsgebiet hinaus?

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