Alt? Wir doch nicht!:Ältere Menschen formerly known als Rentner

Wir hofieren die Alten - und leugnen sie zugleich: Keine Marke will mit Rentnern assoziiert werden, niemand kauft ein Handy im Überformat, in der Werbung wirken Senioren wie Teenager mit grau gefärbten Haaren. Der Rentner-Komplex.

Jean-Michel Berg

Auf die Rentnerschwemme - Unwort des Jahres 1996 - folgte wie eine missglückte Wiedergutmachung die Begriffsschwemme: Best Ager, Silver Generation und Woopies (well off old people). Soziologen und Marketingstrategen hatten den Unwortgenerator angeworfen, um eine neue Gruppe zu erfassen: ältere Menschen formerly known als Rentner.

Senioren

Alt? Wo denn?

(Foto: Foto: ddp)

So misslich die Resultate, so verständlich der Impuls. Überholt ist die Vorstellung, dass der Rentner noch sein Altenteil absitzt und den Enkeln gelegentlich ein Scheinchen zusteckt. Nicht nur, dass er häufig gar keine Enkel mehr hat. Er gibt sein Geld auch viel lieber selbst aus.

Was den Rentner von heute aber wirklich unterscheidet, ist die neue Mentalität. Da ist nichts mehr von der Butterfahrtenknauserigkeit einer Generation, die Krieg und Armut erlebt hat. Die heutigen Rentner sind Wirtschaftswunderkinder und freudige Konsumenten. Hinzu kommt: Viele sind in einem guten gesundheitlichen Zustand, haben Zeit und Geld.

Ob es wirklich das Best Age ist, mag dahinstehen, aber es muss nicht mehr das schlechteste sein. Der Rentner von heute fühlt sich im Schnitt 15 Jahre jünger, als er es tatsächlich ist. Etwas glücklicher ist darum die Rede vom "dritten Alter", um den Abschnitt zu bezeichnen, der auf die Erwerbstätigkeit folgt - bevor das vierte, gebrechliche Alter beginnt.

Ein Thema, das auf allen Ebenen der Gesellschaft verhandelt werden müsste, doch die Renaissance des Rentners ist vor allem seine Wiedergeburt als Konsument. Denn die Best Ager sind nicht nur konsumfreudig, die Generation 55plus verfügt schon heute über die Hälfte der bundesrepublikanischen Vermögen und hält die Auto- und Reiseindustrie derzeit fast allein am Leben.

Dass trotzdem etwa 95 Prozent der Werbung auf die Zielgruppe der 14-49Jährigen zugeschnitten ist, ist Ausdruck des Problems. Denn tatsächlich wird gar nicht mehr für die Jungen geworben, sondern mit ihnen - auch wenn es kaum einer zugibt. Ob die Alten jung geworden sind oder sich die Jugend nur kaufen - diese Grenzen zerfließen. Dennoch: Dass die Alten sich nicht mehr alt fühlen, ist nicht nur erfreulich. Sie reproduzieren damit zugleich die gesellschaftliche Stigmatisierung des Alters. Sie sind eine Zielgruppe, die keine sein will.

Niemand kauft mehr ein Produkt im Sanitätshauslook oder ein Handy im Überformat. Und keine Marke will mit Rentnern assoziiert werden. In der Werbung tauchen sie nur auf, wenn das Produkt es erzwingt, im sogenannten Inkontinenzsegment, und selbst dort sehen sie meist aus wie Teenager mit grau gefärbten Haaren.

Ältere Menschen formerly known als Rentner

Man kann streiten, ob Werbung die Realität wiederspiegeln soll oder nicht. Sie spiegelt jedenfalls den Unwillen einer Gesellschaft, ihr Alter zu erkennen. Und dieser Unwille lähmt: Denn das dritte und erst recht das vierte Alter verlangen eine andere Architektur und ein anderes Produktdesign, das auf ihre Schwächen zugeschnitten ist. Aber Politik und Industrie reagieren nur zögerlich. Welche Möglichkeiten, aber mehr noch welche Schwierigkeiten es hier gibt, zeigte sich auf der Tagung "Age Design", die an diesem Wochenende an der Evangelischen Akademie Tutzing stattfand.

Die Designerin Diana Kraus etwa analysierte die Schwächen älterer Leute und entwarf eine futuristische Küche, in der alle Funktionen auf "positive Zonen" verteilt sind, die im Alter leicht erreichbar sind. Sie verkürzte Bewegungsabläufe und arbeitete mit einer Sichtsteuerung nach Farben. Doch die Industrie wollte den Prototyp nicht in Serie nehmen. Andererseits bedarf es, wie der Designer Joachim Giessler ausführte, überhaupt erst einer Grundlagenforschung - und die müsse der Staat leisten, anstatt wie bislang durch DIN-Normen zu behindern. Auch das ist letztlich eine Frage fehlender gesellschaftlicher Sensibilisierung.

Wie wenig beliebt das Thema ist und zu welcher Selbstzensur es bewegt, zeigte ein Beitrag der TV-Redakteurin Sabine Reeh über präventives Bauen: Lässt sich die Wohnung unterteilen, wenn die Kinder ausziehen, sind Treppen und Türen altersgerecht? Doch um die Zuschauer nicht zu vertreiben, waren solche Fragen in der Sendung nur in homöopathischer Dosierung vorhanden.

Wie also bringt man ein Produkt an den Rentner, wenn man ihn nicht beim Namen nennen darf? Universal Design lautet die Zauberformel, an der kaum ein Vortrag vorbeikam. Die Idee: Produkte so zu entwerfen, dass sie allen Nutzern zur Verfügung stehen, indem sie möglichst intuitiv bedienbar sind und verschiedenen Benutzungsmethoden offen stehen. Und was für Alte gut ist, ist für die Jungen meist komfortabel. Der Designer Peter Naumann zeigte etwa an der BMW Concept Studie, wie radikale Vereinfachung der Bedienung zum sportlich-minimalistischen Stilelement wird.

Bedauerlich ist bloß, dass Age Design sich mehr mit Gestaltung für das Alter als mit Gestaltung des Alters befasst. Alternative Lebensformen, etwa Alten- oder Mehr-Generationen-WGs, kamen kaum zur Sprache oder nur durch ein streitlustiges Publikum. Einen der wenigen gesellschaftlichen Ausblicke wagte der Werbemacher Lothar Leonard - eine Schreckensvision 2030 von schrumpfenden Städten, Rückkehr der Natur, Verteilungskämpfen, und auf den Straßen ein Heer von alten Leuten, wie man es aus dem Rentnerparadies Miami kennt.

Nicht minder beängstigend ist allerdings die Best-Age-Euphorie, die manch einem den Blick darauf verstellt, dass es neben den Wohlhabenden und Gesunden auch eine andere Gruppe gibt, die "Deprimierten", wie Diana Kraus sie nannte. Liliane Forster, die Autorin einer Studie "Unsichtbar - Frauen über 50", betäubte das Publikum mit einigen äußerst fragwürdigen Erhebungen: "reife Frauen lieben Farben", "reife Frauen lachen gern", und "reife Frauen tanzen Rock'n'Roll, wenn ihnen danach ist".

Noch ganz benommen von dieser Werbelyrik kam anschließend der Mitveranstalter und Moderator Oliver Herwig auf die Bühne und musste in einem Glückstaumel bekennen: "Sind wir nicht alle reife Frauen?"

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