Süddeutsche Zeitung

"Als der Wind den Sand berührte":Afrika ist zurück im Kino

Die unzähligen Afrika-Filme der letzten Jahre schöpfen vor allem das Thriller-Potenzial von Missständen ab. Marion Hänsels neues Werk geht weniger polemisch-aggressiv vor.

Anke Sterneborg

Von den Rändern der Dritten Welt ist Afrika in den vergangenen Jahren immer stärker ins Kino-Interesse gerückt, mit einer Flut von Filmen, die vor allem Armut, Apartheid und Terrorregime mit ihrer Not und ihrem Leid thematisieren, inklusive Starbesetzung: "Hotel Ruanda" mit Don Cheadle, "Blood Diamond" mit Leonardo DiCaprio, "Catch a Fire" mit Tim Robbins, "The Last King of Scotland" mit Forest Whitaker. Während die meisten dieser Filme das dramatische Politthrillerpotential der Missstände aufnehmen, setzt die Belgierin Marion Hänsel auf eine weniger polemisch aggressive Gangart, erzählt eine mit ruhiger Intensität gefilmte Familiengeschichte.

In Dschibuti ist die Ankunft eines Neugeborenen kein Grund zur Freude, zumal wenn es sich um ein Mädchen handelt. Der Dorfälteste rät dem Vater, das Baby gleich in der ersten Nacht umzubringen, panisch läuft darauf die Mutter mit ihrem Kind im Arm davon. Den Ungehorsam quittiert ihr Mann am nächsten Morgen mit einer Ohrfeige, gleich darauf lenkt er aber ein - das Kind bekommt einen Namen, es soll leben. Gleich in diesen ersten Szenen ist klar, dass sich die Familie den Naturgewalten und dem Druck der Gesellschaft mit starkem Willen und Selbstbewusstsein entgegensetzt. In ihren schönen, leuchtend bunt bedruckten Gewändern, und mit aufrechtem Gang hat Mouna (gespielt von der aus Uganda stammenden und in Belgien lebenden Carole Karemera) die Grazie einer Königin, und der ruhige Rahne (der aus Burkina Faso stammende Issaka Sawadogu) wirkt wie ein stolzer Krieger. Doch im Verlauf der Geschichte, die auf dem Roman "Chamelle" des in Afrika lebenden Marc Durin-Valois beruht, wird die Stärke dieser kleinen Familie unerbittlich aufgezehrt. Einige Jahre nach der Geburt des Mädchens sind die Brunnen versiegt, für ein paar Liter schmutziger Dreckbrühe müssen die Menschen mehrere Stunden laufen. Während alle anderen nach Süden ziehen, will Rahne sein Glück im Osten versuchen, jenseits der großen Wüste mit ihren Warlords und Rebellentruppen. Mit ihren drei Kindern, rund dreißig Schafen und Ziegen und einem Kamel ziehen sie los - und werden in der Folge grausam dezimiert.

Intimes Familiendrama

Marion Hänsel, die sich mit vielen Filmen als Produzentin und Regisseurin in vielen Problemzonen der Welt bewegte, erzählt diese bestürzende Geschichte als intimes Familiendrama, das weit über sich hinausweist, auf das globale Problem des Wassermangels, die Härten der Migration. Gedreht wurde in Dschibuti, aber die Konflikte, um die es in diesem Familientreck geht, scheinen universell. Da müssen die Eltern beispielsweise entscheiden, welchen Sohn sie als Kindersoldaten mit einem marodierenden Trupp ziehen lassen, um den Rest der Familie zu retten. Sie müssen zuschauen, wie ihre Tochter einen steinigen Hügel erklimmt, um ihn auf Landminen zu testen, und wie ihr Jüngster von einer sinnlosen Kugel niedergestreckt wird: Hitze, Hunger, Krankheit zehren an ihnen, bis man kaum noch versteht, woher sie die Kraft nehmen weiterzumachen. So erhaben schön die karge Wüstenlandschaft in den Bildern dieses Films auch wirken mag, sie lassen niemals vergessen, welche Härten sie ihren Bewohnern auferlegt.

LE VENT SOULÈVE LE SABLE, Belgien 2007 - Regie, Buch: Marion Hänsel. Nach dem Roman von Marc Durin-Valois. Kamera: Walter Vanden Ende. Schnitt: Michèle Hubinon. Mit : Issaka Sawadogo, Carole Karemera, Asma Nouman Aden, Said Abdallah Mohamed, Emile Abossolo M'Bo. Kinowelt, 96 Min.

Start: 26.7.2007

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Quelle:
SZ vom 26.7.2007
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