Sterbehilfe-Drama "Alles ist gutgegangen" im Kino:Wenn es dein Wunsch ist

Lesezeit: 4 Min.

Eine Sache der Form: Sophie Marceau als Tochter und André Dussollier als Vater in dem Film "Alles ist gutgegangen" von François Ozon. (Foto: Wild Bunch)

Wie eine Tochter den selbstbestimmten Tod ihres freigeistigen Vaters in der Schweiz organisiert: Emmanuèle Bernheim erzählt in "Alles ist gutgegangen" davon, François Ozon hat daraus einen schönen, tragikomischen Film gemacht.

Von Fritz Göttler

Die sind süß, murmelt André entzückt, als er die zwei Fahrer des Krankenwagens sieht. Er ist 85, und bei ihm ist alles zeitlebens eine Frage von Form und Stil gewesen, Bekenntnisse des Begehrens inklusive. Die beiden Jungen werden ihn nach Bern fahren, dort erwartet ihn eine alte Frau, ganz in Schwarz, zum letzten Akt. André hatte einen Schlaganfall, ist stark eingeschränkt in seinen Bewegungsmöglichkeiten, will in Selbstbestimmung sterben in dem Film "Alles ist gutgegangen".

In Bern wird er eine Organisation für Sterbehilfe nutzen, assistierter Suizid, das ist in der Schweiz, anders als in Frankreich und den meisten anderen Ländern, gesetzlich nicht verboten. Die Chronik dieses Todes mit Ankündigung hat François Ozon vor zwei Jahren verfilmt, sein Film lief in Cannes im Wettbewerb. Inzwischen hat er schon den nächsten Film gemacht, "Peter von Kant", der dieses Jahr die Berlinale eröffnete.

Nach dem Schlaganfall ist Andrés rechte Seite gelähmt, er kann die Hand nicht mehr benutzen, das Lid und der halbe Mund sind heruntergezogen, nur durch tristes Augenrollen kommt Bewegung und Ausdruck in dieses Gesicht. Er ist hilflos und fürchtet Anfälle von Demenz, einen armseligen Tod. Er will selbst bestimmen über sein Ende. Eine Sache der Form ... "Hilf mir, es zu beenden", stöhnt André mühsam und packt die Hand seiner Tochter, die am Krankenbett steht, Emmanuèle, manchmal Manu genannt, gespielt von Sophie Marceau.

Der Vater ist André Bernheim, Bourgeois und Kunstsammler und homosexuell - daraus hat er nie ein Geheimnis gemacht. André Dussollier spielt ihn lustvoll und nach allen Regeln der Kunst, egozentrisch und wehleidig, ein Nörgler und Jammerer, der gern einen Flunsch zieht wie ein verzogenes Kind. Manchmal entschlüpft ihm ein keckerndes Lachen, ein Zeichen ungemütlicher Schadenfreude. Wenn die Sterbehelferin aus der Schweiz ihm erzählt, er müsse zum Vollzug nach Bern, verzieht er das Gesicht und mault sofort, das Paul Klee Zentrum dort sei doch irgendwie überschätzt.

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Die Tochter Emmanuèle ist erfolgreiche Schriftstellerin, ihr Leben ist ordentlich organisiert, am Schreibtisch sind die Bände der Pléiade griffbereit, sie schwimmt regelmäßig, macht Lauftraining im Fitnesszentrum oder boxt am Sandsack, um Dampf abzulassen. Sie ist schockiert über das Ansinnen des Vaters, reißt ihre Hand los, danach streicht sie ziellos durch die Stadt und nachts kommt sie an einem eingezäunten Sportplatz vorbei, auf dem ein paar Jungs im Flutlicht Basketball spielen ... das ist in diesem Augenblick das Leben pur. Zu Hause legt sie eine Klaviersonate von Brahms auf.

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Emmanuèle Bernheim hat 2013 ein Buch geschrieben über den freien Tod des Vaters und die Prozeduren, die dafür nötig waren, und sie schlug François Ozon vor, einen Film daraus zu machen. Sie hatte an den Drehbüchern für Ozons Filme mitgeschrieben, von "Unter dem Sand" über "Swimming Pool" bis "Ricky". Ozon wollte das Buch damals nicht machen, also sicherte sich der Filmemacher Alain Cavalier die Rechte für eine freie Variation, er wollte selber den Vater spielen, die Autorin sollte sich selbst spielen. Die Schriftstellerin erkrankte an Krebs und starb 2017, Cavalier schuf aus dem Material den Dokumentarfilm "Être vivant et le savoir". Ozon nahm sich nach ihrem Tod das Buch wieder vor und machte seinen Film.

Keine Klageweiber, das verlangt der Vater für seinen Tod

Als Vater ist André eine Katastrophe, er hält seine Töchter, vor allem Emmanuèle, für unartig und unfähig - nicht mal Karten lesen könne sie -, fabuliert gemeine Geschichten über sie zusammen. Seine Frau, Claude de Soria, lebt ein eigenes Parallelleben neben ihm, sie macht Skulpturen aus Zement, die durchaus lebendig und anschmiegsam wirken. Charlotte Rampling spielt sie, die auch in den Ozon-Filmen "Unter dem Sand" und "Swimming Pool" war, und wenn sie den Mann im Krankenhaus besucht, ist ihr Gesicht versteinert. Sie hat Depressionen, es wirkt, als habe sie sich von allen Reaktionen unabhängig gemacht - homosexuelle Fantasie über eine Mutterfigur von heute.

Auch Hanna Schygulla, die als Unterhändlerin von der Organisation aus Zürich kommt, fährt ihre imposante Mütterlichkeit sofort runter. Gibt es denn auch Leute, will Emmanuèle wissen, die nach Bern kamen und sich in letzter Sekunde doch gegen den Tod entschieden? Das gab es, und Schygulla erzählt von einem Mann, der seine Frau mit nach Bern nahm und ihr am Abend zuvor ein rotes Kleid kaufte... und als er sie dann in diesem Kleid sah, sich eines anderen besann. Lebendig sein und davon wissen...

Keine Klageweiber, das verlangt der Vater kategorisch für die letzten Wochen. Also gehen nach einer kurzen Phase des Schocks Emmanuèle und ihre Schwester Pascale (Géraldine Pailhas) die Probleme ganz sachlich an - pragmatische Ästheten, sagt Sophie Marceau von den Schwestern. Ozon spielt in all seinen Filmen mit den Formen des Melodrams, mal leichtfertig, hier eher ernst - aber der Suspense der Sterbehilfe hat doch viele kleine komische Momente.

Das Pariser Großbürgertum feiert sich bis zu seinem Ende, seinen Traum vom Leben und vom Tod als individuelles Kunststück, Selbstbestimmung, Unsterblichkeit garantiert. "Die Idee der Dauer der Werke ist Besitzkategorien nachgebildet, bürgerlich, ephemer", notiert Adorno sarkastisch in seiner "Ästhetik". Beim letzten Abendessen vor der Fahrt nach Bern trägt Emmanuèle ein rotes Kleid, aber André hat nur Blicke für das Essen und die Nachspeise und für seinen Kellner Thierry. Die Schwestern können den Vater auf der Fahrt nicht begleiten, Emmanuèle schaut sich an dem Abend einen splatterigen Horrorfilm an.

Als die Schwestern anfangs den Vater abholen und in eine bessere Klinik bringen, treffen sie auf dem Gang den Zimmernachbarn des Vaters, der nun wieder nach Hause darf. Emmanuèle verabschiedet sich von ihm und geht, die Kamera bleibt noch eine Weile auf dem Mann, der seinen Rollator durch den Gang schiebt... in eine andere, beklemmende Einsamkeit.

Tout s'est bien passé , 2022 - Regie und Buch: François Ozon. Nach dem Buch von Emmanuèle Bernheim. Kamera: Hichame Alaouie. Schnitt: Laure Gardette. Mit: Sophie Marceau, André Dussollier, Géraldine Pailhas, Charlotte Rampling, Éric Caravaca, Hanna Schygulla, Grégory Gadebois, Jacques Nolot, Judith Magre, Natalie Richard. Alamode, 114 Minuten. Kinostart: 14.4.2022.

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