Süddeutsche Zeitung

"Alles Geld der Welt" im Kino:Viel besser als Kevin Spacey

"Alles Geld der Welt" ist trotz oder vielleicht auch wegen des neuen Hauptdarstellers Christopher Plummer ein astreiner Suspense- Thriller.

Von David Steinitz

Die größte Präsenz in diesem Film hat zunächst natürlich die Person, die gar nicht mehr darin zu sehen ist. Regisseur Ridley Scott hat den Schauspieler Kevin Spacey nachträglich aus seinem Thriller "Alles Geld der Welt" entfernt, nachdem dieser durch Missbrauchs- und Vergewaltigungsvorwürfe diskreditiert worden war. Die Rolle des geizigen Öl-Magnaten John P. Getty spielt nun der Kanadier Christopher Plummer. Weshalb man zumindest in den ersten Minuten dieser Entführungsgeschichte nicht drum herum kommt, auf jedes Detail im Schnitt zu achten: Fügen sich Plummers Auftritte natürlich in den Film ein oder wirken sie wie hektisch im Nachhinein dazumontiert?

Die Antwort ist eine Synthese aus beidem, denn Plummers Szenen wurden ja tatsächlich in nur neun Tagen gedreht und in den fertigen Film gebastelt, damit er am Weihnachtswochenende in den USA starten konnte. Aber Regisseur Ridley Scott, der kürzlich seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, ist derzeit in einer wirklich bewundernswerten Altershöchstform, weshalb er alle Kevin-Spacey-Grübeleien mit dieser rasanten Kidnapping-Geschichte blitzschnell vertreibt.

"Alles Geld der Welt" erzählt in sanft fiktionalisierter Form von der echten Entführung des Milliardärsenkels John Paul Getty III. Der damals 16-Jährige wurde 1973 in Rom auf offener Straße entführt. Für großen Medienwirbel sorgte die Geschichte vor allem deshalb, weil der stinkreiche Großvater sich weigerte, die geforderte Lösegeldsumme von 17 Millionen Dollar zu bezahlen.

Gail, die Mutter des Entführten und Schwiegertochter des alten Getty (Michelle Williams), und Fletcher (Mark Wahlberg), ein ihr wohlgesonnener Getty-Mitarbeiter, versuchen, den Patriarchen zum Zahlen zu überreden. Diese familieninternen Machtkämpfe bilden einen Großteil der Handlung. Und wie es die reale Vorlage will, kommt der Teenager nach ein paar wilden Story-Volten zwar wieder frei - allerdings nicht mit allen Körperteilen, mit denen er in diesen Albtraum gestartet ist. Denn auch im Privatleben war Getty ein gnadenloser Geschäftsmann, der folgende Rechnung aufmachte: "Ich habe noch 13 andere Enkel. Wenn ich jetzt zahle, habe ich 13 entführte Enkel."

Christopher Plummer spielt dieses alte Ekel als moderne Variante von Charles Dickens' Ebenezer Scrooge. Allein vom Alter her passt er viel besser in die Rolle als Spacey, Getty war damals schon in seinen Achtzigern, Spacey ist 58, Plummer 88 Jahre alt. Und zufälligerweise dürfte Plummer in genau der richtigen Geizhalsstimmung ans Set gekommen sein, denn seine letzte Rolle war eben jener Scrooge im kanadischen Dickens-Film "The Man Who Invented Christmas".

Ridley Scott erzählt anfangs im Schnelldurchlauf, wie Getty zum Ölbaron und zum reichsten Menschen der Welt wurde. Eine Exposition, die die Meisterschaft des Regisseurs und seines Darstellers demonstriert, mit wenigen Szenen ein ganzes Leben zu entwerfen: Getty wie ein gieriger "Lawrence von Arabien" in den Vierzigern in Saudi-Arabien, wo unter dem Wüstensand das Öl brodelt und nur darauf wartet, gefördert und verkauft zu werden. Getty, wie er rund um die Welt Villen mit schweren Teppichen und knisternden Kaminfeuern errichten lässt, Exzentriker-Paradiese, die selbst Orson Welles' großen Kino-Schrat Charles Foster Kane in "Citizen Kane" blass vor Neid gemacht hätten. In einem dieser Häuser hat er sogar ein rotes Londoner Münztelefonhäuschen aufstellen lassen; falls Besucher telefonieren möchten, sollen sie dies keinesfalls auf Kosten des Hausherrn tun.

Nach nur wenigen Minuten hat der Zuschauer also ein recht genaues Bild von dem Mann vor Augen, der zwar im römischen Luxushotel residiert, dort aber seine Unterhosen in der Badewanne schrubbt, um ein paar Lire zu sparen.

Obwohl der Ausgang der Geschichte bekannt ist, Scott also mit der "Titanic"-Dramaturgie zu ringen hat, die Zuschauer zu unterhalten, ohne ein überraschendes Ende anbieten zu können, ist "Alles Geld der Welt" ein astreiner Suspense-Thriller geworden.

Wie Getty der geforderten 17-Millionen-Summe eine glatte Null entgegensetzt, während Mutter Gail tausend Tode stirbt und gefühlt die komplette italienische Polizei das Land durchforstet, weil ein totes amerikanisches Kind keine gute Publicity wäre, das wird zu einem Teufelsritt, wie man ihn im Kino nur noch selten zu sehen bekommt. Denn abgesehen von der Aufregung um den Austausch von Kevin Spacey ist dieser Film an sich schon eine Sensation: klassisches Hollywoodkino mit einer guten Geschichte und großen Stars, jedoch ganz ohne Superhelden und Comic-Schurken. Aber mit einem Antagonisten wie Getty, der panisch an einer steuerlich absetzbaren Lösung des Entführungsproblems arbeitet, könnte ohnehin keine noch so diabolische Comic-Figur mithalten.

All the Money in the World, USA 2017 - Regie: Ridley Scott. Buch: David Scarpa. Kamera: Darius Wolski. Mit: Michelle Williams, Christopher Plummer, Mark Wahlberg. Tobis, 132 Minuten.

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SZ vom 27.12.2017/cag
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