Alkohol und Schriftsteller:Zur blauen Hölle

Brauchen Autoren Alkohol? Nein. Sie schreiben nicht weil, sondern obwohl sie trinken. Eine kleine Rundschau berühmter Säufer und ihrer Beziehung zum Trinken.

Stefan Gabányi

Einer weit verbreiteten Ansicht zufolge sprechen Schriftsteller dem Alkohol stärker zu als andere Berufsgruppen, in den Worten von F. Scott Fitzgerald: "Trinken ist das Laster des Schriftstellers." Der New Yorker Psychiater D. W. Goodwin, der zu diesem Thema ein Standardwerk verfasst hat, meint gar beweisen zu können, dass Autoren amerikanischer Herkunft substantiell mehr saufen als Autoren anderer Nationalitäten. Ebensogut könnte man sagen, dass Schriftsteller neben vielem anderen auch das Trinken thematisieren, und dass Amerikaner eben besonders gern darüber sprechen.

Günter Grass

"Viel besser ist es, trunken, als tot am Boden liegen."

(Foto: Foto: AP)

In Ländern, in denen Alkohol als Kulturgut gilt, ist es also nicht unbedingt erwähnenswert, dass man sich regelmäßig einen antrinkt - in Frankreich zum Beispiel, wo, um mit Roland Barthes zu sprechen, Wein das Totem-Getränk ist, sein Genuss also erst die Zugehörigkeit zur Gruppe bezeugt. Darüber hinaus tut Goodwins These einer ganzen Reihe anderer Berufsgruppen Unrecht, zuerst natürlich anderen Künstlern: Schauspieler-Durst, insbesondere der von Bühnenschauspielern ist sprichwörtlich ("Gehen zwei Schauspieler an einer Kneipe vorbei ..."), auch Maler, Bildhauer und ganz besonders Musiker leisten hier Außerordentliches.

Abgesehen davon besagt die Affinität zwischen Akohol und Kunst keineswegs, dass beispielsweise Ärzte, Rechtsanwälte, Fernsehmoderatoren oder Schauspieler grundsätzlich nüchtern anzutreffen sind ("Sie trinken aber viel" - "Ach was, das meiste verschütte ich.").

Goodwins These, dass der Mythos, Alkohol und Kunst seien Geschwister, im englischsprachigen Raum des 20. Jahrhunderts entstand, greift also zu kurz. Bereits ein Blick in eine x-beliebige Lyrik-Anthologie lehrt, dass es zu allen Zeitaltern versoffene Dichter gab. Von Anfang an wird Alkohol als Quelle der Inspiration und der Lebensfreude gefeiert.

Der Grieche Anakreon (550-495 v. Chr.), noch Jahrhunderte später ein role model für dichtende Trinker, meint: "Viel besser ist es, trunken, als tot am Boden liegen." Sein römischer Kollege Horaz formuliert es noch entschiedener: "Gedichte, die von Wassertrinkern geschrieben wurden, können nicht lange Gefallen erregen." Im fernen China sah man das ähnlich. Dort gaben die "8 Dichter der Zechgelage" den Ton an, deren bekanntester, Li Tai-Bo (701-62), im Vollrausch zu Tode kam, als er beim Versuch, das Spiegelbild des Mondes zu umarmen, in einen Fluss fiel.

"Berauscht euch mit Wein, mit Versen oder mit Tugend!"

Die Freude am Wein hielt sich bis ins frühe 19.Jahrhundert (das Lob des Bieres blieb den Meistersingern vorbehalten). Mit der Romantik bekommt der Rausch dann eine neue Dimension. Laudanum (Tinctura Opii simplex) - mit Opium versetzter Wein - hält Einzug in die Poeten-Kabinette und mit ihm der Realitätsverlust als schöpferisches Element. Im Laudanumrausch eröffnen sich traumhafte Parallelwelten, die allerdings wie alles ekstatische Erleben den Nachteil haben, dass man möglicherweise den Rückweg nicht mehr findet. Kaum hat man von der "Milch des Paradieses" gekostet wie der englische Dichter Samuel Taylor Coleridge, holt einen auch schon wieder der Dämon.

E.T.A. Hoffmann notiert in sein Tagebuch: "Alle Nerven excitiert von dem gewürzten Wein - Anwandlung von Todes-Ahndungen - Doppelt-Gänger." Bis zur Synästhesie gesteigerte Empfindsamkeit, Weltflucht und hoffungsloser Schrecken treiben ihr Unwesen in den Dichterhirnen und gebären Werke wie "Die Elixiere des Teufels" (E.T.A. Hoffmann), "Bekenntnisse eines Opiumessers" (Thomas de Quincey) oder Novalis' "Hymnen an die Nacht". Novalis, der verklärte Held der deutschen Frühromantik, suchte Zuflucht bei "Bitter-Mandel-Wasser und Opium", und so stammt wohl auch seine blaue Blume der Sehnsucht aus demselben Garten wie Baudelaires "Blumen des Bösen".

Charles Baudelaire war nicht nur einer der wichtigsten Wegbereiter der literarischen Moderne, sondern auch ein früher Vertreter des Cross-Drugging. Er lässt nichts aus, was der Erschaffung seiner "Künstlichen Paradiese" dienlich sein könnte: Laudanum, Haschisch und natürlich Wein, den er als "Mittel, die Individualität zu steigern" feiert. "Berauscht euch" fordert Baudelaire, "mit Wein, mit Versen oder mit Tugend".

Er selbst hielt sich lieber an Absinth, jenes übelbeleumundete Kräuterdestillat, dem mehrere Künstler-Generationen verfielen. Eine Höllenmischung aus hochprozentigem Alkohol (68 und mehr Vol.-% in der Regel) und neurotoxischen Pflanzenextrakten mit extremem Rausch-, Visions-, Sucht- und Zerstörungspotential. Absinth wurde zum Treibstoff der Bohème, Inbegriff eines anti-bürgerlichen Lebensstils, der für das Künstlerselbstverständnis im späten 19. Jahrhundert prägend war.

Zur blauen Hölle

Die Idee, dass Selbstzerstörung ein schöpferischer Akt sein könnte, erwies sich jedoch meist als Trugschluss. Die große Mehrheit derer, die wie die Poètes maudits Verlaine, Rimbaud und Mallarmé an der Place Pigalle im Café du Rat Mort ("Zur toten Ratte") rumhingen, und sich mit Absinth vollaufen ließen, brachte außer Schulden nichts zuwege.

Schriftsteller schreiben nicht weil, sondern obwohl sie trinken. Wenn ein Komatrinker wie Charles Bukowski behauptet, er müsse sich "einen antrinken, um in den Flow zukommen", dann bedeutet das nur: Dass er Alkoholiker und also ohne Gift nicht handlungsfähig ist. Das ist in bürgerlichen Berufen auch nicht anders, nicht einmal bei Schauspielern ("Welcher Mistkerl hat den Korken von meinem Mittagessen geklaut?" W.C. Fields).

In alkoholischer Hinsicht kann man bei Bukowski Leben und Werk in eins setzen, ebenso wie bei seinem Vorbild Hemingway. Für beide ist der Rausch nicht mehr der exaltierte Ausnahmezustand der Romantik, sondern Alltag. In typischer Alkoholikermanier oszillieren die Texte nun zwischen Großspurigkeit und Hypersensibilität. Für Hemingways Generation wird die Trunksucht eine schriftstellerische Tugend, deren Nachweis oft exhibitionistische Züge annimmt.

Hemmingway: 51 Martini-Cocktails

An jenem Abend, als die kleine Bar im Pariser Ritz nach ihm benannt wurde, trank Hemingway dort 51 Martini Cocktails, sein walisischer Kollege Dylan Thomas starb mit den Worten: "Ich hatte gerade 18 Whiskys, ich denke, das ist ein Rekord", und Thomas' Jugendfreund Malcolm Lowry schrieb zehn Jahre lang an seinem Buch "Unter dem Vulkan", dessen einziges Thema Lowrys Alkoholismus ist.

Zu Lowrys spärlichen weiteren Werken zählt ein Gedichtband mit dem Titel "35 Mezcals in Cuautla". Der britische Theaterautor und Romancier Patrick Hamilton, der die Vorlagen für zwei Hitchcock-Filme lieferte, brauchte nach eigenen Angaben "Whisky wie ein Auto Benzin". Hamiltons düster-komischer Roman "Hangover Square" zeigt allerdings, dass man sich dem Alkohol auch hingeben kann, ohne in jene tragische Pose verfallen zu müssen, die F. Scott Fitzgerald zur zweiten Natur geworden war.

Zur ironiebegabten Zecherfraktion zählen beispielsweise auch Dorothy Parker, Graham Greene, Evelyn Waugh (der auf die Frage, in welcher Sportart er für sein College angetreten sei, "Trinken" angab), Günter Bruno Fuchs, Benedikt Jerofejew, und der Ire Flann O'Brien. Sein Landsmann James Joyce war einer jener Schriftsteller, die über Jahre exzessiven Alkoholmissbrauch betreiben, ohne daraus literarisches Kapital zu schlagen. Desgleichen Theodor Fontane, Irmgard Keun, Ingeborg Bachmann und Françoise Sagan. Eine der wenigen Autorinnen, die ihr Alkoholproblem in die Öffentlichkeit brachten, war Marguerite Duras.

Und dann gibt es noch Schriftsteller, die dem Alkohol nichts Besonderes abgewinnen können, ihn aber als Teil des gesellschaftlichen Lebens wahrnehmen. Der geheimnisvolle Thomas Pynchon könnte so einer sein, von Haus aus wohl eher ein Mann für Pillen und Pulverchen, spendiert er dem Personal seines Romans "Die Enden der Parabel" einen eigenartigen Cocktail namens Quimporto, eine Mixtur "aus Chinin, Fleischbrühe und Portwein mit einem Schuss Cola und einer geschälten Zwiebel".

In dem Vortrag "Literatur und Alkohol" thematisiert Michael Krüger schließlich lieber das Trinkverhalten der Leser. Krüger kommt zum Schluss, dass nicht nur trinkt, wer schreibt, sondern, dass ohne Alkohol auch kein Lesen möglich wäre. Lesen verfüge ebenso wie Trinken über ein Rausch- und Suchtpotential und könne dazu dienen, Angstzustände zu betäuben: "Ich habe den neuen Grass gelesen, mir kann nichts mehr passieren".

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: