Alicia Keys im Interview:"Wer halbnackt über den Boden kriecht, ist nicht selbstbewusst"

Alicia Keys spricht über die Arroganz von Klavieren, ihre Mädchengang-Vergangenheit in New York und den Schock, von Bob Dylan einen Vers gewidmet zu bekommen.

Interview: Antje Wewer

Köln, ein Hotelzimmer mit Blick auf den Rhein. Alicia Keys ist eine kleine Person mit einem auffällig hübsch geschwungenen Mund. Der vorgesehene Platz für das Interview ist ihr zu ungemütlich, sie will lieber auf das Sofa. Sie rutscht ran, nicht weg. Ein Hauch Vanille ist zu riechen. Sie kümmert sich: Eine Cola vielleicht? Funktioniert Ihr Aufnahmegerät? Haben wir genug Zeit? Sie ist, ganz genau, charmant. Ihre tiefe Stimme legt sich einem wie eine Kashmirdecke über die Schultern.

Alicia Keys im Interview: Alicia Keys bei ihrem Auftritt bei der Nobelpreisverleihung am 11. Dezember in Stockholm.

Alicia Keys bei ihrem Auftritt bei der Nobelpreisverleihung am 11. Dezember in Stockholm.

(Foto: Foto: afp)

SZ: Miss Keys, Sie sind eine begnadete Klavierspielerin. Darf ich mir mal Ihre Hände ansehen?

Alica Keys: Oje, Sie wollen Klavierhände sehen. Da muss ich Sie enttäuschen, ich habe alles andere als Klavierhände. Meine sind sehr klein, um genau zu sein: winzig. Und wo ich sie mir gerade angucke, ich habe noch nicht mal gepflegte Nägel. Trotzdem: Ich mag meine Hände sehr. Ich habe sie von meiner Mutter geerbt. Wir sind uns überhaupt nicht ähnlich. Sie ist weiß, ich bin schwarz.

SZ: Obwohl Sie so kleine Hände haben, spielen Sie phantastisch Klavier.

Keys: Weil ich früh angefangen habe und nie wieder aufgehört habe. Ich bin besessen. Spielen Sie denn Klavier? Ihre Finger sind ja unglaublich lang!

SZ: Nein, leider nicht.

Keys: Fangen Sie an, es ist nie zu spät. Natürlich nur, wenn Sie es wirklich wollen. Ich habe mich zum Beispiel auch erst in das Aussehen des Instruments und dann in seinen Klang verliebt. Bei uns im Viertel gab es ein einziges Musikgeschäft. Als Kind klebte ich immer wieder an der Scheibe und bewunderte die Klaviere. Sie sahen so elegant aus. Aber sie strahlten auch Arroganz aus.

SZ: Sie hatten Respekt vor dem Instrument?

Keys: Und wie. Ich war ein kleines afroamerikanisches Mädchen mit einer alleinerziehenden Mutter, die weiß Gott kein Geld für ein teures Hobby übrig hatte.

SZ: Sie haben trotzdem mit sieben Jahren angefangen, Klavier zu spielen.

Keys: Aber zu mir kam kein Klavierlehrer nach Hause. Ich bin jede Woche ins Community Center und habe dort mit anderen Kindern Unterricht bekommen. Und dann hatte ich Glück, ich sage Ihnen, dieser Faktor darf nicht unterschätzt werden.

SZ: Warum?

Keys: Wenn Sie nicht die richtigen Menschen treffen, nützt Ihnen Fleiß nur halb so viel. Ich hatte also Glück, weil ein Freund meiner Mutter umzog und sein Klavier nicht mitnehmen wollte. Er sagte: Girls, wenn ihr das Ding abholt und es mir aus der Wohnung schafft, schenke ich es euch. So kam ich zu meinem braunen Mahagoni-Klavier. Bis jetzt habe ich mir nie ein Klavier kaufen müssen, sie wurden mir immer geschenkt.

SZ: Das nenne ich wirklich Glück.

Keys: Schon, inzwischen habe ich sechs Klaviere. Meinem Glück hat jedenfalls meine Mutter Terri auf die Sprünge geholfen. Schließlich hat sie die Klavierstunden bezahlt. Mein Glück, dass sie eine Schwäche für alles Künstlerische hatte. Eigentlich kam sie nach Manhattan, um Schauspielerin zu werden. Als ich geboren wurde und mein Vater sich aus dem Staub machte, musste sie Geld verdienen. Sie arbeitete in einer Anwaltskanzlei.

SZ: Verstehen Sie sich gut mit Ihrer Mutter?

Keys: Wir sind uns sehr nah. Was sicher auch daran liegt, dass sie mich alleine in einer Stadt wie New York City großgezogen hat. Wir wohnten in einem Zwei-Zimmer-Apartment in Hell's Kitchen - damals nicht die beste Wohngegend.

SZ: Warum heißt das Viertel eigentlich "Hell's Kitchen"?

Keys: Genau weiß ich es nicht, aber ich erkläre mir den Namen so: Für mich war es immer ein Ort, an dem sich diejenigen versammelten, die nirgendwo anders geduldet wurden. Transvestiten, Drogendealer, Prostituierte. Sie alle werden in "Hell's Kitchen" in einen Topf geworfen und gekocht. Ein bisschen Hölle, ein bisschen Himmel.

SZ: Das klingt unheimlich.

Keys: Es war dunkel, aber dann auch wieder strahlend. Schließlich liegt der Broadway mit seinen vielen Lichtern um die Ecke. Die Optionen lagen also vor meinen Füßen. Ich hatte die Wahl zwischen der Straße in die Dunkelheit oder die andere, die raus ins Licht führte.

Auf der nächsten Seite wird Alicia Keys sehr, sehr wütend.

"Wer halbnackt über den Boden kriecht, ist nicht selbstbewusst"

SZ: Sie entschieden sich fürs Licht.

Keys: Ich war beides. Ich studierte Klavier, war aber trotzdem draußen auf der Straße unterwegs. Ich stöckelte mit meinen High Heels, schwang die Hüften zu "Biggie Smalls" oder dem "Wutang Clan" und hatte Tränengas in der Handtasche.

SZ: Wie verschafft man sich auf der Straße als hübsches Mädchen Respekt?

Keys: Mit einem fightboy. Das ist ein Junge, der dich verteidigt, von dem die Gangs wissen: wenn du dich mit Alicia anlegst, hast du den Kerl an der Backe. Ich brauchte meinen fightboy dringender als die anderen Mädchen, weil ich keinen Vater oder Bruder hatte, der mich beschützt.

SZ: Gehörten Sie zu keiner Clique?

Keys: Doch, doch. Ich war Teil einer Mädchengang, das war die Grundvoraussetzung für meine Unabhängigkeit. In New York City reist man nicht alleine. Solange ich mit "the girls" U-Bahn fuhr, war meine Mutter halbwegs beruhigt.

SZ: Ist Ihnen mal ernsthaft was passiert?

Keys: Oh, ich dachte, ich wäre unantastbar.

SZ: Was passierte dann?

Keys: Eines Abends kam ich mit einer Freundin vom Gesangsunterricht. Wir merkten, dass uns ein Typ verfolgt. Wir schüttelten ihn ab und gingen in ein Chinesisches Restaurant. Wir saßen in einer Nische, abseits vom Trubel. Plötzlich tauchte der Typ im Restaurant auf, spuckte in unsere Nudelsuppe und zog ein Messer. Er war verrückt, er wollte kein Geld, er wollte mit uns ausgehen. Wir redeten ihm die Sache dann aus. Irgendwann zog er ab.

SZ: Welche Lektion hat Sie das gelehrt?

Keys: Deine Haltung ist dein wichtigster Schutz. Du kannst damit Leute auf Distanz halten.

SZ: Wie genau geht das?

Keys: Es funktioniert nur, wenn du tatsächlich keine Angst hast. Ich bin von einer Amazone aufgezogen worden. Meine Mutter hat genau das: Haltung, also . . . einen starken Willen.

SZ: Was hat sie mit auf den Weg gegeben?

Keys: Zu kämpfen! Sie hat mich gelehrt, dass ich zu meinem Wort stehe. Vor anderen, aber auch vor mir selber. Dass ich mich selbst respektiere, aber mir auch bei anderen Respekt verschaffe.

SZ: Wie geht das?

Keys: Erstmal gilt: "Giving respect, earns you respect." Es liegt in deiner Hand, ob andere Menschen dich respektieren oder nicht. Zeig' ihnen Respekt. Und dann musst du Grenzen setzen. Gerade für Künstler ist das sehr wichtig, wenn du dir treu sein willst. Du allein lässt zu, wer dich verletzen darf und wer nicht.

SZ: Das leuchtet mir ein. Aber in Wahrheit ist es doch so, dass Bemerkungen einen verletzen - obwohl man sich vornimmt, man lässt sie abprallen.

Keys: Okay, Schwester, du hast es noch nicht verstanden. Diese Haltung ist: defensiv. Respekt verschafft man sich nur, wenn man sagt, bis hier hin und nicht weiter! Ich habe das als junges Mädchen kapiert und es hat mir sehr geholfen, zu der Künstlerin zu werden, die ich bin.

SZ: Inwiefern?

Keys: Ich musste kämpfen, bis mein erstes Album so auf den Markt kam, wie ich es wollte.

SZ: Sie waren gerade mal 16 Jahre alt, als Columbia Sie unter Vertrag nahm. Es dauerte dann aber knapp vier Jahre, bis Ihr Album "Songs in A Minor" erschien.

Keys: Das lag an meiner Sturheit. Mein Manager Jeff entdeckte mich in Harlem in der Gesangstruppe seines Bruders. Er war es, der mir einen Plattenvertrag besorgte. Ich bekam einen riesigen Vorschuss. So viel Geld, wie ich noch nie in meinem Leben hatte. Ich hörte mit der Schule auf, zog bei meiner Mutter aus und kaufte mir ein Haus in Harlem. Dann machte ich mich an die Arbeit. Ich traf all diese Leute und keiner kapierte, was für Musik ich machen wollte. Ein Jahr verstrich. Und noch eins. Die Plattenfirma saß mir im Nacken: Wo ist die Platte? Wie weit bist du? Wann kriegen wir was zu hören?

SZ: Was sagten Sie denen?

Keys: Ich hielt sie hin. Dann traf ich auf meinen Partner Krucial. Und plötzlich zündete der Funken, er verstand, wo ich hin wollte. Wir nahmen Songs auf und ich dachte, yeah, das ist es. Das hat Seele. Als ich die Songs dann bei Columbia präsentierte, sagten sie: Das ist keine gute Musik, das können wir nicht verkaufen, das kriegen wir nicht ins Radio.

SZ: Gab es Tränen?

Keys: Aber ja. Später. Zuerst knallten Türen. Ich wusste ja, es ist gute Musik. Ich war wütend, sehr, sehr wütend. Hinzu kam, dass diese Produzenten keine kreative Vorstellung für mich hatten. Sie wollten, dass ich wie jedes andere Mädchen aussehe und auch so klinge.

Auf der letzten Seite sieht Alicia Keys Frauen über den Boden kriechen.

"Wer halbnackt über den Boden kriecht, ist nicht selbstbewusst"

SZ: Ich nehme an, das war eine Beleidigung?

Keys: Allerdings! Schließlich komponiere ich meine Songs, ich schreibe die Texte, ich spiele Klavier und ich singe dazu.

SZ: Kamen Sie aus dem Vertrag raus?

Keys: Ach, es war ein Drama. Sie sagten okay, du kannst gehen, aber du musst alle Songs dalassen. Ich kapierte das nicht. Warum wollten sie Songs behalten, die sie nicht mochten? Der Streit zog sich hin, und zum Glück traf ich dann auf gute Anwälte. Die wiederum hatten mit dem großen Produzenten Clive Davis zu tun. Er bekam mein Demotape in die Hände und rief an.

SZ: Und der sagte was?

Keys: Er sagte: "Alicia, deine Songs haben Seele. Und wenn ich alter Sack das spüre, werden es Millionen andere Leute auch spüren. Ich kaufe dich raus."

SZ: Er sollte recht behalten. Ihr Debüt-Song "Fallin" schoss sofort in die Charts.

Keys: Aber auch erst, als MTV das Video auf Empfehlung von Clive Davis in die Rotation nahm. Er hat Sängerinnen wie Whitney Houston oder Aretha Franklin unter Vertrag. Der Erfolg war natürlich eine Genugtuung. Aber es beweist auch: Du kannst Talent haben, aber wenn du nicht die richtigen Leute triffst, nützt es nicht viel. Andersherum funktioniert es: Du kannst kein Talent haben, dafür aber die richtigen Leute kennen und deinen Weg machen!

SZ: Weil Image wichtiger ist als Können?

Keys: Ich sehe doch die vielen Mädchen, die alles zeigen, was sie haben, um Erfolg zu haben. Weil Männer ihnen eintrichtern, dass sie dadurch berühmt werden. Aber die irren sich. Es geht auch anders.

SZ: Sie sind in den letzter Zeit freizügiger geworden.

Keys: Weil ich mich dafür entschieden habe. Das liegt daran, dass ich mich mit jedem Jahr wohler in meiner Haut fühle. Deswegen zeige ich mehr - und traue mich auch, engere Kleider zu tragen.

SZ: Vielleicht sind Ihre Kolleginnen auch einfach nur selbstbewusst und zeigen deshalb, was sie haben?

Keys: Bitte? Wer halbnackt über den Boden kriecht, zeigt doch nicht selbstbewusst, was er hat. Ich versteh' das nicht. Frauen sind so wunderbare Wesen. Leider vergessen sie oft, dass Schönheit nichts mit nackter Haut zu tun hat. Sie denken, je mehr sie zeigen, desto schöner sind sie.

SZ: Ich bin aber immer wieder erfreut, wie selbstbewusst gerade R'n'B-Sängerinnen ihre Rundungen zeigen.

Keys: Das stimmt! Farbige Frauen haben ein anderes Körpergefühl, sie stehen zu ihren Hüften, Oberschenkeln und dem Hintern.

SZ: Ihre Kollegin Beyoncé ist da ein besonders gutes Beispiel, nicht?

Keys: Oh ja, sie lebt vor, dass sexy Oberschenkel nicht wie abgenagt aussehen müssen. Genau das will ich auch, ich will jungen Frauen Optionen geben. Zu Aretha Franklins Zeiten hat eine großartige Stimme gereicht, da brauchte es keinen Knackarsch, um in die Top Ten zu kommen.

SZ: Bedauern Sie manchmal, dass Sie mit Ihrem Talent nicht in die große Zeit des Souls geboren wurden?

Keys: Mmh . . . Anfangs habe ich oft gedacht, Alicia, du bist ein Teenager und tickst wie eine alte Soullady. Inzwischen habe ich mir mit meinen Balladen meinen Platz erobert. Ich wünsche mir halt, dass es meinen Fans am Herzen zieht, wenn sie meine Songs hören.

SZ: Wie komponieren Sie?

Keys: In meinem Studio. Ich habe richtige Bürozeiten, ziehe mich zurück, schalte das Telefon aus, brauche Ruhe. Es ist ein einsamer Job. Komponieren ist kein lustiger Prozess, im Gegenteil, oft ist es frustrierend. Und nicht programmierbar. Manche Songs stehen innerhalb eines Tages, andere laufen ins Leere, drehen sich im Kreis, finden zu keinem Ende.

SZ: Wer hilft Ihnen dann weiter?

Keys: Mein Partner Krucial. Er ist der Einzige, den ich schon während des Prozesses hinzuziehe. Zu dem Zeitpunkt bin ich sehr verwundbar oder besser: meine Songs sind verwundbar. Das Urteil meines Managers Jeff schätze ich auch, aber erst dann, wenn der Song steht.

SZ: Bob Dylan hat Ihnen auf seinem Album "Modern Times" einen Vers gewidmet: "I was thinking about Alicia Keys / I couldn't keep from crying / While she was born in Hell's Kitchen / I was going down the Line."

Keys: Er hat mich nie getroffen!! Wir kennen uns nicht. Es war ein großer Schock für mich, aber ich finde es auch sehr lustig. Bis heute habe ich keine Ahnung, was ihn dazu gebracht hat, das zu schreiben.

SZ: Es klingt wie ein Kompliment, oder?

Keys: Absolut! Hallo!? Boby Dylan kennt meinen Namen! Noch mehr bedeutet mir aber mein Auftritt mit Stevie Wonder.

SZ: Erzählen Sie!

Keys: Wir haben zusammen mit Lenny Kravitz meinen Song "If I ain't got you" gesungen. Stevie hat Mundharmonika gespielt, dann ging es weiter mit seinem Song "Higher Ground". Wir beide standen an den Keyboards, es wurde immer verrückter. Es war einfach schon ein Geschenk, in seiner Nähe zu sein. Stevie Wonder hat jeden seiner zwanzig Nummer-Eins-Hits selber komponiert. Er kommt in den Raum, und plötzlich befindet man sich in seinem total aufgeladenen Energiefeld.

SZ: Womit hat er Sie am meisten überrascht?

Keys: Wie sehr er auf Körperkontakt aus ist.

SZ: Nun ja, er ist blind.

Keys: Schon, aber er geht gerne auf Tuchfühlung . Er ist ein Schlawiner - und nutzt es zu seinem Vorteil aus. Bei einer Sache sind wir uns ziemlich ähnlich. Nur weil er so wunderschöne Musik schreibt, denken viele, er wäre ein ernsthafter Typ. Dabei ist er wirklich lustig, ein absoluter Komödiant, er reißt die unglaublichsten Witze. Und von mir denken eben viele, ich sei wegen meiner Balladen ein melancholisches Mädchen.

SZ: Sind Sie doch auch, oder?

Keys: Schon, aber nur, wenn keiner zuguckt.

Alicia Keys, 27, ist gebürtige New Yorkerin. Ihre Mutter hat schottisch-italienische Wurzeln, der Vater ist Jamaikaner. Sie wuchs als Einzelkind bei ihrer Mutter in sehr einfachen Verhältnissen auf. Mit sechs Jahren begann sie mit dem Klavierspielen, mit 16 Jahren hatte sie ihren ersten Plattenvertrag. Ihr Debüt-Album "Songs in A Minor" erschien 2001 und verkaufte sich mehr als zwanzig Millionen Mal. Es folgen "The Diary of Alicia Keys", reichlich Charterfolge und neun Grammys. Was Alicia Keys von vielen ihrer R'n'B-Kolleginnen unterscheidet: Sie komponiert und textet die meisten ihrer Songs selber. Gerade ist ihr aktuelles Album "As I am" bei Sony/BMG erschienen.

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