Alice wieder im Kino:Mit der Zeit auf Du und Du

Lesezeit: 3 min

Ist Johnny Depp noch zu helfen? Lewis Carrolls Alice versucht es, als sie sich in einen zweiten "Wunderland"-Film verläuft. Der einiges über Disney und das digitale Blockbusterkino heute erzählt.

Von Philipp Stadelmaier

Um das Unmögliche zu erreichen, muss man glauben, dass es möglich ist. Sagt Alice und steuert ihr Schiff auf stürmischer See durch eine dünne Spalte zwischen rasiermesserscharfen Klippen - die Piraten, die sie verfolgen, bleiben auf den Felsen hängen.

Diese Eröffnungsszene von "Alice im Wunderland 2: Hinter den Spiegeln" hat mit Lewis Carroll ebenso wenig zu tun wie die schon sehr freie Adaptation von "Alice im Wunderland" durch Tim Burton von 2010. Nur grob orientiert sich der neue Film an "Hinter den Spiegeln", Carrolls Fortsetzung des ersten Alice-Buches. Zwar ist es, wie bei Carroll, ein Spiegel, der ins Wunderland führt. Die Welt dahinter aber ist weniger surreal als vielmehr ein großer digitaler Familien-Wunderpark des Produzenten Disney. Hier wird Alice (Mia Wasikowska) bekannte Gestalten wiedertreffen, die schon jene des ersten Films sind: die weiße und die rote Königin, den Hutmacher (Johnny Depp), die eierköpfigen Zwillinge. Hier muss sie Abenteuer bestehen, Familien wiedervereinen, den eigenen Charakter festigen.

Statt eines Marvel-Comics werden hier Carrolls Märchenerzählungen zum Franchise. Die von Tim Burton entworfenen Figuren wirken dabei entweder blass - wie Anne Hathaway, die als weiße Königin wie ein Ballett-Dämchen gelangweilt durch die Gegend eilt - oder völlig übertrieben retuschiert, wie Johnny Depp, dessen Kopf aussieht, als hätte ein Digital Artist zu viel LSD genommen. Und so löst sich der Film irgendwie auf wie das berühmte Grinsen der Grinsekatze.

Eine Allegorie zu Disneys Versuch, die Zukunft zu programmieren

Aber nicht Carrolls Vorlage oder Burtons Figuren sind das Spannende an James Bobins Film. Sondern das, was er von Disney erzählt und vom heutigen Status des digitalen Blockbusterkinos. Man nehme die Anfangsszene, in der es darum geht, das Unmögliche möglich zu machen - "man muss nur daran glauben". Diese Szene erzählt von den Schaffensmöglichkeiten im digitalen Kino: Nichts ist unmöglich, alle Bilder sind herstellbar. Allerdings wird hier ein Zustand von vor sechs Jahren beschrieben - 2010 kam der erste Alice-Film heraus, aber auch "Inception" von Christopher Nolan, in dem es hieß: Die einzige Einschränkung deiner Fantasie bist du selbst. Diese Einschränkung war damals vor allem die Zeit. Was auch immer man sich bildlich ausdenken mochte - es gab immer noch die Zeit, die man nicht so einfach manipulieren konnte.

Von diesem Zustand will sich der neue Film absetzen. Hier will Alice dem Hutmacher helfen, die Zeit zu verändern, um eine frühere Katastrophe ungeschehen zu machen. Das hört sich nach Zeitreiseparadox an - aber das bleibt hier außen vor. Als hätten wir uns so sehr an digitale Manipulierbarkeit gewöhnt, dass selbst die Zeit beliebig transformierbar scheint. Die "Zeit" ist hier sogar eine Figur, welche dieselbe nach Belieben beherrschen und gestalten kann. Sacha Baron Cohen spielt diese Mischung aus Mensch und Uhr, wie nur er das kann: voll absurd - und vollkommen ernst.

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Anstatt über die Paradoxa von Zeitreisen zu spekulieren, spekuliert der Film auf einer rein visuellen - nie auf einer intellektuellen Ebene. Die Zeit wird produziert, in einem mächtigen Räder- und Uhrenwerk, das Alice besucht und in dem sie ein Gefährt erbeutet, das ihr das problemlose Wechseln zwischen verschiedenen Zeitebenen erlaubt. Später ist die Zeit ein Strudel, eine Art kubistisch in sich selbst zurückgefaltetes Meer. Man ist mit der Zeit nunmehr auf Du und Du, wenn sie etwa zur Teatime beim Hutmacher vorbeikommt.

Es gibt also diese digitale Zeit, in der alles möglich ist. Aber gleichzeitig gibt es doch auch eine andere, menschliche Zeit. Die geht nun mal gnadenlos nur in eine einzige Richtung: nach vorne. Denn wenn hier schließlich der Lauf der Zeit definitiv manipuliert werden soll, versteinert sich plötzlich das gesamte Universum, stirbt es ab. Niemand verändert die Zeit ungestraft.

Der Film wirkt damit wie eine Allegorie von Disneys Versuch, die Zeit, also die Zukunft zu programmieren: mit seinen ewigen Fortsetzungen von allem, was Erfolg hat und weiter welchen haben soll. Und gleichzeitig wird deutlich, dass Schauspieler und Publikum nach wie vor aus Menschen bestehen. In diesem Film, in dem die menschlichen Schauspieler oft wie verlorene Fremdkörper in einer rein digitalen Umgebung wirken, wirkt das wie eine erfrischende Brise Realismus. Und wie ein Zeichen, dass in dieser "menschlichen" Zeit sich der Geschmack des Publikums immer ändern kann - ohne dass das irgendwer programmieren könnte.

Alice Through the Looking Glass , USA 2016 - Regie: James Bobin. Buch: Linda Woolverton. Kamera: Stuart Dryburgh. Mit Mia Wasikowska, Johnny Depp, Sacha Baron Cohen. Disney, 153 Minuten.

© SZ vom 30.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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