Ali G. ist "Borat":Der lustigste Mann der Welt

Der englische Komiker Sasha Baron Cohen schuf fürs Fernsehen den Moderator "Ali G." und nun fürs Kino den Reporter "Borat". Eine Würdigung.

Tobias Kniebe

Schauen Sie sich den Mann links bitte genau an, es ist wirklich sehr wichtig! Sie sehen seinen hochgewachsenen, unbeholfenen, linkischen Körper. Sie sehen diesen Anzug, das wuchernde Haar, den Schnurrbart, diese tiefgründigen Augen, in denen sich die Seele des Vorderen Orients spiegelt. Kann dieser Mann ein Monster sein?

Borat, Ali G., Kino, Film

Der Comedian Sacha Baron Cohen gibt sich kämpferisch bei der Deutschland-Premiere seines Kinofilms "Borat". Kinostart ist der 2. November 2006.

(Foto: Foto: dpa)

Steckt in ihm, wie die New York Times schrieb: "Sexismus, Rassismus, Schwulenfeindlichkeit und das gefährlichste aller sozialen Gifte: Antisemitismus"? Warum musste der Botschafter der Republik Kasachstan in London jetzt im Guardian zur Feder greifen, um ihn als "Schwein von einem Mann" zu bezeichnen?

Borat Sagdiyev, der viertbekannteste Mann Kasachstans

Was hat er getan? Was stellt er mit Unschuldigen wie der Familie Marshall in Mississippi an, die ihn voriges Jahr mit den besten Absichten zum Essen einlud - und die ihn, Borat, anschließend aber als "schlimmste Heimsuchung seit dem Bürgerkrieg" bezeichnete?

Zunächst muss etwas Wichtiges festgehalten werden. Dieser Mann, dieser wiedergeborene Frank Zappa im Geiste der Gebrüder Marx, er ist, wir können absolut gar nichts daran ändern: der lustigste Mann der Welt.

Sein Name ist Borat Sagdiyev, Beruf: Reporter. Er nennt sich selbst den viertbekanntesten Mann Kasachstans. Sein glorreicher Führer - Präsident Nursultan Nasarbajew - hat ihn hinaus in die Welt geschickt, um die Sitten und Gebräuche anderer Völker zu erkunden, in Interviews zu dokumentieren und auf Video zurück in die Heimat zu schicken, zur Instruktion, Fortbildung und Erbauung seiner unterbelichteten Landsleute.

"Borat" - angeblich finanziert vom Kasachischen Informationsministerium - ist eine Dokumentation in Spielfilmlänge, die sich vollständig dem großen Vorbild Kasachstans widmet: den Vereinigten Staaten von Amerika. So spannend, überraschend und auch lehrreich waren Borats Begegnungen dort, dass Nasarbajew nach der ersten Privatvorführung eine folgenschwere Entscheidung traf: Nicht nur die Bürger Kasachstans sollten von diesem Quell der Weisheit profitieren - die ganze Welt muss den Film nun im Kino sehen. Jetzt, am 2. November, ist es soweit.

Nein. Das kann alles nicht wahr sein, und das ist es natürlich auch nicht.

Der lustigste Mann der Welt

"Borat" ist eine Produktion der Twentieth Century Fox und eine Figur des englischen Komikers Sacha Baron Cohen, der als Hip-Hop-Moderator "Ali G." bekannt wurde, aber auch sehr gerne in andere Rollen schlüpft. Viele Amerikaner, unter ihnen auch Politiker und religiöse Führer, haben Borats rührender Geschichte dennoch geglaubt.

Zwerchfellerschütternd, ja schließmuskelgefährdend komisch

Sie haben ihm also Interviews gegeben, ihm Hotelzimmer vermietet, ihm ein Auto verkauft, ihm Fahrstunden gegeben, ihre Häuser geöffnet, ihre Schusswaffen erläutert, die Grundzüge des Feminismus erklärt, ihn in einer lokalen Fernsehstation präsentiert, auf einem Rodeo die Nationalhymne singen lassen - und nebenbei haben all diese Amerikaner, ohne zu zögern, ein paar Informationen preisgegeben.

Borat wollte zum Beispiel in jungenhaft anmutender Unschuldigkeit von diesen überaus normalen Menschen wissen: Welches Auto braucht man, um eine Frau mit rasierter Scham zu beeindrucken? Welche Pistole ist geeignet, um einen Juden umzulegen? Und sollte man alle Schwulen nicht besser aufhängen?

Bei solchen Fragen, lieb gestellt von einem interessierten Barbaren aus einem barbarischen Land, ließ Amerika die Hosen herunter: Es gab Antworten, bei denen einem der Mund offen stehen bleibt.

Billige Provokation, gefährlicher Schwachsinn, niederster Fäkalhumor, Hantieren mit sozialem Sprengstoff? Und beleidigt Cohen als angeblicher Kasache den modernen, religiös toleranten und weltoffenen Staat Kasachstan, wie Regierungssprecher und Botschafter des Landes inzwischen mehrfach betonten, weshalb die Internetbehörde des Landes auch die kasachische Internetdomain www.borat.kz sperren ließ?

Oder ist es doch eher die mutigste und avancierteste Form von Komik, die man sich derzeit vorstellen kann: ein Atomblitz echter Aufklärung in einem dunklen Zeitalter professioneller Falschheit, dämlicher "Sieben Zwerge"-Gags, zynischer Fernsehfressen und weltweiter Desinformation? Das ist die große Frage. Und tatsächlich ist es wohl beides zugleich. Vor allem aber ist der Dokumentarfilm "Borat": zwerchfellerschütternd, ja schließmuskelgefährdend komisch.

Vor Lachen von hinten in den Hals gebissen

"Borat" basiert auf einem Arzt, den Sacha Baron Cohen einmal im Süden Russlands kennengelernt hat. Der brachte ihn innerhalb von Minuten vor Freude zum Weinen, so arrogant, ahnungslos, motorisch unkoordiniert und unfreiwillig brüllkomisch war dieser Mann. Genauso nun ist Borat auch.

Wäre sich Borat seiner selbst bewusst, müsste man ihn außerdem als vollkommen furchtlos bezeichnen. Aber Cohen gelingt es auf gespenstische Weise, jeden Anflug von Bewusstsein von dieser Figur fernzuhalten. Borat ist nur er selbst, während die Welt um ihn herum zusammenbricht.

Schauen Sie sich das Bild oben noch mal an! Der kriegt Sie nicht, glauben Sie? Und über misogyne, homophobe und judenfeindliche Witze können Sie nicht lachen? Das dachten wir auch, die Redakteure des SZ Wochenende und ich, aber leider ist dann einer der Redakteure bei der Pressevorführung des Films "Borat" so durchgedreht, dass er mir von hinten in den Hals gebissen hat.

Und übrigens hatte sich auch Todd McCarthy - der weithin gefürchtete Moralkritiker der amerikanischen Branchenbibel Variety - vorgenommen, Borat alias Cohen das nicht durchgehen zu lassen. Was dann passierte, fasst McCarthy mit "seit vielen Jahren nicht härter gelacht" und "hilflos winselnd, unfähig aufzuhören, auch wenn manche Filmsequenz längst vorbei ist" zusammen. Und jetzt?

Jetzt möchten wir von Dan Mazer, dem "Executive Producer" des Films, gerne mehr wissen: Was steckt hinter diesem Geniestreich, der nicht nur die Grenzen des Komischen, sondern auch die Genres Komödie und Dokumentation neu definiert?

Der lustigste Mann der Welt

Wie konnte hier ein recherchierender Komödiant auf den Fernsehkanälen Channel4 und HBO eine Technik der Entlarvung von Wirklichkeit heranreifen lassen, die von jungen Fans sofort entdeckt, vom üblichen intellektuellen Diskurs aber total verpennt wurde?

"Wir haben schon früh beschlossen, den Mund zu halten und die Gags einfach für sich sprechen zu lassen", sagt Mazer. Sacha Baron Cohen zum Beispiel ist klug genug, öffentlich nur als "Ali G." oder "Borat" aufzutreten - wie vorvergangene Woche, als er unter lauter zahmen Provinzhumoristen und mindestens zwei Ligen unterhalb seinesgleichen den dümmlichen Deutschen Comedy-Preis entgegennahm, um ein bisschen Werbung für seinen Film zu machen.

"Borat bringt die Menschen dazu, ihre Tarnung aufzugeben"

Aber Mazer, der ihn seit der Schule kennt und Gags mit ihm zusammen schreibt, verrät dann doch noch mehr: Cohen ist der Spross einer walisisch-jüdisch-iranischen Mittelstandsfamilie aus Staines, Grafschaft Surrey, England. Gemeinsam besuchten Cohen und Mazer die vornehme "Haberdashers Aske's" Privatschule und das "Christ's College" in Cambridge, wo Cohen seine Diplomarbeit über die jüdischen Aktivisten in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung schrieb: eine gute Vorbereitung für seine späteren Abenteuer.

Schon dieser Hintergrund macht klar, dass Cohen keineswegs unreflektiert oder fahrlässig mit Gefühlen wie Antisemitismus und Rassismus spielt. In seiner Entschlossenheit, Dumpfsinn, Vorurteile und Hass zu entlarven und die Situationen, in die er als Borat hineingerät, mit unglaublichen Provokationen auf die Spitze zu treiben, kann man eine Mission erkennen.

Wenn er vor einem aufgeputschten Rodeo-Publikum in Salem, Virginia, in die Arena tritt, ein Stars-and-Stripes-Shirt und einen Cowboyhut trägt und eine Botschaft des kasachischen Volkes mitbringt, wird er vom Publikum mit freundlicher Neugier empfangen. "Lassen Sie mich sagen, dass wir euren Krieg von Terror unterstützen", radebrecht er ins Mikrofon - und erntet donnernden Applaus, obwohl die falsche Präposition die Amerikaner zu Terroristen erklärt. "Ich hoffe, ihr tötet jeden Mann, jede Frau und jedes Kind im Irak, bis zur letzten Eidechse!" Noch mal großer Jubel.

"Möge George W. Bush das Blut jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes im Irak trinken!" Immer noch Beifall - aber nun, endlich, auch erste Anzeichen von Verwirrung im Rodeopublikum. Etwas wirkt hier nicht nur komisch, sondern auch beängstigend - und es ist nicht die Tatsache, dass der todesmutige Cohen sich diesen Auftritt erschlichen hat, oder dass er anschließend die amerikanische Nationalhymne verhunzt.

"Borat bringt die Menschen dazu, ihre Tarnung aufzugeben", sagt Mazer, "in Gegenwart eines so ungeheuerlichen Sexisten und Rassisten fühlen sie sich plötzlich frei und entspannt, ja, und dann lassen sie ihren geheimen Überzeugungen freien Lauf."

Eine Spur der Verwüstung, eine mediale Schneise

Das Bild eines skrupellosen, selbstzufriedenen und bigotten Amerika, das dabei nebenbei entsteht, lässt Leute wie Michael Moore wie harmlose Tanzbären des Systems aussehen. Wie real ist das Ganze? Kann es wirklich sein, dass hier nicht auch Schauspieler agieren, Erfüllungsgehilfen eines großen Masterplans?

"Alles echt!", schwört Mazer. Beglaubigt wird die Versicherung von bizarren Meldungen, die im Lauf des vorigen Jahres in amerikanischen Zeitungen erschienen sind - und die sich nun als Borat-Auftritte identifizieren lassen.

"Wer war dieser Mann, der unsere Hymne besudelt hat?" fragt die Roanoke Times wütend am 11. Januar 2006. "Falscher Journalist aus Kasachstan im TV interviewt", berichtet der Clarion Ledger aus Mississippi am 13. Juli. Keine Woche später meldet sich eine empörte Südstaaten-Familie aus Natchez bei der New York Post: "Wir haben ihn vertrauensvoll in das Haus eingeladen, das unsere Ahnen seit 152 Jahren bewohnen. Und was tat er? Er brachte eine schwarze Prostituierte mit."

Eine Spur der Verwüstung, eine mediale Schneise, schlug Cohen während der Dreharbeiten durch Amerika - und nun kann man diese Schneise im Kino bestaunen. Aber eben nicht nur das.

Über die brillante Fernseharbeit, die man von Cohen als Borat schon bisher kannte, auch über seine Auftritte als Moderator der MTV Music Awards, geht dieser Film auf erstaunliche Weise hinaus. Gerade in den Sequenzen, in denen so etwas wie eine verbindende Handlung erzählt wird, blitzt plötzlich eine lyrische Zärtlichkeit auf, die den nächsten Ausbruch des Irrsinns umso komischer macht.

Cohen hat ein magisches Gespür für Timing. Da ist zum Beispiel das Huhn, das er bei der Einreise in New York in der Aktentasche trägt, sozusagen als Reserve für schwere Zeiten. Einmal flattert es hektisch durch die U-Bahn, da bekommt Borat, gerade erst eingereist, zum ersten Mal richtig Ärger - zumal er die ahnungslosen Fahrgäste nach Sitte Kasachstans küssen will.

Das Huhn jedenfalls wird nun lange nicht mehr gesehen - bis zu jenem Moment größter Demütigung, wo Borat mittellos und verlassen in der Einöde des mittleren Westens hockt. Enttäuscht wirft er seine Aktentasche von sich. Und erst ein leises "Gack!" erinnert ihn daran, dass er immer noch seinen Weggefährten in dieser Tasche hat.

Oder auch Azamat, sein treuer "Produzent", ein schwermütiger Punchingball, der an Oliver Hardy erinnert - bis ein absolut irreparabler Vertrauensbruch zu einem Nackt-Ringkampf der beiden Männer führt, der als eine der unvergesslichsten Szenen der Filmgeschichte Furore machen wird.

Werfen Sie also einen letzten Blick auf diesen Mann oben rechts im Bild!

Er kann mehr als nur Amerikaner bloßstellen. Er ist ein großer Aufklärer und ja, auch ein Menschenfreund, und gerade deshalb sieht er die dunklen Seiten in jedem von uns. Würden Sie ihn, wären Sie jetzt nicht gewarnt, nicht auch für einen kasachischen Reporter halten? Würden Sie in seiner Gegenwart womöglich ein bisschen anders über zum Beispiel Frauen oder Schwule reden? Nein?

Dann stellen Sie sich jetzt bitte noch vor, dass dies der einzige Anzug ist, den er jemals trägt - und dass dieser Anzug seit Jahren nicht mehr gewaschen wurde. Er stinkt wie die Hölle. Bedenken Sie weiterhin, dass der Mann seine Notizen in einer fremden Schrift schreibt, die Sie nicht als Hebräisch erkennen werden. Sind Sie sicher, dass Sie ihm nicht aus Barmherzigkeit ein Interview geben würden? Ganz sicher?

Dann haben Sie gerade noch mal Schwein gehabt.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: