Alfred Bodenheimers Krimi "Mord in der Straße des 29. November":Harte Proben

Lesezeit: 3 min

"Immer alles auf den Moment. Die Unberechenbarkeit ist das einzige, mit dem man rechnen kann." - Blick auf die Altstadt Jerusalems. (Foto: Imago)

Der Basler Religionsgeschichtler Alfred Bodenheimer sorgt sich um die israelische Demokratie. Jetzt hat er einen Krimi geschrieben, der in seiner Wahlheimat Jerusalem spielt.

Von Peter Münch, Jerusalem

Der Mord geschah gleich ums Eck: In der Straße des 29. November, einer normalerweise ruhigen Wohngegend, ist die Knesset-Abgeordnete Ruchama Wacholder zusammen mit ihrem Mann erschossen worden, als sie ganz unschuldig abends den Hund ausführten. Es ist eine Tat, die halb Israel aufwühlt, doch der Mann hinter diesem Mord-Komplott sitzt nun komplett entspannt in einem Café in der Jerusalemer "German Colony". Zur weißen Kippa trägt er ein weißes Poloshirt, und mit leichtem Schweizer Zungenschlag bekennt er: "Natürlich habe ich den Fluchtweg gecheckt. Ich wohne ja hier in der Gegend."

Alfred Bodenheimer hat mit "Mord in der Straße des 29. November" gerade seinen ersten Jerusalem-Krimi veröffentlicht, und alles kommt darin vor, was den 56-Jährigen in seiner Wahlheimat Israel beschäftigt: die große Politik, der ewige Konflikt mit den Palästinensern und auch die kleinen Sorgen seiner Protagonisten. Ein "beinharter Blutkrimi" sei das nicht, räumt er ein. Viel eher ist es eine Gesellschaftsparabel - und in jedem Fall ist es etwas ganz anderes als alles, womit sich der Autor sonst beschäftigt.

In Jerusalem ermittelt jetzt ein Frau, säkular obendrein

Im wirklichen Leben jenseits des kriminellen Milieus nämlich ist Bodenheimer Professor für Jüdische Literatur und Religionsgeschichte an der Universität Basel. Gerade hat er ein Werk in Arbeit mit dem Titel "Die Sprache Gottes". In seinen Seminaren geht es um Themen wie den "Machtbegriff im Judentum" oder das Pluralismusmodell des jüngst verstorbenen britischen Großrabbiners Jonathan Sacks. Krimis schreibt er zum Ausgleich: "Triebabfuhr nennt man das bei Freud", sagt er, "da kann man sich bedenkenlos alles von der Seele schreiben."

Er selbst liest keine Krimis, aber seinen ersten hat er schon 2014 veröffentlicht. Ermittelt wird in Zürich von einer dort beheimateten Hauptfigur namens Rabbi Gabriel Klein. Der hat inzwischen eine treue Leserschaft, gelobt werden vor allem die genauen Milieustudien. "Die jüdische Gemeinde dort kenne ich tatsächlich von in- und auswendig", sagt Bodenheimer.

"Es geht mir nicht um Benjamin Netanjahu, es geht mehr um die Strukturen." - Alfred Bodenheimer. (Foto: Ayse Yavas/picture alliance)

Jerusalem ist da schon etwas anderes, auch wenn er seit vielen Jahren schon zumindest teilweise hier lebt. Die Familie ist dort, der akademische Job ist in der Schweiz, Bodenheimer ist ein Pendler zwischen den Welten. "Der physische Stress des Reisens ist kleiner als der psychologische wegen der Umstellung", meint er. In der Schweiz sei "alles organisiert und berechenbar, mit einer einstudierten Langsamkeit". Israel dagegen: "Immer alles auf den Moment. Die Unberechenbarkeit ist das einzige, mit dem man rechnen kann."

Nach sechs Zürcher Krimibänden hat er sich trotzdem auf neues Terrain gewagt, und dies so gründlich, dass in Jerusalem eine Frau ermittelt, säkular obendrein: Kenny Glass ist Psychologin in Diensten der Polizei. Mit dem Mordfall Wacholder ist sie nicht nur professionell betraut, sondern sie ist auch persönlich involviert durch eine langjährige Bekanntschaft zu den Opfern. Schließlich ist Israel ein kleines Land, allerdings eins mit ziemlich großen Problemen.

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Die Familie von Kenny Glass ist ein Mikrokosmos der zerklüfteten jüdisch-israelischen Gesellschaft

In die Probleme seiner Wahlheimat steigt Bodenheimer gleich mit dem Titel ein: Denn der 29. November, nach dem die Straße des Tatorts benannt ist, steht für ein denkwürdiges Datum in Israels Geschichte. An diesem Tag im Jahr 1947 stimmte die Mehrheit der UN-Generalversammlung für eine Teilung des bisherigen britischen Mandatsgebiets Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Staat. "Der Tag war mit Hoffnungen belegt, die inzwischen zumindest auf der moralisch-politischen Seite enttäuscht wurden", sagt er. Israels sei heute "ein Land, das Mühe hat, ein paar Grundlagen der Demokratie einzuhalten".

Bodenheimers Sorge darüber, dass Israels "Demokratie unter die Räder kommt", spiegelt sich in den Personen ebenso wie im Plot des Krimis. Dabei erscheint die Familie seiner Ermittlerin als Mikrokosmos der zerklüfteten jüdisch-israelischen Gesellschaft. Kenny Glass selbst steht für die kritischen Patrioten, deren Liebe zum Land und zu den Leuten immer wieder auf harte Proben gestellt wird. Ihre Mutter war einst beim Oslo-Friedensprozess beteiligt, der Vater gehört als Nationalreligiöser zum friedensfernen rechten Lager. Der Bruder ist traumatisiert vom Terror, die Tochter desillusioniert und pragmatisch.

Alfred Bodenheimer: Mord in der Straße des 29. November. Kampa Verlag, Zürich 2022. 224 Seiten, 19 Euro. (Foto: Kampa Verlag)

Alles fast so wie im richtigen Leben. Der Kriminalfall spielt in Zeiten der Corona-Lockdowns 2020/21 in einem zugleich gelähmten und aufgeheizten Land: Eine Parlamentswahl jagt die nächst, und es regiert ein Premier, den jeder gleich erkennt wegen seiner "sonoren Stimme", seiner Korruptionsprozesse und seiner raffgierigen Familie - der aber nie beim Namen genannt wird. "Es geht mir nicht um Benjamin Netanjahu", sagt Bodenheimer, "es geht mehr um die Strukturen." Die Spuren im Mordfall an der Parlamentarierin Wacholder weisen erst hinüber zu den Palästinensern, dann hinauf in die höchsten Ränge der Politik. Doch natürlich gibt es auch noch ganz andere Wendungen.

Als Zielgruppe nennt Bodenheimer all jene, "die grundsätzlich interessiert sind an Jerusalem, an der Atmosphäre hier". Sie erfahren viel über die Geschichte und über Aktuelles, über Hintergründe und Abgründe. Wenn es nach dem Schweizer Kampa-Verlag geht, in dem seine Krimis erscheinen, dann soll allerdings im nächsten Buch wohl wieder der Zürcher Rabbi Klein zum Zuge kommen. Alfred Bodenheimer selbst aber sieht den Aufklärungsbedarf eher anderswo. "Ich glaube, das wird nochmal ein Jerusalem-Krimi."

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