Alexej von Jawlensky:"Meine Kunst ist ein Gebet"

In Wiesbaden findet der Expressionist 1921 eine neue Heimat. Hier setzt er seine Serien fort. Doch der Anfangserfolg ist flüchtig.

Von Johanna Pfund

Alexej von Jawlensky: Entspannt wirkt dieses 1921 entstandene Werk aus der Serie der Heilandsgesichter, was sich auch im Titel niederschlägt. Alexej von Jawlensky nannte es "Heilandsgesicht: Ruhendes Licht". Das Motiv hat der Maler immer wieder neu variiert.

Entspannt wirkt dieses 1921 entstandene Werk aus der Serie der Heilandsgesichter, was sich auch im Titel niederschlägt. Alexej von Jawlensky nannte es "Heilandsgesicht: Ruhendes Licht". Das Motiv hat der Maler immer wieder neu variiert.

(Foto: Bernd Fickert/Museum Wiesbaden)

Man erwarte ihn schon in Wiesbaden, schreibt Alexej von Jawlensky 1921 an den Schweizer Sammler Karl Im Obersteg. In dem kurzen Satz steckt weit mehr als eine bloße Nachricht, darin liegt die große Hoffnung auf einen Neuanfang. Der Maler befindet sich an einem Scheideweg. Die Beziehung zu Marianne von Werefkin ist nach Jahrzehnten endgültig am Ende, das gemeinsame Leben in der Schweiz in der Ménage-à-trois mit dem Dienstmädchen Helene Nesnakomoff, Mutter seines 1902 geborenen Sohnes, nicht mehr zu halten. Wie verheißungsvoll wirkt dagegen der Kurort Wiesbaden. Dort werden Jawlenskys Bilder gerade in einer Ausstellung im Nassauischen Kunstverein und im Neuen Museum gefeiert, mehr als in Frankfurt am Main, Berlin oder München, mit Heinrich von Kirchhoff steht ein Sammler und Mäzen bereit, dank der rührigen Vermittlerin und Organisatorin Galka Scheyer.

"Hier liebt und versteht man Ihre Kunst wirklich", schreibt sie ihm. Wer wollte nicht dorthin ziehen, wo man verstanden wird und willkommen ist? Wiesbaden ist das neue Paradies des russischen Malers.

Alexej von Jawlensky: Ein Spaziergang mit Mäzenin Tony Kirchhoff auf der Wilhelmstraße in Wiesbaden 1922.

Ein Spaziergang mit Mäzenin Tony Kirchhoff auf der Wilhelmstraße in Wiesbaden 1922.

(Foto: Privatarchiv Kirchhoff/Nachlass Mieze Binsack)

Auch künstlerisch steht Jawlensky am Beginn einer neuen Phase. Noch in den Jahren in der Schweiz hatte er begonnen, Köpfe zu malen, in Serie. Was Claude Monet die Seerosen waren, werden dem Russen im Laufe der Zeit die kräftig farbigen "Variationen", die "Meditationen", die in Pastell gehaltenen "Heilandsgesichter". Auch Stillleben und Landschaften malt er in immer neuen Varianten. Zu diesem Zeitpunkt hat der Maler aber schon einen langen Weg hinter sich.

1864 in Torschok geboren wird der junge Jawlensky zunächst Soldat, so wie es in der Familie üblich ist. Doch die Kunst interessiert ihn. In Sankt Petersburg macht er 1892 zwei wegweisende Begegnungen. Zum einen studiert er bei Ilja Repin, zum anderen trifft er dort die vier Jahre ältere, bereits anerkannte Malerin Marianne von Werefkin, mit der er von da an fast 30 Jahre lang sein Leben in der ein oder anderen Form teilt. 1896 verlassen die beiden Russland und damit die realistische Malerei. München wird der Neuanfang.

Der Künstler setzt sich mit Van Gogh auseinander

Hier nimmt Jawlensky viele Impulse auf. Da ist der von Werefkin gepflegte Salon in der gemeinsamen Wohnung an der Giselastraße, er nimmt Kurse bei Anton Ažbe, er reist nach Paris. Er setzt sich auseinander mit dem vibrierenden Pinselstrich Vincent van Goghs, was in seinem Gemälde "Sommertag" von 1907 deutlich sichtbar ist. Aber auch Paul Cézanne, Paul Gauguin und die deutschen Expressionisten hat Jawlensky im Blick.

Dabei ist der Maler keiner, der laut seine Überzeugungen vertreten würde. Den Charakter Jawlenskys schildert Lisa Hohorst, die das Künstlerpaar vor dem Ersten Weltkrieg wiederholt in München besucht, im Jahr 1947 so: "Jawlensky erweckte den Eindruck von einem russischen Grandseigneur: er war von einer natürlichen Vornehmheit, selbstverständlichen Ritterlichkeit, bei aller seelischen Bewegtheit, von einer seltenen Selbstbeherrschung, er schien immer ausgeglichen, sprach wenig, im Gegensatz zu M. v. Werefkin, die mit ihrem sprühenden Esprit, ihrem geistigen Charme eine ganze Gesellschaft in Atem halten konnte."

Die Rolle des ruhenden Pols scheint Jawlensky auch während der später berühmt gewordenen Aufenthalte zwischen 1908 und 1910 in Murnau in Oberbayern gespielt zu haben, in der kleinen Villa von Gabriele Münter und Wassily Kandinsky, die als "Russenhaus" in das Gedächtnis des Ortes eingegangen ist. Gemeinsam mit Münter und Kandinsky treiben Werefkin und Jawlensky hier die Entwicklung der Malerei voran. Farbflächen kommen ins Spiel, starke Konturen, Reminiszenzen an japanische Farbholzschnitte. Wie Jawlensky all die Einflüsse vereint und daraus seine Malerei formt, zeigt die "Dame mit Fächer", die er 1909 malt. Kräftiges Orangerot umhüllt eine weitgehend in Blau-Violett gekleidete junge Frau, die entrückt nach unten blickt, in sich gekehrt. Im selben Jahr wird die Neue Künstlervereinigung München gegründet, der zunächst auch beide Paare angehören; aber Kandinsky scheidet nach wenigen Jahren im Streit aus. Der weitaus größere Bruch aber kommt von außen: Der Erste Weltkrieg zwingt Werefkin und Jawlensky gemeinsam mit Helene und Sohn Andreas zur Flucht in die Schweiz.

Immer wieder plagen den Maler Geldsorgen

Nach diesen unruhigen Jahren scheint der Neuanfang in Wiesbaden vielversprechend. Hier heiratet Jawlensky 1922 Helene. Auch Gönnerinnen stehen parat, mit Tony Kirchhoff, mit Hanna Bekker vom Rath, die für den häufig unter Geldsorgen leidenden Maler die "Vereinigung der Freunde der Kunst Alexej von Jawlenskys" gründet, und schließlich tritt auch Lisa Kümmel in sein Leben. Kümmel besucht den zunehmend kranken Mann täglich, unterstützt ihn und fertigt mit ihm Werklisten an.

Ungeachtet all der Hindernisse treibt Jawlensky das Spiel, immer gleiche Motive mit winzigen Nuancen grundlegend zu ändern, voran. Die "Heilandsgesichter" unterscheiden sich nur in wenigen Details voneinander und erzählen doch jeweils neue Geschichten. Mal ein orangefarbenes Karree als Auge, gepaart mit einem zweiten Auge in Form eines schwarzen Ovals, mal geöffnete Augen, mal nur Striche. Es folgen die "Abstrakten Köpfe", dann, als er wegen seiner Arthritis den Pinsel kaum noch halten kann, die kleinformatigen "Meditationen".

Diese spiegeln Jawlenskys Zustand. Galka Scheyer müht sich in den fernen USA, Käufer für die von ihr vermarkteten "Blauen Vier" (Jawlensky, Kandinsky, Klee, Feininger) zu finden, ist aber nur beschränkt erfolgreich. Das Aufkommen des Nationalsozialismus verschärft die Sorgen. 1930 wird Jawlensky von einer Ausstellung deutscher Künstler ausgeschlossen, weil er Russe ist. Er beantragt die Einbürgerung, die ihm interessanterweise 1934 gewährt wird. Vor dem Ausstellungsverbot bewahrt ihn das nicht. Dazu kommt die Polyarthritis, die sich zunehmend bemerkbar macht. Seit 1937 ist Jawlensky an den Rollstuhl gefesselt. Wie dies auf seinen Gemütszustand wirkt, lässt sich unschwer an den "Meditationen" ablesen, die wie eine Synthese seines Lebens wirken. Sie vereinen die Ikonen Russlands mit der Farbigkeit eines Gauguin und der Abstraktion. Mit nur wenigen Strichen, meist in dunklen Farben, malt Jawlenksy Gesicht um Gesicht. Die Bilder heißen "Erinnerung an meine kranken Hände", oder "Winternacht, wo die Wölfe heulen". Der Schmerz ist sichtbar. Am 15. März 1941 stirbt der Künstler in Wiesbaden.

Wie er seine Werk sah, das schrieb er 1932 an Hanna Bekker vom Rath: "Es war bei mir Herr Kallei, ein Ungar, Kunstschriftsteller, Feinfühlender, weiss viel. Hat über meine Köpfe gesagt: sehr schön, sie sind ein geborener Kolorist! Nein, es ist zu wenig. Ich bin ein religiöser Mensch. Meine Kunst ist ein Gebet. Ikona."

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