Finanzwelt-Roman "Hochdeutschland":Wo bleiben die Mistgabeln?

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"Warum ölte niemand eine Guillotine?" - Frankfurt in der Abenddämmerung.

(Foto: imago/Westend61)
  • Alexander Schimmelbuschs Roman "Hochdeutschland" ist die deutsche Antwort auf Michel Houllebecqs "Unterwerfung".
  • Im Mittelpunkt steht Victor, Investmentbanker und supersmarter kaputter Schnösel.
  • Das Buch blickt so kundig wie kühl auf herrschende Finanzökonomie und Wirtschaftspolitik. Inklusive eines irren Manifests für ein "entschlossenes Wir".

Von Jens-Christian Rabe

Spätestens seit Bret Easton Ellis' 1991 erschienenem Bestseller gibt es in der Gegenwartsliteratur ein eigenes Genre: die Inszenierung des frostigen Ennuis der nicht nur intellektuell, sondern auch materiell turmhohen Überlegenheit, angereichert mit extrem reflektierter moralischer Verkommenheit. In Großbritannien trieb das etwa Edward St. Aubyn in seiner "Some-Hope"-Trilogie in beachtliche Höhen, in Deutschland seit seinem 1995 veröffentlichten Debüt "Faserland" immer wieder Christian Kracht. Kein Wunder. Sehr wenige Figuren eignen sich so gut für ein paar schaurig schöne Schauer cooler Kulturkritik wie der supersmarte, aber kaputte Schnösel aus bestem Hause.

Man denkt daran mit dem in solchen Fällen gebotenen wohligen Widerwillen, als man im ersten Kapitel von Alexander Schimmelbuschs neuem Roman "Hochdeutschland" nach ein paar Seiten diesen Absatz liest, in dem die Hauptfigur Victor, erfolgreicher Investmentbanker und - genau - supersmarter kaputter Schnösel, über den Ehemann seiner Affäre Maia nachdenkt: Wenn er diesen "jungen Deutschbanker der alten Schule" sah, "musste er jedes Mal an die sorgfältigen Pitches denken, von Historikern kürzlich im Keller der Hauptfiliale Hannover entdeckt, mit denen sich die Deutsche Bank Anfang der 40er-Jahre um die Finanzierung verschiedener Bauabschnitte des Vernichtungslagers Auschwitz beworben hatte. Aber Maias Gatte war harmlos, ein Sonderling, so sah es Victor, die Art Mann, der Wälder zur Jagd pachtet und sich in einer Art Förster-Outfit in seiner Freizeit darin auf die Lauer legt, um zur Erholung mit einem Präzisionsgewehr Pelztiere zu exekutieren. Der die Kadaver dann ausweidet, häutet, trocken reifen lässt und schließlich fein häckselt, um aus ihnen delikate dünne Wildbratwürste zu drehen."

Im besten Sinn ist der Roman eine deutsche Antwort auf Michel Houellebecqs "Unterwerfung"

Danach muss man erst mal Luft holen, so genau und böse und brillant ist das ausgedacht und serviert. Wie bei einem guten Stand-up-Comedian. Die goldene Jerry-Seinfeld-Regel lautet ja: Stay in the bit! Bleib drin in der Nummer, wenn sie funktioniert, und setz noch einen drauf, und dann noch einen. Auschwitz - Exekution von Pelztieren mit dem Präzisionsgewehr - delikate dünne Wildbratwürste, selbst gemacht.

Und danach wird's noch besser. Oder vielmehr: bitterer, alberner, dünkelhafter, anmaßender, lustiger, lächerlicher, ätzender, wohlmeinender, informierter, unerträglicher, gemeiner, klüger. Mit anderen Worten: "Hochdeutschland" müsste man den politischen Roman zur Zeit nennen, wenn das nicht so abgenutzt klingen würde. Aber sei's drum. Schimmelbusch gelingt hier ein echtes Kunststück, das jetzt natürlich noch nicht verraten werden darf.

Jetzt erst mal bloß dies: Im besten und cleversten Sinn ist "Hochdeutschland" so etwas wie eine deutsche Antwort auf Michel Houellebecqs vor drei Jahren erschienenen dystopisch-satirischen Roman "Unterwerfung", in dem ein charismatischer muslimischer Politiker mit Hilfe der bürgerlichen Parteien (die vor allem die radikale Rechte im Schach halten wollen) französischer Präsident wird, aber dann Theokratie, Scharia und Patriarchat einführt.

Bei Schimmelbusch ist der Protagonist, der ungnädig das Elend des Landes und seiner Bewohner bilanziert, nur kein zynischer Literaturwissenschaftler, sondern ein mehrere Hundert Millionen Euro schwerer Frankfurter Eigentümer und Co-Chef einer Investmentbank. Kein marginalisierter Beobachter, sondern ein Hauptdarsteller, ein Sieger mit grenzenlosem Selbstbewusstsein, ein begnadeter Verkäufer und Menschenmanipulator, der nicht bloß Kundenakquise betreibt, sondern Kundenhypnose. Spezialgebiet: Präsentationen vom Typ "Strategische Optionen", die das Ziel haben, "die kindlichen Eroberungsfantasien, die durch die Wachträume von Unternehmenslenkern geistern (...), zu erspüren, einer Analyse zu unterziehen und ihren Urhebern dann als strategisch sinnvoll zu präsentieren."

Leseprobe

Einen Auszug aus dem Roman stellt der Verlag auf seiner Internetseite zur Verfügung.

Andererseits hat dieser Victor eine gescheiterte Ehe hinter sich, eine kleine Tochter - und ein wirklich schlechtes Gewissen. Oder wenigstens heftige Systemzweifel angesichts der Ungerechtigkeit der Einkommens- und Vermögensverteilung, die zum Beispiel zur Folge gehabt habe, dass es in Frankfurt eine "neue Klasse von Angestellten" gebe, die "ungefähr ab ihrem 30. Lebensjahr über eine Million Euro im Jahr" bezögen: "Wo waren die roten Fahnen, wo waren die Mistgabeln? Warum ölte niemand eine Guillotine?"

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