Alexander Kluge auf der Lit.Cologne:Wuchtiger Scharfsinn

Alexander Kluge auf der Lit.Cologne: Der Autor und Filmemacher Alexander Kluge auf dem Literaturfestivals Lit.Cologne - dort forderten Diskussionsteilnehmer eine Flugverbotszone über der Ukraine.

Der Autor und Filmemacher Alexander Kluge auf dem Literaturfestivals Lit.Cologne - dort forderten Diskussionsteilnehmer eine Flugverbotszone über der Ukraine.

(Foto: Henning Kaiser/picture alliance/dpa)

Grenzgang zwischen Kunst, Kultur und Krieg: Alexander Kluges Auftritt auf der Lit.Cologne.

Von Niklas Elsenbruch

Im Februar feierte Alexander Kluge seinen 90. Geburtstag - "angeblich", wie Svenja Flaßpöhler zum Auftakt des Samstagabends auf der Lit.Cologne lächelnd sagte, sein hohes Alter merkt man dem produktiven Autor und Filmemacher tatsächlich kaum an. Zum dritten Mal in dessen 22-jährigem Bestehen war Kluge zu Gast beim Kölner Literaturfestival. Den Abend zu seinen Ehren hatte der Jubilar, der in den späten Achtzigern auch verschiedene Kulturformate fürs Privatfernsehen erfand, selbst choreografiert. Zwischen kurzen Filmen und Lesungen hauptsächlich aus seinem neuen Werk, dem "Buch der Kommentare", befragte ihn Flaßpöhler, die Chefredakteurin des Philosophie Magazins, vor allem zu zwei Themen: Kultur und Krieg.

Eindrücklich schildert Kluge dabei, wie er als 13-Jähriger die Bombardierung von Halberstadt im Zweiten Weltkrieg miterlebte und mit seiner kleinen Schwester vor den Flammen in ein Schwimmbad floh. "Ich interessiere mich brennend dafür, wie man Krieg beendet", erklärt der Adorno-Schüler. Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine und Möglichkeiten zu dessen Lösung geraten die Reflexionen bisweilen jedoch eher karg, Kluge rutscht gar der Euphemismus über die Lippen, der Krieg sei "etwas Enttäuschendes".

Denken und handeln nicht mit dem Gestaltungswillen eines Dompteurs, sondern mit der Achtung eines Gärtners

Überzeugender gerät die Erörterung grundsätzlicher Fragen, etwa als Flaßpöhler das Phänomen der Panzerung, der äußeren und inneren Verhärtung auch in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht mit einer "Tötung der Fantasie" in Verbindung bringt. Dass Panzerung dauerhaft gelingen und Erfolg bescheren könne, erklärt Kluge für eine "Illusion" und ergänzt Geschichten von Panzern, die sich unter Einwirkung von Feuer in "eiserne Särge" verwandelten. Stattdessen setzen die beiden ihre Hoffnung in die Anstrengung des Verstehens und betonen dabei die Bedeutung kultureller und philosophischer Reflexion. Im Rückgriff auf Hannah Arendt sagt Flaßpöhler zum Fall Putin: "Verstehen heißt nicht rechtfertigen."

Kluge identifiziert seinerseits das Moment beidseitiger Schwäche und Zurücknahme als Gelegenheitsfenster für den Frieden. Hier zeige sich auch ein zentrales Element seiner Poetik: Nicht mit dem Gestaltungswillen eines Dompteurs, sondern mit der Achtung eines Gärtners vorzugehen, der seinen Pflanzen ihre Zeit zum Wachsen lässt. Anstelle linearer Erzählung will Kluge im Format des Kommentars bei einer Sache verweilen und in die Tiefe bohren, "wie ein Maulwurf". So wie dieser jedoch stets neue Hügel aufwirft und überraschend ins Unverborgene tritt, bewegt sich Kluge als Universalgelehrter auch am Samstagabend scheinbar sprunghaft und assoziativ, kommt von Arbeiten mit seinen Wegbegleitern Helge Schneider und Michael Haneke zu aus drei Bildschirmen zusammenmontierten Filmen zu Kafka, Jimmy Carter und chinesischen Affen.

Auch wenn man ihm dabei nicht immer gleich zu folgen vermag, bleiben die Bonmots und der wuchtige Scharfsinn des Neunzigjährigen im Gedächtnis. Diese Ungreifbarkeit ist programmatisch für Kluge, der sich selbst "auf der Bettritze zwischen Buch und Film" sieht. Und so wird auch der Abend zu einem Grenzgang: zwischen Kultur und Krieg.

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