CD-Kritik:Ein Spätzünder

CD-Kritik: Alexander Gadjiev.

Alexander Gadjiev.

(Foto: Andrej Grilc)

Der italienisch-slowenische Pianist Alexander Gadjiev führt auf einer neuen CD mit Musik von Sergei Prokofjew in Parallelwelten.

Von Helmut Mauró

Das Karriere-Einstiegsalter scheint sich inzwischen generell etwas nach hinten verschoben zu haben. Die 17-jährigen Stürmer und Dränger bleiben aus, die Endzwanziger übernehmen. Der 27-jährige italienisch-slowenische Pianist Alexander Gadjiev gehört in diese Reihe spät zündender Talente. Er gewann mehrere renommierte Wettbewerbe und war auch beim letztjährigen Warschauer Chopin-Wettbewerb ganz vorne dabei. Auf Youtube kann man verfolgen, wie er im Finale mit einem etwas dröge geführten Orchester auftritt, anfangs - vielleicht auch deshalb - etwas nervös wirkt, sich also auf Selbstdisziplin und Beherrschung der Partitur verlässt und entsprechend musikalisch reduziert bleibt, auch etwas ungenau im Zusammenspiel der Stimmlagen und vor allem im metrisch-rhythmischen Gefüge.

Die langen Vorschläge, die bei Chopin ja nicht nur aus ein oder zwei Noten bestehen, sondern in perlenden Skalen über mehrere Oktaven laufen können, wollen rhythmisch aber doch eingefangen sein, damit sie, selber akzentlos, die Zielnote herausstellen können. Da schwimmt Gadijev ein wenig, und das geht mehr als fünf Minuten so, bis sich der Pianist in einer leiseren Solopassage gleichsam auf sich selber einschwingt und der Klang sich wie von selber entfaltet in den für Chopin so typischen und unbedingt erforderlichen Erzählduktus. Auf einmal fügt sich musikalisch alles. Der rhythmische Grundimpuls, die ausladenden Verzierungen, das melodische Erzählen. Gadjiev hat dann nur den zweiten Preis des Wettbewerbes bekommen, dazu aber einen Sonderpreis für die Darbietung einer Chopin-Sonate.

Das erstaunt nicht, denn im Solospiel, wenn er ganz auf sich selber gestellt ist, scheint sich Gadjiev am wohlsten zu fühlen. Da ist er frei und ungezwungen und die kleinen Ungenauigkeiten erscheinen auf einmal als munteres Spiel mit subtilen Ausdrucksmöglichkeiten, beinahe als eigenständige, das Hauptgeschehen ironisch kommentierende Ebene. Denkt man das weiter, dann müsste der Pianist in den "Sarkasmen" von Sergei Prokofjew ohne diese interpretatorische Schicht auskommen, denn der Bruch in der Erzählung, die Reflexion auf sich selbst, ist ja schon in der Komposition angelegt. Auf dem jüngsten Album mit Werken von Sergei Prokofjew und Nikolai Tscherepnin (bei Avi-music) kann man das genau studieren. Tatsächlich geht Gadjiev hier aber von Anfang an einen unerwarteten, unüblichen Weg.

CD-Kritik: Gadjievs Prokofjew-CD.

Gadjievs Prokofjew-CD.

(Foto: Andrej Grilc/CAvi)

Anders als die allermeisten Pianisten poltert er nicht drauflos, sondern, bei aller markanter Akzentuierung im Detail, behält er die Nerven und führt eine zivilisierte Konversation, in der dann doch mehr musikalisch zur Sprache kommt, als man gemeinhin hört. Auch in den "Visions fugitives" verfolgt Gadjiev das historische Klangideal, wie es zurzeit Prokofjews schon aufgrund der technischen Eigenschaften des damaligen Konzertflügels die Regel war. Ein leichterer Anschlag, eine verfeinerte Klangsprache, die umso räumlich-plastischer wirkt. Man kann das ja in den Aufnahmen mit dem Komponisten selber nachhören. Gadjiev ist nicht ganz so irdisch verspielt wie dieser, der dadurch den Hörer erst recht in entfernte Welten lockt, sondern scheint sich von vornherein in einer Parallelwelt aufzuhalten. Wo er sich allerdings recht wohl zu fühlen scheint.

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