Süddeutsche Zeitung

Aleš Štegers Roman "Neverend":Gehäutete Igel in Kurkumasoße

Der slowenische Autor Aleš Šteger erzählt in "Neverend" Geschichten von Verzweiflung und Fassungslosigkeit zur Zeit zerfallender Demokratien und schleichender Kriegsangst.

Von Sophie Wennerscheid

Kaum ein Lebensmittel ist symbolisch so aufgeladen wie die Banane. Die krumme gelbe Frucht, die botanisch gesehen eine Beere ist, steht gleichermaßen für Exotik, Kolonialismus, Mangel und Wohlstand. Und dank Andy Warhol ist sie auch aus der Kunst nicht mehr wegzudenken. Den größten Teil der Aufmerksamkeit, die ihr entgegengebracht wird, verdankt die Banane aber sicher ihrer markanten phallischen Form. Noch 2019 erregte sie die Gemüter, als es darum ging, die Video- und Fotoserie "Consumer Art" (1973) über lasziv Bananen verspeisende Frauen aus dem Nationalmuseum in Warschau zu verbannen. Zu unsittlich, lautete das Diktum.

Und dabei ist doch, wie schon Konrad Adenauer wusste, die Banane "eine Hoffnung für viele und eine Notwendigkeit für uns alle". Während es Adenauer mit diesem Argument gelang, die zollfreie Einfuhr der Banane in die BRD durchzusetzen, blieb die Banane in der DDR jahrzehntelang Mangelware. Ihre erste Banane machte "Zonen-Gaby" laut der Satire-Zeitschrift Titanic erst im November 1989 glücklich. Und ob es Europa und den USA wirklich gelungen ist, den jahrzehntelangen Streit über Einfuhrzölle und Dollarbananen beizulegen, darf bezweifelt werden. Das zumindest tut der slowenische Autor Aleš Šteger in seinem neuen Roman "Neverend", für den er im Sommer den Literaturpreis Leuk erhalten hat.

"Kafka bringt Bananen mit. Keine Ahnung, woher er sie hat"

Der Titel des Buchs ist Programm. Das 460 Seiten starke Werk, von Matthias Göritz und Alexandra Natalie Zaleznik stilsicher ins Deutsche übertragen, ergänzt die Neverending-Story der Banane um weitere spannende Kapitel. "Kafka bringt Bananen mit. Keine Ahnung, woher er sie hat. Vor zwei Monaten sind sie über Nacht aus den Regalen der Supermärkte verschwunden." So lässt Šteger seinen fulminanten Roman beginnen, in dem er die Schreib- und Lebenskrise einer Autorin mit zerfallenden Demokratien in Europa, schleichender Kriegsangst, zermürbendem Gefängnisalltag und Appetit verderbender Esskultur zusammenführt. Und natürlich von Bananen erzählt.

Zunächst einmal ist es die Ich-Erzählerin, die in ihrem Tagebuch den Verfall zweier Bananen studiert. Unmerklich werden sie Tag für Tag eine Schattierung bräunlicher und krümmen sich "wie zwei fleißige Kulturschaffende, wenn sie in Rente gehen". Irgendwann sind sie von großen, braunen Flecken bedeckt. Und gänzlich besiegelt wird ihr Ende an dem Tag, als die Erzählerin einen langen rostigen Nagel in das Fleisch der einen Banane schiebt. Aus Wut über Kafka, der meint, ihr erklären zu müssen, dass sie nur dann eine gute Autorin werde, wenn sie schreibe, als würde sie "Nägel einschlagen, lange, gerade Nägel".

Der Fäulnisprozess der genagelten Banane lässt sich symbolisch lesen. In Slowenien stehen Wahlen an und es zeichnet sich ab, dass der Populist Platano, spanisch für Banane, das Volk mit der Verfütterung ebendieser für sich gewinnen wird. Bald schon wird auf den Straßen randaliert, die gesellschaftliche Ordnung bricht zusammen.

Die Autorin reagiert darauf mit einer Mischung aus Verweigerung und Bereitschaft zur Konfrontation. Sie fühlt sich wie die drei Affen, die nichts sehen, nichts hören, nichts sagen, verleiht dem Gestus der Abschottung aber eine politisch-subversive Kraft. Sie beraubt sich künstlich ihrer Sinne und begibt sich mehrfach als eine Art wandelnde Mumie in die Öffentlichkeit. Am Tag der Wahl tut sie das, beklebt mit unzähligen aus der europäischen Flagge ausgeschnittenen Sternen, und zieht damit die Gewalt ihrer Umgebung auf sich.

Der perversen Überfülle stehen Szenen von Hunger und Entbehrung gegenüber

Eine andere Art der Gewalt wird in dem Roman über das Thema Essen ins Spiel gebracht. Ohne jemals genauer darauf einzugehen, gibt die Erzählerin zu verstehen, dass sie sich vegan ernährt. Das steht im krassen Gegensatz zu dem Essverhalten des Direktors eines Gefängnisses, in dem sie einen Schreibkurs für Häftlinge anbietet. Der Direktor, der sich ein Verhältnis zu der Autorin wünscht, versucht ihr zu imponieren, indem er aufzählt, was es bei ihm zu essen gibt: Kaviar, Gänseleber, Ochsenhoden. Außerdem "Zünglein junger Stare in einer Soße aus Teran" und später dann "lebendig gehäutete Igel in Kurkumasoße".

Der perversen Überfülle stehen Szenen von Hunger und Entbehrung gegenüber, auch sie eng mit Gewalt verknüpft. Erzählt wird von diesen Szenen in Geschichten, die als zweite Textebene in den Roman eingezogen sind. Sie stammen, scheinbar, aus der Feder der Gefängnisinsassen. Die parabelartigen Geschichten tragen Titel wie "Labyrinth", "Fels" und "Kartoffeln" und erzählen in kurzen, einfachen Sätzen von Orten und Menschen, die vergehen. Sie werden vergewaltigt oder erschossen, versinken aus Scham im Boden ihrer Küche oder verstecken sich in der eigenen Versteinerung. Das Erzählte ist dem Verstummen abgerungen, überlagert von einem diffusen Dröhnen, das den Untergang der Welt verkündet.

Šteger gelingt es in diesen Geschichten, Verzweiflung und Fassungslosigkeit eine literarische Form zu geben, die unter die Haut geht. Die Konturen dessen, was wir Realität nennen, lösen sich auf und machen das Gefühl von Haltlosigkeit nachvollziehbar, an dem die Ich-Erzählerin leidet. "Ich kann nicht schreiben, ohne jenseits der Literatur einen Halt zu haben." Trotzdem versucht sie immer wieder aufs Neue, die Grenze zwischen Krieg und Sprache zu überwinden. "Nie endgültig. Nie genug. Ich bin im Neverend."

Konventionell erzählt ist das, aber spannend und voller sinnlicher Details

Ein Versuch der Grenzüberwindung sind auch die vielen Traumprotokolle der Autorin. In einer Szene, die aus Ingeborg Bachmanns Todesarten-Projekt stammen könnte, zwingt die geträumte Mutter die Tochter in die Kanalisation. In einen abstoßenden Fisch mit schwarzen Klauen verwandelt springt das Ich in das quecksilbrige Wasser und schwimmt tief "in die Dunkelheit hinein".

Die verheerenden Wirkungen des Quecksilbers wiederum sind Thema der dritten Erzählebene des Romans. Als die Autorin in dem für seinen Quecksilberabbau bekannten Ort Idrija auf die Figur des Naturforschers Giovanni Scopoli stößt, beginnt sie einen Roman über Scopoli zu schreiben. Vor allem interessiert sie der verzweifelte Versuch Scopolis, quer durch Europa in die Niederlande zu gelangen, um dort Carl von Linné zu treffen. Dafür, dass die Autorin so sehr mit ihrem Schreiben hadert, gelingen ihr diese Passagen außerordentlich gut. Zwar sind sie konventionell erzählt, aber spannend und voller sinnlicher Details. Sie zeigen, wie der Tod sich in die Körper von Menschen frisst, lassen aber auch Raum für einen Funken Hoffnung. Als Scopoli am Ende seiner langen Reise in dem längst verfallenen Gewächshaus steht und er voller Staunen den von Linné gepflanzten Musa paradisiaca, den großen Bananenbaum sieht, kommen ihm die Tränen.

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