Alejandro Zambra: "Fast ein Vater":Künstliche Reißer

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Alejandro Zambra, 1975 in Santiago de Chile geboren, ist einer der meistübersetzten lateinamerikanischen Autoren in seiner Generation. (Foto: imago images/ZUMA Wire)

Wie es sich so schreibt im Schatten von Pablo Neruda und Roberto Bolaño: Alejandro Zambra entwirft mit seinem Roman "Fast ein Vater" eine Typologie chilenischer Dichter.

Von Rudolf von Bitter

Im Original heißt dieses Buch "Poeta chileno", chilenischer Dichter, und Alejandro Zambra versucht darin in Form eines Romans typologisch aufzuzeichnen, wie man ein chilenischer Dichter wird. Als ob man das so pauschal könnte. Dass er sich dabei auf Männer kapriziert, soll nicht ausschließen, dass Chiles erste Literatur-Nobelpreisträgerin die Dichterin Gabriela Mistral war. Größere Bedeutung, wenn man sich an Zambras Buch hält, haben zwei andere Fixpunkte chilenischen Schreibens: die Loslösung von Pablo Neruda, dessen Ruhm und Größe wohl kaum jemand überstrahlen kann, und die Nähe zu Roberto Bolaño. Modell eins: der Epigone.

Zambras erster Held Gonzalo kopiert chilenische Lyriker, bevorzugt Gonzalo Millán, einen Vertreter der sogenannten 60er-Generation Chiles, von denen im deutschsprachigen Raum etwa Ariel Dorfman und vor allem Antonio Skármeta bekannt sind. In Milláns Wikipedia-Biografie ist es regelrecht ein Punkt, dass er einmal Bolaño begegnet sei. Zambras Epigone nun trifft als knapp Dreißigjähriger seine Jugendfreundin Carla wieder, mit der er in Mamas Wohnzimmer auf dem Sofa unter einer Decke heftig gefummelt hatte, die aber, als Angehörige einer wohlhabenderen Schicht von Santiago de Chile, einen anderen Weg genommen hat als er, der Literatur studierte.

Ihre Zuneigung flammt neu auf, weniger als romantische Liebe, sondern als intensive sexuelle Beziehung. Carla hat einen Sohn, Vicente, ist aber geschieden. Es könnte, analog zum deutschen Titel, die Geschichte der Freundschaft zwischen einem Mann und einem Jungen werden, einer Kameradschaft, eines gelungenen Lebens. Allerdings stellt Zambra diesen Gonzalo dar als einen, der mit seinen Imitaten billige Erfolge feiert und in seinen Gesten den Klischees US-amerikanischer Seriendarsteller gleicht. Auf die Dauer schafft es Gonzalo, Dozent zu werden und staatliche Fördermittel einzuheimsen. Darin ist er keine chilenische Besonderheit. Carla setzt ihn nach ein paar Jahren vor die Tür, ihr Sohn ist inzwischen ein Teenager und der Roman bei der Hälfte.

Vicente steht für Zambras zweites Dichtermodell: der sensible Mensch, der mit Worten zu ordnen versucht, was das Leben ihm präsentiert. Er hat an Gonzalo gesehen, dass Lyrik etwas bedeuten kann. "Vicente denkt, dass die Dichter, nicht die Erzähler, bei jeder Erfahrung absolut jede Einzelheit einfangen müssen, aber nicht, um sie zu erzählen, nicht, um sie in einer Geschichte hinauszuposaunen, sondern um sie ihrem Empfindungsvermögen, ihrem Blick gewissermaßen einzuschreiben: um sie, in einem Wort, zu erleben." Auch das ist nicht spezifisch chilenisch.

Die Handlung dieses zweiten Romanteils ist die Geschichte von Vicente und Pru, einer jungen Journalistin aus New York. Es wird die Erzählung einer verpassten Liebe, beide trauen sich nicht zueinander - sie, weil sie sich für zu alt hält, er, weil er als 18-Jähriger schüchtern ist. Schon bei der ersten Begegnung entspinnt sich ein Dialog von vorsichtiger Annäherung und wachsender Sympathie. Aber Zambra zerstört diese zarte Liebesgeschichte, indem er auch diese Figuren abwertet. Pru ist nur da, weil sie gewettet hat, dass sie irgendeinen Artikel über Chile schreiben könne, und ist erst mal ans falsche Ende des Landes gereist, "ein recht wirrer Bericht, doch das spielte keine Rolle, denn ihr Gegenüber verstand sie nicht." Und dann kommt, was diesem Autor durch das ganze Buch hindurch offenbar vorrangig ist: Sie "vögeln". Leider wirkt der Sex mechanisch, wo es manifest pornografisch wird, ist Zambras Vokabular auffällig arm. Die Übersetzerin tut einem leid.

Alejandro Zambra: Fast ein Vater. Roman. Aus dem Spanischen von Susanne Lange. Suhrkamp, Berlin 2021. 460 Seiten, 24 Euro. (Foto: N/A)

Alejandro Zambra benötigt die Figur der Pru für seine Typologie chilenischer Dichter, weil sie später über deren Szene das schreiben wird, was Zambra seinerseits darüber mitteilen möchte. Eine Aufzählung, teilweise unterhaltsam und spitzzüngig, die an sich schon ganz witzig wäre. Aber Zambra wollte offenbar ein dickes Buch schreiben und hat darum alle möglichen zusammenhanglosen Episoden da hineingeräumt, was der Geschichte ihr Tempo raubt.

Manche Einfälle und Anekdoten sind einigermaßen skurril, andere irritierend: wie Vicente auf ein künstliches Gebiss für seine Katze spart, oder wie Pru das Opfer eines psychopathischen Geschwisterpaars wird. Dazwischen stehen amüsante Dichterporträts oder Anekdoten wie die von dem etablierten Publizisten, der Prus Besuch beim greisen legendären Nicanor Parra vermittelt, von diesem aber zum Einkaufen geschickt wird, weil seine Gegenwart den alten Dichter und "Antipoeten" stört. Schöne Facetten zeigt dieses literarische Kaleidoskop also allemal.

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