Filmfestspiele Venedig:Einblicke in die Künstlerseelen

Filmfestspiele Venedig: Szene aus Lars von Triers ""Riget Exodus", der Fortsetzung des "Hospitals des Geister".

Szene aus Lars von Triers ""Riget Exodus", der Fortsetzung des "Hospitals des Geister".

(Foto: Henrik Ohsten)

Tolle Bilder, wenig Aussage: Bei den Filmfestspielen in Venedig enttäuschen Alejandro González Iñárritu, Lars von Trier und Todd Field mit ihren neuen Arbeiten.

Von Tobias Kniebe

Die bisher stärkste Szene der Filmfestspiele in Venedig zeigt eine Wüste mit verstreuten kleinen Dornbüschen, die sich endlos bis zum Horizont erstreckt. Man sieht darin nur den Schatten eines Mannes. Die Sonne steht tief, der Schatten ist lang. Als der Mann zu laufen beginnt, eilt der Schatten voraus, wird kleiner und verschwindet.

Zugleich schwebt die Kamera höher und höher, für eine Weile aller Schwerkraft entrückt. Dann kommt der Boden wieder näher, der Schatten kehrt zurück und man hört, wie Füße im Sand auftreffen. Mit seinen einfachsten und zugleich magischsten Mitteln blickt das Kino hier durch die Augen eines Menschen, der gerade erst entdeckt, dass er fliegen kann.

So real die Bilder zunächst aussehen, irgendwann schleicht sich das nicht mehr Erklärbare ein

Dieser Anfang von Alejandro González Iñárritus "Bardo", dessen Titel auf das tibetische Zwischenreich zwischen Leben und Tod verweist, ist typisch für diese ersten Tage beim Filmfestival von Venedig. So real ihre Bilder und Geschichten zunächst aussehen mögen, irgendwann schleicht sich das Surreale, das Übernatürliche, das nicht mehr Erklärbare ein. Der harte Zugriff auf die Realität, der keinen Überschuss ins Fantastische kennt, hat keinen leichten Stand. Vielleicht hat er in der pandemischen Vereinzelung gelitten. Genauso wie der unverstellte Blick nach außen, auf die Welt.

Denn Iñárritu, der ein kaum zu übertreffendes Karrierehoch hinter sich hat - zweimal bester Regisseur bei den Oscars in Folge, für "Birdman" und "The Revenant" - will hier vor allem von dem Gefühl zu erzählen, wie es ist, Iñárritu zu sein. Sein Alter Ego Silverio (Daniel Giénez Cacho) ist zwar Journalist und Dokumentarfilmer, erlebt aber gerade einen ähnlichen Reigen höchster Ehrungen. Doch er schwänzt Interviews und Dankesreden, erlebt Neid, leckt alte Wunden und fühlt sich schlecht, dabei hat er zwei durchaus freundliche fast erwachsene Kinder und eine liebende Frau.

Dazu kommen starke Zweifel an seiner Arbeit und seiner Identität zwischen Mexiko und Los Angeles, wo er lebt und Karriere gemacht hat. Seine Krise ist auch die seines Landes, das stolz und unfähig zugleich erscheint, ewig besiegt vom mächtigen nördlichen Nachbarn - bis hin zu der Zukunftsfiktion, dass der Amazon-Konzern gerade das ganze mexikanische Bundesland Baja California gekauft hat, per Volksabstimmung ausdrücklich mit dem Willen der Mexikaner.

Manchmal kippt der Film da in böse surrealistische Szenen, ins wildkostümierte Nachspielen geschichtlicher Erniedrigungen, da ist echte Wut zu spüren. Dann wieder weiß Silverio sich und seine Sippe als unendlich privilegiert einzuordnen, ohne wirkliche Antworten, was daraus folgt, wie verlogen oder nicht verlogen das nun alles ist. Und alles driftet immer mehr weg, in die Traumlogik, ins Absurde. Am Ende steht die Erkenntnis, dass man dankbar sein sollte, dass alles jederzeit vorbei sein kann. Selten ist jemand mit so tollen Bildeinfällen, auf drei Stunden ausgedehnt, zu so schlichten Ergebnissen gekommen.

Auch Lars von Trier, der Meister des dänischen Kinos, schmort inzwischen vollständig in seinem eigenen, dunkel blubbernden, die Vernunft betäubenden und allzeit Ungeheuer gebärenden eigenen Saft. Zu diesem Schluss kann man kommen, wenn man "Riget Exodus" gesehen hat, die nach 25 Jahren Pause doch noch nachgelieferte dritte Staffel seiner Serie, die in Deutschland "Hospital der Geister" hieß. Dass er sich wieder den Kranken und Siechen zuwendet, hat eine gewisse Logik - neben den Depressionen, die er schon lang thematisiert, ist inzwischen auch bekannt, dass er an Parkinson leidet. Auch deshalb zieht es ihn vielleicht wieder in eine vertraute Welt zurück.

In Lars von Triers "Riget Exodus", der Fortsetzung des "Hospitals der Geister", sieht man zielloser Exzentrik beim Herumtollen zu

Diese Welt ist aber leider nicht nur vertraut, sondern inzwischen fast hermetisch geschlossen. Auch wenn eine ganze Generation dazwischenliegt, ist man ohne Kenntnis der ersten beiden Staffeln verloren. Man muss sich schon an den alten Schweden Helmer erinnern, den es trotz seines Dänenhasses nach Kopenhagen verschlagen hatte, um jetzt seinen Sohn zu verstehen. Der ist ebenfalls Doktor (Mikael Persbrandt) und macht nun genau dort weiter, wo sein Vater aufgehört hat. Man muss sich auch das Dämonenbaby mit dem Kopf von Udo Kier erinnern, um zu würdigen, dass es nun riesenhaft groß und vollständig mit dem Gebäude des Hospitals verwachsen ist - und so fort.

Ein bisschen Satire über Gendersprache und die neuen Schwierigkeiten beim Sex am Arbeitsplatz, das soll wenigstens noch an die Gegenwart anknüpfen. Das Vorwärtsstrebende der sich unausweichlich entfaltenden Katastrophen, die Lars von Triers Geschichten einst so unwiderstehlich gemacht haben, fehlt aber völlig. Man sieht zielloser Exzentrik beim Herumtollen zu und wartet auf das nächste einprägsame Schockbild aus einem Hirn, das der Schockbilder inzwischen doch offenbar müde geworden ist.

Auch Todd Field richtet, wenn man ehrlich ist, den Blick nicht hinaus in die Welt, sondern ins tiefe Innere der Künstlerseele. Nach gefeiertem Doppelschlag als Autorenfilmer Mitte der Nullerjahre ("In The Bedroom" und "Little Children") kam plötzlich nichts mehr nach. So ist nach sechzehn Jahren nun "Tár" sein nächster Film, die Geschichte der Stardirigentin Lydia Tár, gespielt von Cate Blanchett, die es aus einfachen Verhältnissen in New York zur Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker gebracht hat.

Cate Blanchett als lesbische Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker

Stürzt sich hier nicht ein Filmemacher in die fremde Hochleistungswelt der Klassikorchester, sehr genau recherchiert? Und lernt er nicht, mit einer lesbischen Frau als Protagonistin, dabei Dinge, von denen er gar nichts weiß? Der Versuch ist schon ehrlich, aber bald fällt auf: All die Interviews und Meisterklassen und Konzertproben, in denen sich männliche Künstler seit jeher ungebremst als Genies ausleben dürfen, werden hier einfach eins zu eins mit einer Frau durchgespielt.

Cate Blanchett als Lydia ist kein Fake, ihr tiefer Einblick etwa in Mahlers Musik wird als real vorgestellt, ihr Ringen um Ausdruck als echt, die Dringlichkeit, mit der sie ihren Studenten etwas mitgeben will, als ehrlich. Und doch kann sie, wie so viele Männer zuvor in vergleichbarer Position, den Pakt aus Eros und Macht nicht verleugnen, der sie mit ihrer Konzertmeisterin (Nina Hoss) verbindet. So wenig wie die Inspiration, die sie aus einer Verliebtheit zu einer neuen russischen Cellistin zieht. Mit all den Komplikationen und dem unausweichlich tiefen "Me Too"-Fall, der dann für sie folgt.

Will Field darauf hinaus, dass Schöpfungskräfte in der Kunst immer gefährlich sind, ohne Unterschied für Männer und Frauen? Das wohl auch, aber entscheidend ist etwas anderes- am Ende bricht auch hier das Irreale ein, ein Schuldgefühl gegenüber den Auf-der-Strecke-Gebliebenen, eine tiefe Paranoia, alles Erreichte wieder zu verlieren. Einmal etwa wacht Lydia nachts von einem gnadenlos laut vorantickenden Metronom auf, das im Nebenzimmer seinen Takt schlägt. Sie findet es im Schrank, und es gibt keinerlei Erklärung dafür, wer es angeschaltet hat. Hier tickt einfach eine Schicksalsuhr. Die harte Rationalität, sie hat es auf diesem Festival wirklich nicht leicht.

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